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2. September. Der 2. September, wennschon er offiziell nicht mehr als deutscher Festtag gilt, wird doch nach wie vor als Erinnerungs tag deutscher Geschichte gelten, als einer der wichtigsten Tage, weil auf dem Schlachtenplane von Sedan der nun angriffs lustige Feind niedergeworfen wurde unter der vereinten An strengung aller deutschen Waffenbrüder. Folgende beide De peschen vergegenwärtigen das große historische Ereigniß ani besten: „Der Königin Augusta in Berlin. Vor Sedan 2. September Uhr Nachmittags. Die Kapitulation, wodurch die ganze Armee in Sedan kriegsgefangen, ist soeben mit dem General Wimpssen geschlossen, der an Stelle des verwundeten Mar schalls Mac Mahon das Kommando führte. Der Kaiser hat nur sich Mir selbst ergeben, da er das Kommando nicht führt und alles der Regentschaft in Paris überläßt. Seinen Aufenthaltsort werde Ich bestimmen, nachdem Ich ihn gesprochen habe in einem Rendezvous, das sofort stattfindet. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Wilhelm." Ferner: „St. Menehould S. September. Die vor Sedan vernichtete Armee Mac Mahons zählte vor der Schlacht von Beaumont am 30. August noch über 120,000 Mann. Der Transport der Gefangenen, unter denen über SO Generale, nach Deutsch land ist in der Ausführung begriffen. Unsere Armeen sind im Vormarsch auf Paris. von Podbielski." Erna. Novelle von L. Haid hei in. (IK. Fortsetzung.) „Verzeih', Birkner! Ich dies Alles — ich muß mich erst fassen —" brachte er mühsam hervor. — tritt sonderbar schreckliches Gefühl überkam ihn, als müsse er laut aufschreien vor Freude und als sträub ten sich seine Haare vor Entsetzen. Er klemmte die Zähne aufeinander und ballte die Hände, um dem krampfhaften Trieb, zu lachen und zu schreien, Wider stand zu leisten. „Ja wohl, Du hast recht, ich kam nur, um Dir zu sagen, daß, wenn Du Hilfe — Rath brauchst —" „Ich danke Dir — aber jetzt —" Nun brach das Schluchzen hervor aus seiner Brust. Er winkte nur noch mit der Hand, Birkner ging mit einem theilnehmcnden Blick, und Erich von Willwart blieb in einer unbeschreiblichen Aufregung zurück. Sollte er Gott danken? danken für die Rettung, die seines Vetters Tod ihm brachte?" Nach einer Weile öffnete sich abermals leise seine Thür. Es war der Verwalter mit dem Arzt, welche eintraten. Erich war schon aufgesprungen. — Wenn auch die Spuren dieser Stunden unverkennbar in seinen Zügen und den feuchten Augen lagen, er hatte doch seine Ruhe wieder. „Gnädiger Herr, wir ängstigten uns um Sie!" entschuldigte sich der Verwalter. „Herr Assessor Birkner veranlaßte mich, Ihr Allein sein zu stören," sagte der Arzt in demselben Sinne. „Ich gestehe, daß ich mich in der That sehr er regt und erschüttert fühle. ES ist der erste Todes fall, den ich in meiner nächsten Nähe erlebe," sagte Erich. Der Verwalter ergriff seine Hand. „Der Herr- Baron ist nun unser Herr," brachte er nur mit Mühe, zitternd, hervor. So folgte eine aufregende Szene der andern. Es kamen von allen Seiten im Laufe des Tages die Gutsnachbarn, die Freunde und Bekannten. Der General und Diringer trafen gegen Abend ein, immer wieder mußte Erich erzählen. Dazwischen, wurde der Todte aufgebahrt. Telegraphisch oder brieflich ging die Schreckenskunde nach allen Rich tungen. VIII. TaS Bcgräbniß Froysbergs war vorüber. Erich von Willwart hatte die Honneurs des Hauses gemacht und der Eindruck, den Alle von ihm empfangen, war ein sehr günstiger gewesen. Dagegen blieb eS aber nach dem Laus der Welt nicht aus, daß das tragische Ende des so früh Dahingerafften einen Glo rienschein um sein Andenken wob, daß seine liebens würdigen Eigenschaften, da« freundliche Gehenlassen, welches er für alle Anderen hatte, wenn man ihm nur nicht seine Bahnen kreuzte, erst jetzt zu voller und auch übertriebener Anerkennung gelangte, und daß man gänzlich vergaß, wie oft man über des Le benden Irren und Fehlen die Achseln gezuckt und herben Tadel ausgesprochen hatte. ES ging Erich ganz ebenso. Seine tiefe Erschütter ung ließ ihn nur wenige Worte des aufrichtigsten Lobes für seinen Vetter finden und gewann ihm die allgemeine Sympathie. Der Einzige, welcher auch jetzt wieder einen pein lichen Mißton in diese Stimmung warf, war Erich- Schwager Kyburg, der, ganz blaß und angegriffen von der schnellen Reise, in der 'Nacht vor dem Be- gräbniß aus dem Schlosse anlangte. Die telegraphische Meldung hatte ihn auf dem Axcnstein getroffen. Nach ein paar Stunden de» Schlafe- war er wieder frisch, und nachdem er allen Anforderungen an eine würdevolle Trauer bet dem Begräbniß gerecht geworden, athmete er, sobald man nach demselben im Schlosse wieder anlangte, erleich tert aus und beglückwünschte jetzt Erich lächelnd mit den Worten: „Der König ist todt, eS lebe der König! Du siebst, mein Junge," fuhr er dann fort, „wenn einem da» Wasser bis an die Kehle geht, finket sich der rettende Strohhalm!" Und dabei machte er eine großartige Geste, welche auf da» stattliche Erbe rings umher deutete. Die Umstehenden mochten die Art und Weise KyburgS vielleicht nicht halb so peinlich empfinden, wie Erich, der General und Diringer. E» war sehr natürlich, daß man, meist nur mit einem Händedruck Kyburg« Beispiel folgte, aber auch ebenso begreiflich, daß man auf rem Heimwege davon redete, eS scheine doch etwa- Wahre« daran zu sein, daß der nunmehrige Besitzer der Herrschaft Froysberg am Ruin gestanden habe. IX. Die nächsten Tage brachten Erich da« heißersehnte Alleinsein. Wie befreit kam er sich vor, als sie Alle fort waren. Kyburg mit guter Manier los zu wer den, hatte schwere Mühe gekostet, und als Erich meinte, nun endlich ganz sich selbst zu gehören, da machten sich schon die Ansprüche geltend, welche das Leben stellt. Der Verwalter kam ihm jetzt zunächst mit dem Gutsinventarium. „Lassen Sie mir doch etwas Zeit, lieber Braun, mir ist, al« thäte ich meinem armen Vetter unrecht, wenn ich nehme, was sein war," sagte Erich, und sein Ton sprach zu dem Herzen des alten Mannes. Der letztere war schon an der Thür, als er noch einmal umkehrtc. „Verzeihung, gnädiger Herr, da ist die Kathrin, sie sagt, daß Sie ihr ein gute« Wort beim seligen gnädigen Herrn hätten einlegen wollen — und wenn Sie selbst jetzt auch gern bleiben würde, so ist der Fritz da, der Sie heirathen will." „Ja, ja, ich verstehe schon, der Bursch ist des Mädchens Schatz. Es war am letzten Tag. Ich sollte meinen Vetter bitten — habe es auch gethan. Froysberg wies mich aber zurück. Sagen Sie, lieber Braun, ist der Fritz ein ordentlicher Mensch?" „Ein ganz ordentlicher tüchtiger Junge, gnädiger Herr." „Indessen — der Fritz muß sich doch vergangen haben?" Der Verwalter machte ein verlegenes Gesicht. „Ja, sehen Sie, gnädiger Herr, das war wegen der Kathrin." „So, so! Also eS liegt seitens des Burschen nichts Unehrenhaftes vor? Nun so lassen Sie das Mädchen gehen. Ich hörte, der Fritz sei bei Herrn Kaland in Dienst getreten," brach Erich hastig ab. „Das ist auch so, aber die Kathrin ist die Toch ter von der Amme des gnädigen Fräuleins, die Herr schaften halten viel auf die Kathrin und so hat der Fritz Erlaubniß, sich zu verheirathen." Erich entließ den Verwalter. Zum ersten Mal fiel ihm jetzt ein, daß er Kaland zwar bei dem Be gräbniß, aber nicht im Schlosse gesehen. Kaland war auch nicht gekommen, als die Schreckenskunde sich ver breitete, während alle anderen Nachbarn herbeieilten. Warum? Erich dachte mit peinlicher Unruhe daran, wie freundlich Kaland ihm entgegengekommen war und wie schroff er sich dagegen gezeigt. Er warf sich aufs Pferd. Ein stundenlanger Ritt brachte ihn zu dem befreundeten Pastor, wo man ihn in altgewohnter Herzlichkeit empfing. Er selbst war unterdessen in sich ruhiger und klarer geworden. Bei den lieben alten Freunden ging ihm das Herz auf und er sprach über Alles, was ihn bewegte und erfüllte. Nur über Erna Kaland fiel kein Wort, wie auch der Pastor dieselbe nicht erwähnte. Nach drei einsamen stillverlebken Wochen kamen der General und seine Gemahlin, Theo und Emmy an, um einige Zeit bei Erich auf dem Lande zu ver leben. Den schweren Kreppkleideru der Damen ent sprach sehr wenig die Stimmung derselben. Die Generalin fand mit tiefer Rührung Gottes Willen, den keines Menschen Thun zu beugen ver möge, darin, daß Erich nun doch der Erbe des Gutes geworden. Theo, ähnlich denkend, fühlte zumeist nur die stolze Befriedigung über die Stellung, welche Erich als Besitzer der Herrschaft einnahm, und Emmy, in weißen Morgenkleidern, Jetschmuck an Hals und Ar men und schwarze Sammtschleifen im blonden Haar, unterdrückte nur mit Mühe das Singen und Trällern, wenn sie durch den Park lief und sich unzählige Bou- kcttS pflückte oder die schöne Einrichtung des inneren Schlosses bewunderte. Ab und zu kamen Gäste nach Scbloß Froysberg — im Ganzen lebte man, wie es die Trauer gebot, sehr still und häuslich. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Die Kellnerinnen - Bewegung scheint doch insofern schon einige Erfolge erzielt zu haben, als eine nicht geringe Anzahl von Berliner Wirthen sich veranlaßt gesehen hat, „Geschäftsordnungen" ein zuführen, welche die Kellnerinnen genau befolgen müssen, wenn sie nicht ihrer Stellung verlustig gehen wollen. Eine solche vom „Confectionair" mitgethcilte Geschäftsordnung hat 24 Paragraphen, von denen einzelne vielleicht das große Publikum interessiren. Ein Paragraph lautet z. B.: Es ist den Kellner innen gestattet, sich zu den Gästen ihres Reviere« zu setzen, jedoch nicht zu animiren und übermäßig zu trinken, am Karten- oder Würfelspiel sich nicht zu betheiligen oder sich gar anfassen zu lassen rc., sondern einzig zu dem Zwecke, sich mit den Gästen zu unter halten. Hierbei darf sich aber keine Kellnerin er lauben, gemischte Redensarten zu gebrauchen oder, wenn solche von Seiten der Gäste gebraucht werden, anzuhören oder gar darüber zu lachen, sondern es wirb jeder Kellnerin zur Pflicht gemacht, den Tisch sofort zu verlassen, wenn ungeziemende Worte fallen. Einige andere Paragraphen lauten wie folgt: Bei den Gästen darf niemals mehr als eine Kellnerin am Tische sitzen. Sobald ein Gast ausgetrunken hat, soll die ihn bedienende Kellnerin stets fragen, ob der Herr noch ein Glas wünscht. Angezechten Gästen darf keine Kellnerin ohne vorherige Erlaubniß etwas verabreichen. Bei Streitigkeiten mit Gästen oder Kolleginnen darf die Ruhe nicht gestört werden und darf sich keine Kellnerin in laute Wortgefechte einlassen, sondern hat ihre event. Beschwerde der Geschäftsführung vorzubringen. Den Kellnerinnen ist das Spielen unter sich, das Schlafen in den stilleren Geschäftsstunden und namentlich das Rauchen streng verboten; ferner ist das laute Rufen, Lachen und Singen, sowie das Rennen nicht gestattet. In Be treff der Kleidung wird den Kellnerinnen empfohlen, das Tragen von seidenen Taillen und Röcken oder anderen auffallenden Kleidungsstücken zu vermeiden und dafür sich möglichst einfach und praktisch zu kleiden; desgleichen dürfen die kleinen Tändelschürzen nicht getragen werden, sondern nur große weiße Schürzen. Das Anstelle» von Blumen-Bouquets ist zwar gestattet, doch dürfen nicht ganze Berge von Blumen vorgesteckt werden. — Als Mahnung zur Vorsicht möge ein Unglücksfall dienen, von dem vor einigen Tagen die Gattin des Lazareth-Jnspektors der Haupt-Kadetten- Anstalt zu Groß-Lichterfelde betroffen wurde. Frau B. war mit dem Einkochen von Früchten beschäftigt, bei welcher Gelegenheit ihr ein Glas mit Prcißel- beercn zerbrach. Sie wollte die Frucht nicht um kommen lassen und suchte deshalb so viel wie mög lich davon zu retten. Mit einem Löffel nahm sie die aus dem Glase herausgeflossenen Beeren vom Tische auf und schöpfte dieselben in Dessertschüsselchen. Später wollte Frau B. diese Beeren essen, doch kaum hatte sie den ersten Löffel zum Munde geführt, als sie einen lauten Schmerzensruf aussließ. Ein Blut strom entquoll ihrem Munde. Wie sich herausstellte, hatte sich ein Glassplitter zwischen den Beeren be funden, der der bedauerswerthcn Frau im Halse stecken geblieben war und dort eine erhebliche Ver wundung herbeigeführt hatte. Aerztliche Hilfe war bald zur Stelle, doch konnte das Leben der Frau B. nur durch einen operativen Eingriff erhalten werden. -Nachdem noch der Kreisphysikus aus Teltow telegra phisch herbeigerufen worden, welcher ebenfalls die Nothwendigkeit einer Operation bestätigte, wurde unter Beihülfe mehrerer Anstaltsärzte sofort zu derselben geschritten. Sie gelang vorzüglich. Der Glassplitter hatte sich in der Luftröhre festgesetzt und mußte aus derselben mittels Luftröhrenfchnitts entfernt werden. Die Patientin befindet sich außer Lebensgefahr, bis zur vollständigen Heilung dürften aber noch Monate vergehen. — Glogau. Die „Silesia" berichtet: Vor einigen Tagen ereignete sich in einem unserer Ge birgsdörfer ein Fall, der wieder einmal zeigt, wie viel Einfalt beim Landvolk zu finden ist. In Tyrra starb nämlich dem Inwohner Johann Äaizar ein sechzehnjähriger Sohn. Als der Sarg gebracht wurde, zeigte cs sich, daß dieser zu kurz war. Was thut nun der Vater? Er nimmt eine Säge und schneidet dem Leichnam seines Sohnes entsprechend lange Stücke der beiden Beine ab und legte sie zu den übrigen sterblichen Ueberresten in den Todtenschrein. Der überpraktische Alte wird gewiß nicht die mindeste Ahnung gehabt haben, daß er mit dieser That ein Verbrechen beging. — Eine sonderbare Wette ist in dem in der Rosenthalerstraße belcgenen Restaurant des Herrn A. in Berlin zum Austrag gebracht worden. Herr A., der lauge Jahre Koch beim Fürsten Bismarck gewesen ist, hat vor einigen Tagen gewettet, er sei imstande, in einem Zeitraum von sechs Minuten ein Huhn zu schlachten, zu rupfen, auszunchmen und gebraten als leckeres Mahl seinen verchrlichen Gästen vorzusctzen. Der vorgestrige Abend, so berichtet der „Börs.-Kour.", war nun zum Austrag der mit fünfzig Mark gehal tenen Wette bestimmt. In dem dicht gefüllten Lokal waren aus Tischen und Stühlen Tribünen improvisirt worden, und alles blickte gespannt auf den Raum zwischen Schänktisch und Buffet, die Arena, in welcher mit dem Glockcnschlage v Herr A. trat, sein zum Opfer bestimmtes Huhn über das Haupt schwingend, damit sein lautes Gegacker Jedermann beweise, daß es noch lebe. -Noch! Denn schon in der nächsten Sekunde hatte ein scharfer Hieb den Kopf ihm vom Rumpfe getrennt, nut erstaunlicher Geschwindigkeit war das Thier außen seiner Federn und drinnen seiner Eingeweide beraubt, ein Geschäft, welches etwa eine halbe Minute in Anspruch genommen. Mit dem Beginn der zweiten Minute hatte der Gastwirth sein Huhn auf dem Gaskocher im Topf, und noch fehlte eine halbe Minute an den sechs, als eS von A. zum „Anknabbern" schön und sauber auf einer Schüssel servirt den Gästen dargeboten wurde. Das Huhn mundete Allen vortrefflich, nur Einem nicht: dem Verlierer der Wette nämlich.