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Als der Beamte das Coupee verlassen hatte, stellte sich Heinrich ans Fenster, wischte die «»gelaufene Scheibe rein und sah zu dem trüben Himmel empor, an dem schon das erste Grau des jungen Tages empordämmerte. Er rieb sich die Angen und lächelte über die konfuse Antwort, die er dem Schaffner ge geben hatte. Dann lächelte er anch über seinen selt samen, lebhaften Traum. Wie um sich zu vergewissern, daß er von jener Zeit, die er im Schlafe nochmal erlebt, durch volle vierzehn Jahre getrennt sei, zog er aus seinem Porte feuille den Kontrakt hervor, der ihn von nun an an die Danziger Firma fesselte. Hier stand es deutlich, daß er als erster Börsendisponent der Kommissions und Bankfirma Ertl u. Hesse engagirt war. Ja, es war eine bedeutende Stelle, die er da antreten sollte. Der hohe Posten, der für sein Alter eine ganz be sondere Karriere bedeutete, hatte ihn allein verlockt, feine Stellung in dem prächtigen Berlin aufzugeben. Er wiederholte sich auch lebhaft alle die großen Vor theile, die er damit eingetauscht hatte, als wolle er eine befriedigende Parallele ziehen zwischen seinen jetzigen Aussichten und den damaligen, als er das Haus Marfeld u. Comp. in Leipzig verließ. Endlich setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Sormann inspizirte seine Effekten, schlug den Staub von seinen Stiefeln und ordnete seine etwas in Un ordnung gerathene Toilette. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz, das Ende der Fahrt mit der allge meinen Ungeduld vor dein nahen Ziel erwartend. Kein Schlummer kam mehr in seine Augen, und seine Gedanken schweiften auch nicht mehr zu den Kinderjahre» zurück. In die unmittelbare Zukunft war jetzt all' sein Denken gerichtet, der Gegenwart und dem Kommenden galt nunmehr allein seine Auf merksamkeit. Der Himmel verbreitete schon ziemlich deutliches Licht, als der Eisenbahnzug in den Langethor-Bahn- hof in Danzig cinfuhr. Die Telegraphenapparate klingelten, aus allen Thüren und Thoren der An kunftshalle strömten die uniformirtcn Beamten herzu. Die Schaffner sprangen von den Tritte», durcheilten mit dem Ruf: „Danzig! Danzig!" die lange Wagen reihe und rissen die Koupeethüren auf, aus denen sich die bunte Menge der Reifenden auf den Asphalt des Perrons ergoß. Alles lief durcheinander, man sah sich nach allen Seiten um, rief sich au, tauschte hier Abschieds-, dort Willkommensgrüße und drängte sich, seine Koffer und Plaids zusammenraffend, zwischen den herumrollenden Gepäckskarren hindurch. Ein sinnverwirrender Trubel! Sormann war in die Gepäckhalle geeilt, hatte seinen Koffer abgeholt und kehrte nun auf den Perron zurück. Er war noch unentschlossen, was er beginnen sollte. Da er seiner Firma feine Ankunft genau mitgetheilt, erwartete er einige Vorsorge für seinen Empfang. Aber nichts dergleichen war zu sehen. Aergerlich stellte er seinen Koffer an einen Pfeiler und wartete, bis sich die Halle etwas geleert Haven würde. Er steckte sich eine Cigarre an und sah halb mißmuthig, halb gleichgültig in das rege Treiben, das sich vor und neben ihm abspielte. Ihm war das längst nichts Neues mehr und gerade heute, wo seine Stimmung eine nichts weniger als heitere war, konnte es ihm kein Interesse abgewinnen. Es war recht kühl. Heinrich schlug den Mantel enger um sich und ging aufstampfend hin und her. Er kam sich beinahe lächerlich vor in seiner Rolle als Schildwache. Da erscholl plötzlich dicht hinter ihm der frische Ton einer jugendlichen Frauenstimme. Er wandte sich um und sah sich einer reizenden Mädchengestalt gegenüber. Die sehr elegante Dame plauderte ange legentlich mit einer Altcrsgenossin, die Heinrich den Rücken kehrte. Unwillkürlich gefesselt von dem bezaubernden Profil und noch mehr von der Hellen, glockenreinen Stimnie blieb Sormann stehen. Merkwürdig! Er hatte schon so viele Frauen gesehen; Schönheiten auf dem Parkett des Salons, wie hinter den Kulissen, waren ihm nicht fremd geblieben, aber hier schien ihm die ganze Fülle des Anziehenden, dem er schon begegnet war, gleichsam zu einer Quintessenz vereinigt. Diese na türliche Munterkeit, der gewählte und doch nichts weniger als gezierte Ausdruck ihrer Rede, und vor allem diese unnachahmliche Ungezwungenheit, die gleich weit von Schüchternheit wie Koketterie entfernt war, deuteten darauf hin, daß die Dame den ersten Gesellschaftskreisen angehören müsse. AuS ihrem Gespräch errieth er, daß sie eine Freundin zur Abreise begleitete. Es war weder etwas Wichtiges, noch etwas Interessantes, was sich die beiden Mädchen zu sagen hatten, aber Heinrich fühlte sich doch veranlaßt, jedes ihrer Worte zu erlauschen. Sein glücklicher Posten, halb versteckt hinter der guß eisernen Säule, gestattete ihm eine unbemerkte, und doch sehr günstige Observation, bei der er weder Auge noch Ohr von der reizenden Gruppe abwaudte. Der Perron war indessen fast leer geworden. Nur hie und da gingen die Wagcnwärter mit ihren Hämmern und Oelkannen vorüber oder hantirtcn die Gepäckträger mit den zu expcdircndcn Ballen und Koffern. Ein Postbeamter schob einen Karren vor sich her. Die darauf hoch aufgethürmten Gepäckstücke gestatteten dem mit voller Kraft Schiebenden nicht, darüber hinweg auf den Asphalt vor sich her zu sehen, über den die Räder geräuschlos dahinglitte». Da er überdies annehmen konnte, daß Niemand mehr von den Passagieren im Wege stand, unterließ er cs, zur Vorsicht zu rufen. Nur einen einzigen Schritt »och war der schwere Karren von den ahnungslos plaudernden Mädchen entfernt, als Sormann die nahende Gefahr bemerfte. Mit einem rasche» Sprung war er an ihrer Seite. Ohne sich zu besinnen, erfaßte er die Sannntmantille der einen — es war natürlich diejenige, der seine Hauptaufmerksamkeit galt — und zog sie zurück. „Verzeihung, mein Fräulein," sagte er dann, „sehen Sie sich vor —" Eine Geberde »ach dem vorüberrollcnden Karren ergänzte seine Rede. Einen Augenblick lang malte sich auf dem hübschen Gesichtchen der Dame ein bleicher Schrecken, aber bald fand sic ihr Gleich gewicht wieder. Mit einer leichten Verbeugung und einem freundlichen Lächeln wandte sic sich an Heinrich. „Ich danke, mein Herr! Sie haben uns vor einem bösen Unfall beschützt, ja vielleicht vor einer gefährlichen Verletzung —" „O bitte," wehrte er ab. „Sie fassen meinen unbedeutenden Dienst "viel zn hoch auf. Ich bin glücklich, daß ich Ihnen dienen konnte!" Wieder lächelte sie ans ihre freie, ungezwungene Weise. Ohne Ziererei reichte sie ihm die Hand, die er beinahe an die Lippen geführt hätte, als sie ihm dieselbe noch rechtzeitig mit einem geschickten Manöver entzog. 'Noch einmal einige Dankcsworte ihrerseits, eine respektvolle Verbeugung seinerseits — dann erfaßte sie den Arni der Freundin und führte sie mit sich fort. Lange noch sah Heinrich den beiden schlanken Ge stalten nach, die den langen Perron hinabschritten. Als sie in der Abfahrtshalle verschwunden waren, stand er noch, die Blicke »ach derselben Richtung sendend, stumm und regungslos da. Jetzt näherten sich ihm von der anderen Seite her schwerfällige Tritte. Er drehte den Kopf. Vor ihm stand in einer blauen Arbeiterblnse ein bärtiger Riese, der jetzt die Mütze zog und eine linkische Ver neigung machte. „Entschuldigen — Herr Sormann?" „Der bin ich," erwiderte Heinrich, schnell die Situation erfassend, „Sie sind von der Firma —?" „Zu dienen. Ich erwarte Sie mit dem Kutscher. Da ich aber nicht wußte —" „Schon gut. Hier ist mein Koffer. Ich folge Ihnen!" Mit einem Ruck schwang der Herkules das schwere Gepäckstück auf seinen glücken. Dann schritt er L-ormann voran. Draußen vor dem Bahnhofsgebäude stand die einfache Geschäftsequipage der Firma Ertl n. Hesse. Heinrich stieg ein, der Gepäckträger reichte ihm den Koffer und stieg zu deut Kutscher auf den Bock. Dann zogen die Pferde an, der Wagen wandte sich im scharfen Trab nach der Stadt zu. Bald bog der Wagen von der breiten Wollwcber- straßc in die berühmte Heiligcgeistgasse, dieses Denk mal des Mittelalters. Hier hat noch jedes der hohen, finsteren Giebelhäuser den sogenannten Beischlag, die breite Terrasse, die das Hausthor unmittelbar mit dem Straßeudamm verbindet. Vor einem dieser kunstvollen Steinbauten hielt das Gefährt. Der Blusenmann sprang herab, riß de» Schlag auf und zog den Koffer heraus. Heinrich stieg ans und schritt die kleine, mit einem gothischen Eisengeländer eingefaßte Steintrcppc zu dem Beischlag empor. Hier pochte der Diener nut einem blanken Messingklopfer an das Thor, das bald darauf seine eichen geschnitzten Flügel öffnete und die Männer einließ. Der Wagen kehrte um und fuhr nach der Breitstraße, die, mit der Heilige geistgasse parallel laufend, zum rückwärtigen Hans- eingange führte. Dort befanden sich die Kontors und Magazine, lieber dem breiten Thor prangte ein Riesenschild, das die Firma Ertl n. Hesse trug. Der Herkules führte den „neuen Disponenten" in eines der oberen Stockwerke, wo er ihm ein alt modisch, aber sehr behaglich möblirtes Zimmer anwicS. „Wann ist der Chef zu sprechen?" fragte Hein rich, während der Diener den Koffer niedersetzte. „Herr Ertl kommt um neun Uhr, bittet Sie aber erst um ein Uhr in sein Bureau." „Um ein Uhr erst? — Gut, ich werde erscheinen!" Als der handfeste Cyklop verschwunden war, stellte sich Heinrich an eines der Fenster. Er sah auf die alten Gebäude ringsherum, zwischen denen zur Linken der pittoreske Thurm der Marienkirche eniporragte. All' das Altehrwürdige, das ihn auf allen Seiten umgab, machte auf ihn einen unbeschreiblich behag lichen Eindruck. Hier also war die Stätte seines neuen Wirkens. Die Firma Ertl u. Hesse gehörte zu den ältesten und angesehendstcn Häusern der ehr würdigen See- und Handelsstadt. Der derzeitige Inhaber, Herr Friedrich Ertl, führte das Geschäft, das sein Urgroßvater mit einem Baron v. Hesse ge gründet hatte, in anerkannt »unsichtiger Weise fort, und all' die jungen Handelsbeflissenen der Stadt rechnete»» es sich zur besonderen Ehre, wenn sic bei dieser Firma in Kondition treten konnten. Aber sonderbar, die Gedanke»» Heinrich Tormanns machten plötzlich wieder einen Sprung und zwar auf den Perron des Bahnhofes, zu der holden Unbe kannten, der er den kleinen Dienst hatte leisten können. Die kleine Rokoko-Uhr auf der geschnitzten Kom mode, schlug bereits Nenn, als sich Sormann auf die Ottomane warf, um den zweifelhaften Schlummer während der Reise nachzuholen. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Carthaus. Daß auch Männer Hebe- amnienp fusch er ei als Gewerbe betreiben, kommt wohl nicht oft vor. Ein solcher Fall ist in unserem Kreise passirt. Jin Dorfe Kaminitza wurde von einer Mutter auf Anrathen ihres Ehemannes ein Nachbar zur Geburtshilfe heibeigerufen. Der Mann erschien auch, seine Thätigkeit scheint aber keine»» guten Erfolg gehabt zu haben, da das Kind todt zur Welt kam und nun auch die Mutter des Kindes gestorben ist. Gegen den unberufenen Geburtshelfer ist die gericht liche Untersuchung bereits eingeleitet. Gegen das Verfaulen und Auswachsei» des Getreides ist ciu einfaches Mittel von einem Landmann mit Erfolg angewandt »vorbei». Derselbe mähte trotz Regen ruhig seinen Roggen ab, band ihn in Garben, ließ auf dem Felde mit der Häckselmaschine die Aehrcn abschneiden, brachte sie auf Böden oder sonstige, vorher fein gesäuberte, trockene Plätze und ließ dort trocknen. Das Stroh ließ er auf den» Felde. Das Abschneiden der Aehrcn und das Trocknen ver ursachte zwar Arbeit, lohnte sich aber auch; denn der Landman» hatte wenig Ausfall, während der Roggen der anderen meist auswuchs oder verfaulte. — Kolossal schneidig. Ein heitere Verlob- ungsgcschichte macht in einer größeren Garnisonstadt viel von sich reden. Die Tochter eines sehr wohl habenden Fabrikanten hatte iin Hause ihrer Tante die Bekanntschaft eines jungen Offiziers gemacht, dessen Elter»» die alte Dame seit einer Reihe von Jahren kannte, und der bei ihr aus- und einging. Die beiden jungen Leutchen waren sich bald recht herzlich zngethan, und von der Frau Tante protegirt, machte der Herr Lieutenant kurzen Prozeß und hielt beim Vater seiner Angebeteten um deren Hand an. Das Resultat seiner Werbung bestand darin, daß der Ueberraschte sich die Sache zu überlegen versprach und dein Brautwerber eine»» Tag bezeichnete, an dein er ihm eine bestimmte Antwort geben wolle. Die Stnnde, zu der der Offizier sich den Bescheid per sönlich holen sollte, rückte immer näher. Da, an» Vorabend des Entscheidungstages, erhielt der Herr Lieutenant von seiner Herzensdame die Nachricht, daß Papa soeben, angeblich in wichtigen Geschäften, nach Berlin abgercist sei und daselbst in dem und dem Hotel logircn werde. „Aha, der will mir aus dem Wege gehen!" dachte der Lieutenant. Am an deren Morgci» wurde dem Herrn Fabrikbesitzer durch den Zimmerkellner eine Visitenkarte überreicht, doch kaum hatte sich der alte Herr von seinem Staunen erholt, da klopfte es an die Thür, und mit der Uhr in der Hand, trat ein stattlicher Offizier in das Ge mach, verneigt sich und sprach: „Verzeihen Sic, Herr S., aber nm l l Uhr wollte»» Sie mich sprechen, und eil» Soldat muß pünktlich sein." Schnell gefaßt, be grüßte der Zimmerbewohncr seine»» Gast durch einen kräftigen Händedruck, gab dein sich davon schleichen den dienstbaren Geiste leise seine Befehle, und als dieser später mit einein opulenten Gabelfrühstück er schien, faße»» die beiden Herren bereits in vertrau licher Unterhaltung auf dem Sopha. Das schneidige Auftreten des Lieutenants hatte dem Drückeberger gewaltig imponirt; kurz und bündig gab er seine Ein willigung, und bald überniittelte der Telegraph die Verlobungsanzeige den Verwandten in der Heimath. — Frankfurter Englisch. Es war noch zor Zeit wie der deutsche Bundesdag hie in Frankfort war — so erzählt die „Latcrn" — da hat der Hanö Klein, merr hotte»» das Schlappmaul gehaaße, no er is jetz schon lang dudt, da Hot der also vor den» Kon sul Murphy sein» Haus Holz klaa gemacht. Da kinnnt su c langer gakelichcr Engelänner, mit Mordsvad- dermerder »in Manschette, un frägt en: „18 Nister Nurpiizr ut siome?" — „Naa", scgt des Schlapp maul, er ist net dchaam." — „Is kis xone out?' — „Ja, er ist ausgauge." — ,,1'tumk z»ou!" —„IS gerne geschehe!" — Wie der lange Engelänner fort war, hat des Schlappmaul crscht lang vor sich hie geschtiert, dann hat er mit dem Kopp gcschiddelt und fegt: „Gott verdammich, jetzt kann ich englisch bab bele in» Habs gar net gewißt." Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.