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Beilage ju Ar. 90 des „Mts- und Meigeblattes". Eibenstock, den 1. Angust 1891. Die Jüdin von Heidelberg. Nach historischen Quellen erzählt von Fr. E. von Wickede. <10. Fortsetzung.) „Welche» Grund gab er an für seinen Besuch?" „Er sagte, daß er nach Eppiugcu zu gehe» beab sichtigt habe uud von dein rechten Weg abgekonnnen sei." „Das ist erlogen, denn wir trafen ihn kurz vor der Stadt, sodaß er nur die Augen zu öffnen nöthig hatte, um sie zu sehen," sagte Luise. „Ich zweifle nicht daran, daß er mich über seine wahre Absicht täuschen wollte und empfehle Euch, zu nächst hier zu bleiben. Gegen Abend führe ich Euch dann in die Grotte." Langsam verstrich der Tag nnd als die letzten Sonnenstrahlen das Thal beleuchteten, forderte Forn bach die Mädchen auf, sich bereit zu halten. „Je eher wir gehen, desto besser wird eö sein," sagte der Bauer, „denu ich bin ziemlich sicher, daß wir unwillkommenen Besuch erhalten. Mein Weib folgte dem Pilger in einiger Entfernung nach und sah, wie er im Hohlweg ein Pferd aus dem Dickicht zog, das er so gewandt wie ein erfahrener Ritter bestieg." In aller Eile packten die Mädchen ihre Mäntel zusammen und mit einem Körbchen voll Lebensmittel in der Hand, führte Fornbach seine Schützlinge in den Wald. Inzwischen war die Dämmerung herein gebrochen und unter dem dichten Lanbdach war cs fast Rächt geworden. Andreas hatte eine Laterne mitgenommen, um sich von dem Zustand der Grotte zu überzeugen, dieselbe war unter seinem Wannns verborgen, damit der Schein des Lichtes ihn nicht verrathe." Die Wanderer hatten soeben das Ende des Waldes erreicht, als sie von einer rauhen Stimme angerufcn wurden. Der unerwartete Schreck ließ den Alten die Vorsicht vergessen und die Laterne entfiel seiner Hand. Zugleich sah er aber ein halbes Dutzend Männer aus dem Gebüsch treten, deren Führer der Pilger zu sein schien. Ehe der Alte sich von seinem Erstaunen erholen konnte, war er umringt, die Laterne von einem der nächtlichen Spione aufgehoben nnd die Mädchen gefesselt. Mit rauher Hand riß der Pilger Eleonoren das Barett vom Haupte und sagte, sie beim Scheine der Laterne de» Gefährten zeigend: „Schöne Jüdin, Dein Gesicht hat Dich verrathe» und Du mußt mit uns gehen! Ich bin meiner Sache ganz gewiß, Leute; nehmt Euch des Alten an, vielleicht hat der Mark graf einige Worte mit ihm zu reden. Und nun vor wärts." Sechzehntes Kapitel. Ueberall Feinde. Roch war die Sonne nicht dem Osten entstiegen, als Martin Wilsdorf und sein getreuer Knappe die Thore von Heidelberg hinter sich ließen und im scharfen Trab Eppingen zu ritten. Bei dem alten Förster gedachten sic aus Rücksicht auf ihre Thicre eine kurze Rast zu halten, sanden indessen das ganze Anwesen wie ausgestorben. Es unterlag keinem Zweifel, da die Asche auf dem Herd kalt war, daß die Be wohner in der Nacht fortgeführt worden. Ohne Auf enthalt und im höchsten Grade aufgeregt über dies Ereigniß setzten sie ihren Weg fort und erreichten Fornbachs Besitzthnm gegen Mittag. Auch hier war keine lebende Seele zu finden uud der einzige Will komm, den die Reisenden erhielten, war der Widerhall ihrer eigenen Stimmen. Bestürzt sah Martin seinen Knappen an. „Sie mögen in die Berge gegangen sein, Fornbach sprach zu mir von einer Grotte, wo er iin Rothfall einen sicheren Zufluchtsort finden würde." „Bardolf," entgegnete der Ritter, „ich bin nicht mehr iin Zweifel darüber, daß die Dämonen hier thätig gewesen sind und alle Insassen des Hauses init sich genommen haben. Beim Ewigen, wenn sie in die Hände der Schurken gefallen wären." „Lasset uns sehe», ob wir die Grotte finden, viel leicht können wir Fußspuren entdecken." Die Beiden gingen dem Walde zu, emsig auf jede Spur achtend, ohne auf eine richtige Fährte zu gelangen. Da sahen sie plötzlich eine Fran aus dem Gebüsch treten, welche sie schon eine zeitlang beobachtet hatte, und als sie endlich über Bardolfs Person be ruhigt war, hcrvortrat. Es war dies die Frau des alten Fornbach, welche die Reiter als nutzlose Bürde zurückgclasscn hatten. Einen Augenblick hatte Martin durch diese Begegnung eine schwache Hoffnung in sich aufkommcn lassen, als er aber des Weibes bleiches Gesicht und entstellte Züge näher ins Auge faßte, wußte er mehr, als sie ihm sagen konnte. „Wo sind die Mädchen, Margarethe?" fragte Bardolf. „Alle gefangen nnd mein Mann dazu!" rief sie in größter Verzweiflung. „Aber sprecht, wohin sind sie geführt und auf welchem Wege?" „'Rach Heidelberg, Herr, auf der gewöhnlichen Straße." „Sonderbar, daß wir ihnen nicht begegnet sind, sie müssen schon in der Stadt gewesen sein, als wir fortritten," sagte Wilsdorf. „ES mochte wohl eine Stunde nach Sonnenunter gang sein, als sie hier sortritten," bemerkte die Frau, fortwährend ihren Thränen freien Lauf lassend. „Aufgesessen, Bardolf, und zurück nach Heidel berg!" rief Martin in höchster Aufregung, „jede Minute kau» ein Leben kosten!" „Aber Herr, die Pferde werden nicht aushalten." „Dann mögen sie stürzen, aber vorwärts muß ich ohne Zögern, wenn ich das Leben nach Heidelberg bringe, sollt Ihr Euren braven Alaun bald wieder sehen." Und dem Pferde die Sporen gebend, flog er dahin wie auf den Flügeln des Windes, nie in seinem Leben hatte er eine so bange Minute verlebt. Bei Försters Wirthshausc mußte indessen der Ritter dem Knappen Gehör geben und den Pferden Ruhe gönnen, wenn er sie nicht in der nächsten halben Stunde zusammen brechen sehen wollte. Bardolf machte sich über die Futtcrvorräthc her und da er mit den Stallungen bekannt war, hatte er bald das Röthige für die Pferde gethan, von deren Ausdauer die glückliche Rückkehr abhjßig. Traurig ging Wilsdorf im Zimmer auf nnd ab und mehr wie einmal schwur er dem Markgrafen den Tod. Rur nach vielem Zureden konnte Bardolf ihn bewegen, von den aufgefnndenen Lebensmitteln zu genießen, dem Wein sprach er mehr zu, da er hoffte, seine innere Aufregung damit zu betäuben. „Jetzt aber fort, guter Bardolf, ich ertrage dies Zaudern nicht länger!" rief Martin, sich wieder er hebend, „wir sind gestärkt und auch die Pferde werden ihr Theil bekommen haben." Ungern erhob sich der Knappe, aber mit der Ab sicht, nicht so bald die Thierc vorznführcn. Kaum hatte er indessen die Thürschwclle überschritten, als er mit einem Ausrufe des Schreckens ins Zimmer zurückeilte nnd die Thüre ins Schloß warf. „Was giebts, Bardolf?" fragte Martin, ihn ver wundert ansehcnd. „Wir sind umringt." „Richt möglich! Bon wem?" „Von wohl zwei Dutzend markgräflichen Reitern!" Martin war inzwischen ans Fenster geeilt und sah, wie soeben fast ein Dutzend derselben, unter An führung des markgräflichcn Hauptmannes Hilgenfeld, absaßcn und die übrigen zur Besetzung der Hüttern Thüre abgeordnet wurden. „Beim Himmel, man muß uns verfolgt haben," rief er, die Thüre verrammelnd. „Wollt Ihr Euch ergeben, Ritter?" fragte Bardolf. „Eher sterben!" Eine Schanzmauer ward sofort aus den vorhande nen Tischen und Stühlen hergestellt, aber sic war natürlich nicht genügend, um das Eindringen der Feinde zu verhindern. „Ritter Martin," redete diesen der Hauptmann an, „ich habe den Auftrag, Euch zu verhaften. Macht mir die Pflicht nicht schwerer, als sic mir ohnehin wird, sondern gebt Euch gefangen." „Wenn Ihr mich fangen wollt, so müßt Ihr erst zugreifen, gutwillig bin ich Niemands Gefangener," entgegnete Martin. „Seid nicht thöricht, Wilsdorf, seht die Uebcrmacht gegen Euch." „Ihr werde ich widerstehen nnd lebend komme ich nicht in Eure Hände." „Wilsdorf, ich bin nie Euer Freund gewesen, aber auch nie Euer Feind, es würde mir schwer werden, gegen Euch Gewalt anwenden zu müssen." „Thut wie Euch gefällt, wer sich mir nähert wird niedcrgemacht." Die Schwerter begegneten sick, aber trotz der Hiebe, welche der wackere Ritter austheilte, niußtc er der Uebermacht unterliegen. Unter günstigeren Ortsverhältnissen möchte sich der Kampf, wenn auch nicht ganz siegreich für ihn geendet, doch längere Zeit hingezogcn haben, aber von allen Seiten stürzten Gegner ans ihn ein, und während zwei den Knappen cngagirten, kämpften zwciundzwanzig mit dem tapfer» Wilsdorf. Drei Reiter büßten ihre Kühnheit mit dem Leben nnd Ritter und Knappe bluteten aus vielen Wunden, die man ihnen, nachdem sic an Händen und Füßen gebunden waren, nothdürftig verband. Hielienzehntes Kapitel. Der Markgraf. Der Diener der Vehme, welcher unter der Ver kleidung eines Pilgers die Mädchen gefangen und sammt ihrem Beschützer nach Heidelberg abgcführt hatte, erreichte die Stadt schon zwei Stunden nach Mitternacht. Während Andreas Fornbach in eines der unterirdischen Gefängnisse des heimlichen Gerichts geworfen wurde, führte man die Mädchen in des Markgrafen Schloß, wo ihrer ein wohleingericbtctes Zimmer harrte. Eine alte Dienerin empfing sie und sorgte aufs Beste für ihre Bequemlichkeit, indessen schien für dif Mädchen von deren Mitgefühl nicht viel zu hoffen sein, denn ihre Reden waren roher, wie die des gemeinsten Reiters, und init Verachtung wandten sie sich von ihr ab. Als das Weib nunmehr sah, daß man ihrer nicht bedürfe und sogar ihre Rathschläge zu dem freund lichen Empfange ihres Herrn zurückwies, entfernte sie sich nnd schloß sorgfältig die Thüre. Eleonore überließ sich ganz ihrem Schmerz. „Selbst jetzt noch dürfen wir den Muth nicht ver lieren," sagte Luise, „denn wir brauchen ihn nöthiger wie je. Unsere Freunde werden unser Schicksal er fahren, und wenn Hülfe möglich ist, kommt sie uns von dieser Seite." „Ach!" seufzte die Jüdin, „was können sic gegen diese Macht unternehmen! Mein Gefühl sagt mir, cs ist Alles vorbei!" „Wenn Alles sehlschlägt, Eleonore, dann haben wir noch einen Freund, zu dem wir beten können, er verläßt uns nicht." Sie sanken auf die Kniee und mehr Frieden denn zuvor zog in ihre Herzen ein. Dann von Müdigkeit überkommen, suchten sie ihre Lager auf und vergaßen auf kurze Zeit in erquickendem Schlaf ihr namenloses Leid. Hell und freundlich schien die Sonne in das Gemach, als die Mädchen erwachten. Als sie sich erhoben, mußten sie indessen bemerken, daß während der Nacht ihr männlicher Anzug verschwunden nnd gegen weibliche Kleider vertauscht worden war. Noch bei der Toilette beschäftigt, machte das Weib vom Abend vorher ihre Aufwartung und erkundigte sich sehr theilnehmend, wie die Jungfern geschlafen hätten. Im anstoßenden Zimmer hatte sie den Gästen ein Frühstück auftragen lassen nnd lud sie ein, sich dort hin zu verfügen. Ohne dazu aufgcfordert zu sein, erzählte sie den Mädchen tausenderlei Dinge von den Vorzügen des Markgrafen, rühmte namentlich seine Freigiebigkeit nnd gutes Herz und schloß ihre Lobrede mit der Aufforder ung, ihm bei seinem Besuch recht freundlich zu be gegnen. Den geängstigten Mädchen war es ordentlich wohl ums Herz, als diese alte Kupplerin sie verließ. Schmerzlich bewegt von dem Bewußtsein, daß man sie vcrmuthlich trennen würde, setzten sic sich nach eingenommener Mahlzeit neben einander, nm die Stunden, welche ihnen noch bis zu dem gefürchteten Augenblick bleiben würden, Hand in Hand zu ver plaudern. Alle ihre Gedanken waren natürlich auf die Zukunft gerichtet. Luisens Vertrauen auf die Hülfe ihrer Freunde war ein felsenfestes. „Daß sie einen Versuch machen, uns zu befreien, unterliegt keinem Zweifel," sagte sie, „ich kenne meinen Onkel zu genau, und irre mich in Ritter Alarkin sicher nicht." „Und wenn der Versuch fehlschlägt, meine theure Freundin," entgegnete Eleonore, aus dem Busen einen kleinen Dolch ziehend, „dann wird dies mein Erretter sein! — Horch, man kommt!" „Es ist der Markgraf!" Luise hatte wahr gesprochen, denn kaum waren diese Worte über ihre Lippen gekommen, als sich die Thür öffnete und der Markgraf, begleitet von dem alten Weibe, hereintrat. Ein kalter Schauer überlief die Mädchen. Seine grauen Augen schossen verlangende Blitze, als er die Jüdin vor sich sah. Nach einem höflichen Gruß wandte er sich zu Luise. „Ihr seid also die kühne Tochter unseres treuen Ritters von Antiochien?" ' „Ich bin seine Nichte, Herr Markgraf." „Nun, das wird nicht viel Unterschied in unser» Beziehungen machen. Diese Frau wird Euch in ein anderes Zimmer führen, während ich mit der Jnng- frau hier rede." Luise umschlang krampfhaft Eleonorens Hals, und wollte sich nicht von ihr trennen lassen. „Geh, Liebe, cs muß sein, mache uns die Trenn ung nicht schwer," sagte die Jüdin. Die Christin ging, aber mit einem Blick inniger Liebe ans die Freundin und tödtlichen Hasses ans den Mann, der jenen Frieden rauben wollte. Dann, wie eine Schlange sich dem gefangenen Vogel nähert, trat der schreckliche Mann auf sein Opfer zu. „Fürchtet Euch nickt vor mir, Jungfrau," sagte er mit schmeichelnder Stimme. „Euer Schicksal liegt in Eurer eigenen Hand. Ich liebe Euch und will Euch zu dem glücklichsten Weibe des Landes machen." Eleonore wagte nicht die Augen ;n ihm zu er-