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Seite 46 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Jahrg. 1886 Warum aber — so muss ich von vornherein beide Herren fragen, — warum muss denn für alle Farbentöne die Chrom beize angewendet werden? (Für die Oehler’schen Farben ist allerdings zur Herstellung einzelner brauner Töne auch Gerb stoffbeizung gestattet.) Nach meinen Versuchen kann der Chromsud sehr wohl bei allen rotben und braunen Farben entbehrt werden, und da Chromsud die Farben nicht echter macht, in vielen Fällen sogar ein früheres Erblassen bewirkt, so würde ich ihn nur da anwenden, wo ich ihn (wie z. B. bei einem recht feurigen Olive) nicht umgehen kann. Es ist schon wahr, dass diejenigen Wollen, welche mit Sandei oderKaliatur braun oder olive gefärbt werden, weicher bleiben und sich besser spinnen lassen, wenn man sie zuvor mit Chrom an- siedet; — die Farben sind dann jedoch nicht so echt, wie die ungesottenen. Das liegt nicht etwa in den Farbstoffen, denn diese sind ja in beiden Fällen dieselben, sondern an der Beize, die durch Licht und Luft allmählich ihre Kraft verliert, was das Ermatten oder Erblassen der Farben herbeiführt. Da nun bei Anwendung dieser neuen Farbstoffe kein Sandei die Wolle spröde machen kann, so ist jener Grund, Chrombeize anzu wenden, hinfällig. Ich habe mit dem Oehler’schen Tuchroth theils nach der gegebenen Vorschrift, theils nach eigenen Methoden versch'edene Versuche in Roth und Braun gemacht (wobei das Roth, welches ich mit Krapprothbeize, und das, welches ich auf einem Wasser mit Zuckersäure und Chlorzinn gefärbt hatte, schöner ausfiel, als die eingesandten mit Chrom gebeizten Muster), habe dann sämmtliche Muster (die eingesandten und die von mir ge färbten) gleichzeitig und an demselben Ort dem Wetter aus gesetzt und auch hier gefunden, dass die ohne Chrom her gestellten Farben bedeutend besser Stand hielten, als die mit Chrom gesottenen. Die Letzteren waren in’s Hellröthliche übergegangen, während die Ersteren fast unverändert ge blieben waren. Das ist der grosse Vorzug dieser neuen rotben Theer- farben, —- die Fuchsine sind hier nicht gemeint, — dass sie sich in allen Verhältnissen und unter allen Umständen sehr leicht und schnell mit der Wollfaser verbinden.' Und dies gilt nicht etwa nur von den oben genannten. Ich habe nämlich auch mit „Scharlach 3 R“ und mit „Ponceau“, wie ich beide zufällig auf Lager hatte, dieselben Versuche wiederholt und (den Unterschied im Farbenton abgerechnet) in jeder Be ziehung dieselben Resultate erhalten, wie mit Tuchroth. Ich kann deshalb auch mein Gutachten nicht dahin abgeben, dass diese neu angepriesenen Farbstoffe „besser“ seien, als die anderen bereits bewährten, denn sie haben neben den grossen Vorzügen auch die kleinen Mängel mit den älteren gemein. Hierzu rechne ich besonders das Bluten in und nach der Walke. Es ist eine Selbsttäuschung der Herren Referenten, wenn sie diese charakteristische Erscheinung oder Eigenschaft sämint- licher rothen Theerfarben für ihre Klienten in Abrede stellen möchten. Ich habe die von ihnen der Redaktion d. Bl. ein gesandten gefärbten Muster (von denen man wohl annehmen darf, dass sie mit ganz besonderer Sorgfalt behandelt worden sind), ebenfalls auf diese Schwäche hin geprüft und muss sie hiermit bestätigen. Ich habe nämlich die einzelnen Muster angefeuchtet, in jedes ein weisses wollenes Fädchen fest ein gewickelt und in der Feuchtigkeit über Nacht liegen lassen: Am nächsten Morgen waren sämmtliche weisse Fädchen ge- röthet oder schwach angefärbt! Auch das liebliche weiss- und rothcarrirte Muster, welches mit den Oehler’schen Tuchproben eingesandt wurde, und welches, wie sich gar nicht verkennen lässt, als ganz kleiner Coupon gewalkt worden ist und somit gewiss nicht über Nacht feucht gelegen hatte, kann nur den Laien täuschen, des Fachmanns Auge sieht, dass die Farben geblutet haben. Das ist aber auch das einzige Bedenken bei Anwendung dieser Farbstoffe, was zur Vorsicht mahnt für den Fall, dass die so gefärbten Wollen und Garne in Verbindung mit Weiss verwebt werden. In allen übrigen Fällen, und ganz besonders bei Stücken schwindet jedes Bedenken. Allerdings darf man nicht vergessen, mit Stücken stets kalt, mit Wollen und Garnen höchstens gut lauwarm einzugehen, wenn man bei dem schnellen Anfallen des Farbstoffes an die Wollfaser nicht Gefahr laufen will, Flecke und Ungleichheiten zu erhalten. Wie einst die Buchdruckerkunst der Reformation, so ebnen diese neuen rothen Farbstoffe und mit ihnen die Bisulfitküpe den ebenfalls neu erfundenen Färbe-Maschinen oder Färbe- Apparaten (z. B. System Obermaier) die-Wege. Ein gutes solides Braun oder Olive konnten wir bisher ohne Sandei oder Kaliatur nicht darstellen; Rothholz wurde für Walkwaare immer nur im Nothfall angewendet; Sandei und Kaliatur geben ihren Farbstoff aber nur dann vollständig an die Wollfaser ab, wenn sie unter Kochen in innige Berührung mit derselben gelangen. Solche Farbstoffe sind bei Anwendung der neuen Färbemaschinen selbstverständlich ausgeschlossen, so dass man, um Braun und Olive darauf zu färben, zum weniger soliden Rothholz die Zuflucht hätte nehmen müssen. Dem ist durch die neuen Farbstoffe also vorgebeugt, und so gehen denn in der That die neuen Erfindungen Hand in Hand miteinander, sich gegenseitig Bahn brechend, und die Zukunft wird ihnen gehören. Wenn der Verfasser des Artikels „Alizarinfarben“ (in Nr. 76) aber sein Bedauern ausspricht über die Schwerfällig keit der deutschen Färber bei Einführung der neueren Farb stoffe, so hat er den Nagel auf den Kopf getroffen bei der Annahme, dass hieran das eingewurzelte Misstrauen gegen jede Neuerung schuld sei. Dieses Misstrauen ist leider zu tief be gründet; doch würde es zu weit führen, dasselbe hier weit läufig zu erörtern. Was sich als gut bewährt, das bricht sich auch in Deutschland Bahn, besonders wenn das Gute auch noch den Vortheil der Wohlfeilheit in sich schliesst. Die Theerfarben, welche uns entweder ganz neue Farbentöne oder einen Ersatz für die theuere Cochenille etc. brachten, haben unbestritten einen sehr schnellen Eingang bei uns gefunden, und wäre nicht so viel Unsolides darunter gewesen, dann würde auch das Misstrauen bei uns nicht so tiefe Wurzeln ge schlagen haben. Es kommt aber hierzu noch, dass sich seit einer Reihe von Jahren die Herren Chemiker mit der Er findung neuer Farbstoffe wahrhaft überhasten und überstürzen, so dass augenblicklich in der That Hunderte von neuen Farb stoffen Einlass in die Färbei’eien fordern. Wer soll denn nun alle diese Produkte prüfen, ob sie das Prädikat „vorzüglich“, „passirbar“ oder „draussen bleiben“ verdienen? oder glauben die Herren, dass die Färber nach so mancher trüben Erfahr ung alle diese Neuheiten ungeprüft annehmen sollen?! Es ist darum nicht nur Misstrauen, sondern auch Apathie, Ueber- sättigung, die sich bei uns eingestellt hat. Der Färber will und muss arbeiten, um zu verdienen, nicht aber ewig nur probiren, um schliesslich zu verarmen!