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Beilage m Rr. 99 -es „Amts- im- Ameigedlattes". Eibenstock, den 22. August 1891. Jrrthümer. Roman von Karl Ed. Klopfer. <L. Fortsetzung.) Sormann lächelte. „Ich hoffe, mein Fräulein," sagte er, ihr den Kuchentcller hinllbcrreichend, „daß Sie meine ungerechtfertigte Gereiztheit von vorhin nicht so grausam bestrafe» wollen, daß Sie mir ver bieten, Ihnen diesen vielversprechenden Kuchen zu prä- sentiren!" „Nein, niein Herr," sagte sie lächelnd, „ich kann keine Ritterdienste mehr von Ihnen annehmen, die Sie als eine Beleidigung Ihrer „kaufmännischen Ehre" auffassen!" „O, Sie lassen mich die Lächerlichkeit meiner Be merkung zu sehr empfinden!" Sie zögerte noch ein wenig, aber sein bittender Blick, dem sie zufällig begegnete, stimmte sie versöhn- 'lich. Mit einem dankenden Kopfnicken nahm sie den Teller ans seiner Hand und stellte ihn neben sich. Sormann sammelte eben Anknüpfungspunkte zu eitlem unbefangenen, heiteren Gespräch, als er von einer bekannten Stimme unterbrochen wurde. Es war der Großhändler Möller, der, eine beleibte ältere Dame am Arme führend, hcrantrat. An seiner anderen Seite stand ein junger Mann, mit seinem blonden Lockenhaar und dem Hellen Vollbarte das Urbild eines echten Germanen verkörpernd. „Ah, Frau Möller!" rief Olga erfreut und sprang auf. Selbst Frau Ertl konnte nicht umhin, ihre Auf merksamkeit von der Kaffeetasse auf die Ankömmlinge zu übertragen. Mit verbindlichem Lächeln erduldete sie die Umarmung Frau Möllers und reichte deren Gemahl die Hand. „Das trifft sich ja herrlich!" sagte der joviale Herr Möller. „Besser konnten wir uns kaum finden. Hat Sie der schöne Nachmittag ebenfalls herausge lockt? — Ah, guten Abend, Herr Sormann! — Hier, meine gnädigsten Damen, haben Sic meinen Sohn, meinen Theodor!" „Ah, Herr Doktor," lachte Olga, ihre Hand in die des jungen Möller legend, „haben Sic wirklich dem Machtspruchc Ihres Herrn Vaters gehorcht, der Sie von ihre» OdhsseuSfahrten an den heimathlichcn Herd zurückberief?" Der junge Manu verbeugte sich leicht. „Der Wunsch meines Vaters kam dem meinen so völlig entgegen, daß ich mich beeilte, ihm zu folgen. Sic vergleichen mich mit weit größerer Berechtigung, als Sie glauben, mit dem Odysseus, denn gleich diesem griechischen Jrrfahrcr trieb mich meine Sehnsucht nach der Heimath." „Nur vergessen Sie, daß Odysseus nicht freiwillig so lange ausgeblieben ist. Oder haben Sie etwa ebenfalls gefährliche Abenteuer im Auslände zu be stehen gehabt?" „In unserer Zeit sind cs nicht Kämpfe mit ein äugigen Cyklopeii, die von dem Manne altgriechische List und Tapferkeit verlangen, vielmehr —" „Vielmehr könnten es aber die Verlockungen der Circe sein," fiel Olga lachend ein, „haben Sie etwa derartige Anfechtungen verspürt?" „Versuche es nicht," unterbrach Möller senior den kleinen Dialog, „gegen Fräulein Olga m kämpfen. Folge lieber, gleich mir und Deiner Mutter, der Einladung der Frau Ertl und nimm hier Platz. Dort drüben sehe ich gerade noch einen freien Stuhl!" Während sein Sohn nach dem Ncbentische ging, nm sich die bezeichnete Sitzgelegenheit herbeizuholen, setzte sich Herr Möller mit seiner Frau zwischen die drei Personen, die den Tisch einnahmcn. Er wußte es so zu arrangiren, daß seine Gattin neben Frau Ertl zu sitzen kam, während er an Herrn Sormann hcranrückte, so daß Theodor mit seinem Stuhl den freien Raum an der linken Seite Olgas einnehmen mußte. Der Großhändler wandte sich sogleich an seinen Nachbar. „Nun, Herr Sormann, wie haben Sie sich heute an der Bör;e eingeführt? Konnten Sie meinen Auf trag günstig abwickeln?" Heinrich sah sich wider Willen gezwungen, mit der Beantwortung dieser Fragen in ein Thema ein- znlcnkcn, das ihn von dem Gespräch der Anderen anSschließen mußte, denen sammt und sonders Handels interessen fremd waren. Frau Möller hatte mit ihrer Nachbarin genug zu thun. Freilich war hier die Unterhaltung eine sehr einseitige, indem Frau Ertl ihre Antworten ans sporadische Einwürfe, wie „ja ja" und „so so" u. s. w. beschränkte, aber dafür besaß die andere würdige Matrone genug Zungenfertigkeit und Gesprächsstoff, um jede Stockung zu vermeiden. „Wie lange gedenken Sie nun unsere biedere Seestadt mit Ihrer Anwesenheit zu erfreuen?" be gann Olga währenddessen mit dem jungen Möller das Gespräch. „Das hängt nicht von mir ab, mein Fräulein," erwiderte der Jurist, „wie ich vernahm, hat Ihnen mein Vater bereits gesagt, daß ich auf eine Staats anstellung warte, um die ich nachgesucht habe." „Sie haben also wirklich den Vorsatz, die Gerichts praxis zu üben?" „Allerdings. Gefällt Ihnen dieser Beruf nicht?" „Offen gesagt, nein! Ich kann mir nicht denken, wie man seinen Beruf darin erblicken kann, als schwarzseheuder Staatsanwalt sein ganzes Leben lang für die Füllung der Gefängnisse zn arbeiten. „Hier sehen Sie etwas zu schwarz, mein Fräu lein," erwiderte der junge Möller lächelnd. „Neber- dieS hat es mit dem Staatsanwalt noch gute Wege; vorläufig muß ich mich damit begnügen, einfacher Referendar — GcrichtSschreibcr und Protokollführer zu sein." „Gleichviel, aber sie nehme» sich doch den Staats anwalt zum Vorbilde." „Allerdings, und an mir soll es gewiß nicht fehlen, diesem Ziele zuzustreben, obgleich ich mit Be dauern erfahren muß, daß dieses nicht Ihre Sym pathien besitzt, mein Fräulein. 'Nun, Vielleich habe ich noch Gelegenheit, Ihre vorgefaßte Meinung zn berichtigen." „Schwerlich! Aber — apropos, Sie tituliren mich, wie ich wiederholt bemerkte, stets mit dem förmlichen „Fräulein", während ich, der Gewohnheit getreu. Sie einfach mit dem Vornamen anrede. Wenn Sie mich nicht als bloße Olga anerkennen wollen, so muß ich wohl glauben. Sie wünschen sich mit Ihrem errungenen Doktortitel angesprochen zu hören." „Nicht doch, nicht doch!" unterbrach er sic rasch unter Lachen. „Wenn Sie mir wirklich gestatten, die Zeit unserer Jugendfreundschaft zurückzurufen, so machen Sie mich sehr glücklich, und Theodor wird das Fräulein Ertl mit Freuden als die Gespielin Olga anerkennen." „Wie recht und billig. Wenn Sie übrigens sagen: Jugendfreundschaft, so ist dies wohl nur als Galan terie aufzufassen, denn ich erinnere mich an eine» gewissen Theodor nur als meinen ewigen Gegner. Oder haben Sic schon vergessen, daß wir schon als Kinder in steter Feindschaft lebten?" „ES ist war," lachte Theodor, „wir haben noch nie eine Zusammenkunft ohne Zank und Hader be endigt, ob cs sich nnn nm Kinderspiele, oder später um Kontroversen über irgend ein Thema handelte." „Sehen Sie! Ja, ja, ich weiß, wir sind alte Gegner. Ich habe Sie sogar im Verdacht, daß Sie mir nicht selten aus reiner Oppositionslust wider sprachen, wenn Sie auch einmal mit mir zufällig einer Meinung waren." „O, da gehen Sic zu weit. Dieses Mißtrauen könnte dann vielleicht in mir ein ähnliches erwecken." „Aha, da haben wir's ja! Da kommt schon wieder der Geist des Widerspruchs über Sie!" Ihr silberhelles Lachen veranlaßte Sormann, zu ihr hinüberzusehcn. „Ach, das geht zu weit," stimmte Theodor lachend ein, „da beschwören Sie nur selbst die Kriegsfurie. Damit Sie sehen, Olga, wie versöhnlich ich gestimmt bin, mache ich Ihnen den Vorschlag, uns gegenseitig Urfehde zu geloben. Sind Sie einverstanden?" „Urfehde? Nein, die getraue ich mir, aufrichtig gestanden, nicht zu halten." „Ah, nun gestehen Sie selbst ein, auf wessen Seite der provozirendc Theil zu suchen ist. Gut, daun sollen Sie haben, was Sie wollen — ewig Krieg, Krieg bis aufs Messer!" „Ja, so eine ewige Gegnerschaft, wie sie ungefähr zwischen dem Staatsanwalt und dem Vertheidiger des armen Angeklagten besteht. So werden Sie also in unserem Verkehr Gelegenheit haben, für Ihre zu künftige BerufSthätigkeit sehr nützliche Vorübungen zu pflegen." „Nur dürften Ihre gegnerischen Argumente oft noch weniger stichhaltig sein, als die, welche mitunter von der Vertheidigung vorgebracht werden." „In solchen Fällen führen Sie dann so zer schmetternde Bemerkungen ins Treffen, wie eben die jetzige. Aber es ist ja wahr, Galanterie habe ich im Grunde genommen noch nie von Ihnen erwartet." „DaS war ein subjektiver Seitenhieb," scherzte er fort, „das kommt auch im Gerichtssaal nicht selten vor." „Uebrigens greise ich im äußersten Nothfalle »ach dem Berufungsmittel; ich wende mich an den Appel- lationsscnat." „Und wer wäre das?" „Der Rath der Väter." „Haha, da haben Sic recht," meinte Olga lachend. „Mein Vater ist übrigens mit solch ungeheurem Re spekt gegen Sie erfüllt, daß seine Entscheidung gewiß immer nur zu Ihren Gunsten ausfallen wird." „Dann liegt es in Ihrem Interesse, mich nicht zum Aeußerstcn zu treiben. Sehen Sic sich also vor!" Herr Möller gab jetzt das Zeichen zum Aufbruch „Es ist schon spät geworden, meine Herrschaften," sagte er, sich erhebend, „Sie sehen, die Tische haben sich auch schon stark geleert." „Ja, wir wolle» hcimkehren," stimmte Olga bei, gleichfalls aufstehend, „Sic, Theodor, werden wohl mit den Eltern noch bei uns vorsprcchen. Papa freut sich bereits sehr darauf, Sie begrüßen zn könne». Sie kommen doch mit uns, Herr Möller, nicht wahr?" Herr Möller sagte zu, nachdem Frau Ertl die Einladung mit aller ihr zu Gebote stehenden Freund lichkeit wiederholt hatte. Dann standen alle auf und griffen nach den Ueberkleidcrn. Die Dämmerung warf schon tiefe Schatten auf den Weg, als die kleine Gesellschaft die Rückfahrt autrat. Herr Möller bot Frau Ertl den Arm und lud Herrn Sormann ein, in seinem Wagen Platz zu nehmen. „Ich möchte gern noch Ihre Ansichten über die Koutrcmine in Eisenbahnpapiercn erfahren," sagte er. Heinrich konnte nicht umhin, die Einladung an zunehmen, obgleich er eine leise Verwünschung nicht zu unterdrücken vermochte, denn Theodor nahm mit seiner Mutter und Fräulein Olga in dem Landauer der Familie Ertl Platz. Sormann hörte auf dem ganzen Wege kaum auf Herrn Möller, der in seinen Ausführungen kein Ende finden konnte. So oft aus dem Wagen hinter ihnen ein bekanntes Lachen ertönte, stieg Heinrich das Blut ins Gesicht. Er glaubte jedesmal auf- und aus dem Wagen springen zu müssen. Frau Ertl hatte sich von einem behaglichen Schläfchen überwältige» lassen. Weich gebettet in den Wagcnkissen liegend, athmete sie regelmäßig und ruhig, ein Bild idyllischer Leidenschaftslosigkeit. Ger mann erschien ihr blasses, ausdrucksloses Gesicht in der zweifelhaften Beleuchtung der Wagcnlaternen wie eine höhnende Maske zu dem wilden Sturm, der in seinem Innern tobte. Endlich hielten die Equipagen vor dem Hause in der Hciligengeistgasse. Httnrich sprang aus dem Wage» und reichte Frau Ertl, die sich nur mühsam ermuntern konnte, die Hand, um ihr beim Ansstcigen behilflich zu sein. Mittlerweile stand schon Olga niit Theodor und Frau Möller neben ihm. Unter scherzendem Geplauder führte der junge Doktor Fräu lein Ertl den Beischlag hinauf in den Hausflur. Oben im ersten Stockwerk wollte sich Sormann verabschieden, um in seine Stube hinaufzugehen. „Wie?" rief Herr Möller, „wollen Sie denn diesen Abend nicht in unserer Gesellschaft verbringen? Das wäre schade." Olga wandte sich um und ließ Theodors Arm los. „Herr Sormann, Sie wollen sich zurückziehen?" sagte sie freundlich. „Nicht doch! — Oder soll ich das wieder als Empfindlichkeit auffassen?" setzte sic leise, nur für ihn hörbar, hinzu, seinen Arm berührend. Heinrich zuckte zusanuneu unter dieser Berührung. Heiße Gluth rollte ihm durch die Adern, er preßte die Zähne zusammen, verbeugte sich schweigend und folgte de» Anderen in den Salon. III. Wenige Wochen waren vergangen. Eins wilde Leidenschaft für die schöne Tochter seines Chefs hatte Heinrich Sormann erfaßt. Anfangs hatte er eö öfter versucht, sich derselben zu entwinden, nnd Vor satz an Vorsatz gebaut; als er aber jedesmal erfahren mußte, daß die Augen und die Stimme der jungen Dame sein anscheinend so fest gefügtes Gebäude wie ein Kartenhaus zusannneuwarfcu, gab er mit seuf zender Resignation seinen Widerstand auf. Mit der Erkenntniß seiner leidenschaftlichen 'Neig ung für das herrliche Mädchen war er sich freilich auch bewußt geworden, daß Olga von seinen Gefühlen keine völlige Kenntniß besitze und dieselben auch keines wegs erwidere. Er redete sich ein, daß die Zeit, deren wohlthätigen Einfluß er schon des öfteren er fahre» hatte, ihn heilen werde. Daß diese Argumente im Grunde aber nur Sophismen waren, das hätte ihm nach jeder Begegnung mit Olga klar werden müsse». Aber hier begann bereits jene blinde Selbst täuschung, die das Vcrhänguiß der Leidenschaften ist. War er seinen Reflexionen überlassen, so glaubte er sich gefeit, denn er hielt sich für willcnSstark; wenn er jedoch, wie es immer häufiger geschah, auf einem der geräuschvollen Feste, wie sie die Gesellschaft zu feiern liebte, Gelegenheit fand, mit Olga nach einem aufregenden Rundtanze in einer abgelegene» Fenster nische zu plaudern, das berauschende Gift einzusaugen, das von ihrem Wesen auSging — va floh ihn die kalte Vernunft und eine verzehrende Sehnsucht loderte in ihm auf, die alle die Schranken zerstörte, die er aufgebaut zu haben glaubte. Daß Olga die hie und da hervorbrcchcnden An zeichen seines SeelenzustandcS mit der ihr eigenen heiteren Spottlust aufnahm, war mir dazu angetha», die Stärke seiner Leidenschaft zu erhöhen. Bald