NAMENKUNDLICHES UND SPRACHLICHES AUS DEM COLDITZER GEBIET 1 ) Horst Naumann Für den modernen Menschen — vor allem für den Städter — haben Flur namen nur dann noch eine Funktion, wenn er sich orientieren will oder wenn er einmal nicht eine Gaststätte als Ausflugsziel wählt, sondern einen markanten Punkt im Gelände oder ein idyllisches Plätzchen fern vom geschäftigen Trubel der Welt. Dabei genügt es ihm durchaus, zu wissen, an welcher Stelle er sich befindet; die Bedeutung des Namens, mit dem sein Aufenthaltsort benannt ist, interessiert ihn zwangsläufig wenig. Und er hat auch gar nicht Zeit und Muße, sich in das einstmals engmaschige Netz von Flurbenennungen zu vertiefen. Es reicht aus, wenn er weiß, daß er sich nahe dem Hainberg, an der Mulde beim Steg, im Steinbruch an der Lausicker Straße, am Bahnhof oder bei der Por zelline befindet. Dieses sich nach gewissen natürlichen oder künstlich geschaffenen Punkten großflächige Orientieren entspricht dem Wesen des modernen Menschen, der die Kulturlandschaft als das ausschlag gebende ansieht, die Naturlandschaft aber als notwendiges Anhängsel betrachtet. Wenn er freilich zur Erntehilfe hinaus aufs Land zieht oder Bekannte hat, die in der Landwirtschaft arbeiten, wird er von ihnen viele Benennungen hören, die dort zum lebenden Sprachschatz gehören. Doch hat sich auch in der Landwirtschaft das vor reichlich 100 Jahren noch recht umfängliche Namengut stark verringert. Einmal wurden schon bei der Zusammenlegung der Flurstücke vor der Mitte des 19. Jh. viele Benennungen überflüssig, weil die damit benannten Flurstücke fortan anders aufgeteilt waren oder den Besitzer wechselten. Noch stärkeren Veränderungen unterlag das am Boden haftende Namengut, als durch die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft nicht nur eine be deutend großflächigere Aufgliederung der Flurteile notwendig wurde, sondern auch die schnellere, von den Bodenverhältnissen weitgehend unabhängige Maschine den Zugochsen gänzlich verdrängte und dem Pferd nur noch ein kleines Arbeitsgebiet übrigließ. Es ist also ein wirtschaftlich wie gesellschaftlich bedingter Verdrängungs prozeß, der sich hier unmittelbar vor unseren Augen abspielt. Dadurch wird jener Teil des bäuerlichen Sprachschatzes verändert, der über eine lange Zeit bis hin zum 18. Jh. sich in ständigem Ausbau befunden hat. Wenn man nämlich die ältesten uns zugänglichen Besitzverzeichnisse aus dem 16. 17. Jh. mit den Flurbüchern Ende 18. Anfang 19. Jh. und den Flurverzeichnissen des 19. Jh. vergleicht, so läßt sich ohne große Mühe feststellen, daß die Zahl der Flurnamen im Laufe der Zeit be trächtlich zugenommen hat. Zwar gerieten einige in Vergessenheit, aber