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blick verlor cvsie au« dem Gesicht. Er trat hinter eine mächtige Sänle und stellte sich ans eine darum angebrachte Stufe, von wo aus er einen freien Aus' blick über das Maskengewühl erhielt. Da — dort drüben sah er wieder den meergrünen AtlaS ihrer Robe schimmern. An ihrer Seite schritt wieder der galante Ritter, in dessen Begleitung er sie vorhin angetroffen hatte. Kühlebor» wurde es bei diesem Anblick ganz entsetzlich heiß unter der Sammt- larve. Er nahm sie ab. „Ah, da bist Du ja, Theodor!" sagte in diesem Moment ein dicker schwarzer Domino, der zufällig vorbeikani. „Aber was hast Du den», Du siehst ja ganz verstört aus, mein Junge?" „Die Hitze, Vater, diese entsetzliche Hitze!" „Es ist wahr. Ich ersticke fast ganz in diesem schrecklichen Kittet. Komm', wir wollen uns den erfrischenden Genüssen des Büffetts dort zuwenden!" „Gut, verlassen wir diesen Trubel. Wo ist Herr Ertl und die Mutter?" „Sie erwarten uns schon am Büffett. Komm' rasch!" Theodor band seine Maske wieder vors Gesicht und folgte dem Vater, der sich mühsam einen Weg durch die Menge bahnte. Dem Büffett gegenüber befand sich ein kleiner, kühler Salon mit bequemen Wandsophas und Fauteuils. Das sanfte, gedämpfte Licht, das hier von einer blaß- rothen Ampel ausstrahlte, stand in angenehmem Gegen sätze zu dem blendenden Lichtmeer, das im Ballsaal den Maskentrubel umfloß und die Hitze bis zur Un erträglichkeit steigerte. „Hierher führte Sormann seine Dame, als sie den Wunsch äußerte, dem Gedränge zu entfliehen. Beim Eintritt in den Salon fanden sie nur einige wenige Masken, die sich zu gleichem Zwecke hierher zurückgezogen hatten. Heinrich geleitete Olga zu einem Fauteuil in einer lauschigen Ecke, wo sie unbeachtet blieben. „Nun, Herr Sormann," begann Olga nach einer Pause, lächelnd zu ihrem Begleiter aufsehend, der die Maske vom erhitzten Gesicht abgenommen hatte und neben ihr stand, „nun, Sie blicken ja mit einem Male so ernst, als wäre Ihre frühere Heiterkeit nur Schein gewesen. Ist dem wirklich so? Finden Sie das Fest nicht himmlisch, entzückend, wie ich?" „Ja, und — nein! Ich gestehe, mein Fräulein, ich kann die Gefühle nicht beurtheilen — wenigstens jetzt -noch nicht beurtheilen, die in mir heute Abend rege geworden. Mir ist's, als stände mir heute noch ein bedeutendes Ereigniß, eine folgenschwer" Ent scheidung bevor." Sie spielte mit der Samintmaske in ihrer Hand und sah nicht den langen Blick, mit dem sein Auge auf ihrer Gestalt ruhte. „Ich habe keine andere Empfindung als die innigster Fröhlichkeit. Der herrliche Abend wird stets als ein Lichtpunkt in meiner Erinnerung leben!" „O, möchte er das wirklich!" seufzte er hingerissen. „Und könnte auch ich dasselbe sagen!" „Hängt das vielleicht von jenem Ereigniß ab, das Sie für heute noch erwarten?" lächelte sic schalkhaft. „In der That. Entweder, ich muß diese» Abend als einen unendlich glückbringenden segne», oder ich wünsche, er wäre niemals erschienen." „Wieso?" Ihr Erstaunen klang nicht natürlich. Heinrich glaubte aus dieser Frage eine Aufforderung hcrauS- zuhören, der er zu gehorchen just in der richtigen Stimmung war. Er fühlte, daß er sich die ganze Zeit her mit lauter Trugschlüssen genarrt hatte, und war augenblicklich entschlossen, den größten Einsatz in dem ihm bisher so qualvollen Spiele zu wagen. „Fräulein Olga," begann er plötzlich, sie nach ganz ungewohnter Weise bei ihrem Vornamen an redend, „Fräulein Olga, Sie wissen es längst, was ich unter einem entscheidenden Ereigniß für mich meine; es hieße Ihren Scharfsinn beleidigen, wollte ich daran zweifeln. Nun müssen Sie aber auch wissen, daß ich den Konflikt, der in mir tobt, nicht länger ertragen kann. Ja, ich bin fest entschlossen, noch heute, augenblicklich die Krisis an mich herantrcten zu lassen." Sie versuchte zu lachen, verstummte aber sofort, als sie seinem Blick begegnete, in welchem ein ver zehrendes Feuer loderte. „Die Welt des Flitters, die uns in diesem Moment umgiebt, der Schein harmloser, ungezwungener Fröh lichkeit, der hier ein seliges Vergessen der alltäglichen nüchternen Prosa in die Gemüther senkt, giebt mir den Muth, an das Märchen zu glauben, das wir Beide hier spielen. Undine — es liegt eine furcht bare Romantik in diesen Gedanken — furchtbar, weil sie durch ein einziges Wort ins Lächerliche gezerrt werden könnte —!" Er beugte sich, mühsam athmend, zu ihr herab und erfaßte eine ihrer beiden Hände. Auch ihre Brust hob und senkte sich in innerer Erregung, als sie zu ihm emporsah. So starrten sie sich einige Sekunden lang sprachlos an. Sein fiebernder Athem streifte ihre Stirn. „Herr Sormann — seien Sie mir nicht böse, ich — ich wußte nicht —!" Sie legte wie begütigend ihre Rechte auf sciue Haud, die ihre Linke noch immer umklammert hielt. Ihre Stimme zitterte. Eine sanfte kindliche Bitte klang aus dem bewegten Ton. Er erfaßte auch ihre zweite Hand und preßte sie stürmisch an sich. Sic riß sich los. Er wollte sprechen, aber sie machte eine abwehrende Bewegung, als wollte sie seine Worte zurückdrängen.' „Sormann, vergeben sie mir! Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber — Sic wissen auch —" „Olga," unterbrach er sie, sich mir mühsam be herrschend, daß er nicht laut hinausrief, was in dieseni Augenblick seine Brust zersprengen wollte, „Olga, Sie müsse» miH hören! Ich glaube, mir ei» Recht auf eiue unumwundene Aussprache erworben zu haben." „Ein Recht?" sagte sie erschreckt, „o mein Gott! Sollte ich —" „Sie haben von mir kein Geständniß mehr zu hören," fuhr Sormann fort, „kein Geständniß, wel ches Ihnen noch mehr sage» könnte, als Sie längst wissen, längst wissen müssen. Es ist hier nicht der Ort, um meiner Leidenschaft für Eie den wahren Ausdruck zu geben. Ich wiederhole Ihnen einfach nur, was Sie schon seit langem in meiner Seele ge lesen haben: Ich liebe Sie!" Sie zuckte zusammen unter einem schmerzlichen Seufzer und bedeckte ihr Gesicht mit den bebenden Händen. „Olga," sagte er leise nach kurzem Schweigen, „gönnen Sie mir die süße Hoffnung, die ich so gern an dieses Geständniß knüpfen möchte?" Sie ließ die Hände sinken und stand ans. Noch nie war ihm ihre Gestalt so erhaben, so majestätisch erschienen. Sie sah ihm voll ins Gesicht. Ein cigen- thümliches, cisigkaltes Frösteln durchrieselte ihn, als er i» diese Züge blickte, die unbeweglich, wie ans Marmor gemeißelt, ihm entgegenstarrten. Himmel! Das war Zug für Zug das markante Gesicht ihres Vaters, als er an jenen: Nachmittage im Contor den neuen Disponenten nut einem kalten, gebieterischen „Warten!" begrüßte. Sormann wich betreten zurück uud unterdrückte einen schwachen Auf schrei, der sich ans seiner Kehle drängen wollte. Er sprach kein Wort, aber sein Auge haftete wie festge bannt auf der klassigen Gestalt, die ihn fast zu über ragen schien. „Herr Sormann," begann sie endlich leise und gepreßt, „lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich Sie und mich herzlich bedaure. Mich, weil ich mich in der peinlichen Lage befinde, Stürme heraufbeschworen zu haben, die ich in meiner Unüberlegtheit niemals ahnte. Sie aber muß ich bedauern, weil Sie nicht der sind,.für den ich Sic gehalten habe! Ich glaubte in Ihnen den starken Mann zu sehen, der einen energ ischen Muth mit echter Weltklugheit in sich vereinigt." (Fortsetzung folgt.) Ein englischer Sonderling. England ist bekanntlich das Land der seltsamen Grillen, des Spleens, den kein anderes Land der Erde aufzuweisen hat. Der Doktor W. King erzählt in seinen Memoiren folgende höchst merkwürdige Ge schichte: „Etwa um das Jahr 1706 habe ich", sagt Doktor Kiug, „einen gewissen Master Howe gekannt, einen sehr achtbaren, gesetzten, vernünftigen Mann, welcher ein jährliches Einkommen von achthundert Pfund Sterling hatte. Er war mit einer jungen Frau von anständiger Fainilie und angenehmem Aeußeru wie liebenswürdigem Benehmen verheirathet, welche ihren Main: sehr glücklich machte. Jin siebenten Jahre ihrer Ehe stand Herr Howe eines Morgens sehr früh ans und sagte zu seiner Frau, er sei gcnöthigt, Ge schäfte halber nach den: Tower von London zu gehen. Am Mittag desselben Tages empfing Mistreß Howe von ihrem Manne einen Brief, in welchen: er ihr schrieb, er sei genöthigt, nach Holland zu reise:: uud werde schwerlich vor vier oder sechs Wochen zurück kommen .... Er blieb aber nicht weniger als sieb zehn Jahre abwesend! Und »'ährend dieser ganzen Zeit gab er auch nicht die geringste Nachricht von sich. „Eines Abends, als Mistreß Howe nut einigen Freunden und Verwandten beim Abendessen saß — unter anderen war Doktor Rose, der Gatte ihrer Schwester, dabei — wurde ihr ein Brief ohne Unter schrift überreicht. Dieser Brief bat sic nm die Gunst einer Zusammenkunft in einer bestimmten Allee des Parks von St. James. Nachdem Mistreß Howe den Inhalt gelesen, gab stc den Brief den: Doktor Rose und sagte lächelnd: „Da lesen Sie, Doktor, daß ich trotz meines Alters noch Jemanden habe, der in mich verliebt ist!" „Sic hatte die Handschrift nicht erkannt, aber Doktor Rose prüfte sie aufmerksam uud erklärte, es sei Howes Hand. Die ganze Gesellschaft war aufs Aeußerste verwuudert und Mistreß Howe so sehr er griffen, daß sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich gekommen war, verabredete man, daß der Doktor Rose und die anderen Gäste sie am andern Tage nach dem Park von St. James begleiten sollten. Kann: befanden sie sich fünf Minuten in der bestimmten Allee, so sahen sie Herrn Howe auf sich zukommen, seine Fran umarmen, die anderen ihn: bekannten Freunde begrüßen! Er kehrte mit ihnen nach Hause zurück. Von diesen: Tage an lebten die beiden Gatten sehr glücklich nnd ruhig bis zu ihrem Tode miteinander. „Aber nun muß ich das Seltsame an der Sache erzählen. London ist die einzige Stadt in der Welt, wo Jemand, wenn er will, ein sicheres Asyl finden kann,' ohne jemals erkannt zu werde», uud sollte eS auch Jahre dauern. Wenn er seinen Wirth pünktlich bezahlt, seinen Lieferanten, seinen Kaufleuten nichts schuldig bleibt, wird sich Niemand eine zudringliche Frage an ihn erlauben oder sich darum kümmern, woher er kommt oder wohin er geht. Als Herr Howe seine Frau verließ, bewohnte» sie ein HauS in Jer- myn-Strcet bei der St. James-Kirche. Er zog sich nach einer nicht weit davon gelegenen Straße zurück und miethetc im Viertel von Westminster ein kleines Zimmer für fünf bis sechs Schilling wöchentlich; dort änderte er seinen 'Namen und verstellte sich einzig dadurch, daß er statt seines blonden Haares eine schwarze Perrücke trug. Die ganzen siebzehn Jahre seiner Abwesenheit bewohnte er dies kleine Zimmer. Als er seine Frau verließ, hatten sic zwei noch ganz junge Kinder, die aber wenige Jahre darauf starben. Inzwischen war in: zweiten oder dritten Jahre nach den: räthselhaften Verschwinden ihres Mannes, als die Kinder noch lebten, Mistreß Howe genöthigt, beim Parlamente eine Petition einzureichen, damit sic eine Akte erlange, wodurch sie entweder in den Besitz des gemeinschaftlichen Vermögens oder wenigstens einer auskömmlichen Rente daraus gesetzt würde, damit sie, weil man über das Verbleiben des Herrn Howe nichts wisse, wenigstens gemächlich zu leben habe. Diese Akte ging beim Parlament durch, ohue daß Herr Howe Einspruch that, vielmehr »Nichte es ihn: Vergnügen, den Verhandlungen und der Abstimmung darüber eifrig zu folgen. „Als Herr Howe seiner Frau seine Abreise ange zeigt hatte, und sie ihn nicht wiederkonnnen sah, bil dete sie sich ein, daß diese geheimnißvollc und uner wartete Abwesenheit wohl ihren Grund in Vermögens verhältnissen haben möge. Vielleicht, dachte sie, hat mein Mann ohne mein Wissen eine beträchtliche Schuld kontrahirt und sich dadurch in Verlegenheiten gestürzt, denen er sich durch sein Wegbleibcn entziehen will. „So lebte sie mehrere Tage in der bangen Er wartung, Konstabler oder Gerichtsdieucr ins Haus treten zu sehen, aber nichts dergleichen beunruhigte ihre Verlassenheit. Im Gegentheilc, die Angelegen hciten des Herrn Howe waren in bester Ordnung, er war Niemanden: etwas schuldig, hatte keine Hypo theken auf seinen: Grundbesitz, wie mau sich über zeugte, als man seine Papiere untersuchte. Nach deni Tode ihrer Kinder hielt Mistreß Howe es für ange messen, die Zahl ihrer Diener zu vermindern nnd alle Ausgaben des Hauses zu beschränken. Demgemäß zog sie von Jermyn-Street nach einer bescheidenen Wohnung in Brewer-Street beim Golden Square. Gerade gegenüber wohnte ein gewisser Salt, der Kaufmann war. Zehn Jahre nach seiner Entfernung machte Howe die Bekanntschaft dieses Mannes und schloß sich ihm so an, daß er wöchentlich ein oder zweimal bei ihn: zu Mittag war. Aus den: Speise zimmer Salts konutc inan leicht beobachten, was in den: Hause gegenüber vorging, und so war Howe im Stande, zu wissen, wen seine Frau bei sich empfange. „Salt hielt seinen Freund für einen Junggesellen und sagte mehr als einmal z» ihm, indem er nach der Mistreß Howe hinüberzeigte: „Das ist dort eine Wittwe, welche eine vortreff liche Gattin für Sie abgeben müßte." „Die letzten sieben Jahre seiner Verbannung be suchte Howe auch die Kirche von St. James, und konnte dort von der Bank aus, auf der er mit seinem Freunde saß, stets seine Frau sehen, ohne daß er ihr ins Auge siel. „Als Howe cudlich uach siebzehn Jahren wieder in sein Haus zurückkehrte, vermochten ihn selbst seine vertrautesten Freunde nicht, den wahren Grnnd seines seltsamen Verfahrens einzugcstehen. Allem Anscheine nach hatte er wahrscheinlich gar keinen, oder wenn doch, so schämte er sich ihn mitzutheilen. Der Doktor Rose meinte, sein Schivager Howe würde gar nicht zu seiner Frau wieder zurückgekehrt sei::, wenn er nicht das mitgeuommcne Geld (mau schätzte die Summe auf 2000 Pfund Sterling) aufgebraucht gehabt hätte. Und um noch so lauge damit auözukommeu, hatte es von Howes Seite der strengste,: Sparsamkeit bedurft, denn er hatte die Summe in Bankbillets und Gold, also ohne Zinsen, aufbcwahrt und nahm jeden Tag so viel davon, als er brauchte. „Als Howe uach sicbzehu Jahre,: wieder der Mann seiner Frau gewordeu war, behandelte er sic so, als käme er von einer Reise zurück, und war höchst liebevoll und aufmerksam gegen sie, bis der Tod diese glückliche Ehe endlich in Wirklichkeit trennte." Druck und Verlag von E. Hannebotzn in Eibenstock.