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Seite 238 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Jahrq.1885 botschnig (Bagni di Casciana, Italien), hat hier deren Verarbeitung zu mannigfachsten Gebrauchsartikeln in einer reichen Collection vorgeführt und übertreffen diese Artikel in ihrem praotischen Werthe ganz entschieden alle jene der Flachs- und Hanfhereitung. (!) Nach den umfassendsten Erfahrungen des Erfinders, dessen Eigenthumsrecht in alleu europäischen und ameri kanischen Staaten durch Patent geschützt erscheint, sind alle Ginsterarten mehr oder weniger auffallend faserreich und erfolgt die Gewinnung des in allen Richtungen vorzüg lichen Faserstoffes auf eigenthümlich chemischem Wege, wobei jedoch der Bedarf an Chemikalien 1 Gulden , per Centn er nicht übersteigt. — Es ist die Ginsterfaser die stärkste oder festeste von allen bisher bekannten Natur faserstoffen; es kann dieselbe bis zur Qualität der ersten Atlasseide gebleicht werden und nimmt solche auch alle, selbst in schwierigsten Compositionen hergestellten Farben leicht an, welch’ letzterer Umstand, dem Flachse und Hanfe gegenüber, abermals als von unendlichem Vortheile erkannt werden muss. Weiter ist dann noch besonders hervorzuheben, dass die Ginsterfaser nicht, wie alle übrigen Gespiunste, durch Feuchtigkeit, Nässe oder Seewasser leidet, sondern durch solche Einflüsse vielmehr nur an Zähigkeit gewinnt und zu einer Haltbarkeit gelangt, welche deren Product, als Taue oder Stricke u. s. w., ohne Eintheeren u. s. w., weit über diejenigen aus Hanf und Flachs stellt.“ • Der in Obigem angedeutete eigenthümlich chemische Weg (!), welcher zur Darstellung des Faserstoffes aus Pflanzen der Gattung Ginster eingeschlagen werden soll, ist jedoch keineswegs gar so eigenthümlich, denn das vom Erfinder in Gemeinschaft mit einem Herrn M. Müller-Wien in England genommene Patent besagt Folgendes: Es werden die Stengel der Pflanzen dicht oberhalb der Wurzel abgeschnitten, in kaltes oder heisses mit Alkalilauge versetztes Wasser gelegt und darauf der gleichen Behandlung wie Flachs oder Hanf unterworfen, also geröstet, gebrochen und gehechelt. Wir haben in Vorstehendem nur einige der vielen in den letzten Jahren in Vorschlag gebrachten neuen Gespinnst- püanzen erwähnt, was jedoch schon genügen dürfte, um zu zeigen, auf welchen Bahnen sich die betreffenden Vorschläge bewegen. Die in letzter Zeit so häufig genannten einheimi schen und fremden Nesselarten haben wir deshalb nicht angeführt, weil sie, selbst in dem von uns gebrauchten erwei terten Sinne, keine neuen, sondern seit Jahrhunderten be kannte und benützte Gespinstpflanzen sind — bereits Virgil redet davon in dem Georgikon — und weil sie längst den Beweis ihrer industriellen Verwendbarkeit gegeben haben, während sehr viele der in den letzten Jahren empfohlenen neuen Gespinstpflanzen meist nur problematischen oder gar keinen Werth besitzen. In jedem Falle wäre es besser, wenn man sich nunmehr weniger mit dem Aufsuchen neuer Gespinstpflanzen, als vielmehr damit befassen würde, die Frage der Isolirung der Nesselfaser zu studiren. Denn gelingt es, eine schnellere und zweckmässigere Trennungsmethode für die Nesselgattungen aufzufiuden, dann kommt dies allen Bastfasern der Textil pflanzen zu Gute. Eine derartige Erfindung gehört aber durchaus nicht in das Reich des Unmöglichen, sondern sie muss für uns eine ernste Aufgabe sein! Welch’ gewaltigen Einfluss eine derartige Erfindung auf die gesammte Textilindustrie haben kann, lässt uns die Ge schichte der Baumwolle erkennen, deren Weltherrschaft ja nur in Folge der Erfindung der Egrenirmaschiue möglich geworden ist! In der von uns vorstehend angedeuteten Richtung bietet sich also für Fachmänner noch ein Feld fruchtbringender Thätigkeit, welche in ihren Folgen für die Textilindustrie jedenfalls segenbringender sein würde, als die von Zeit zu Zeit in die Oeffentlichkeit dringenden Entdeckungen „neuer Gespinnstfasern“. Ginge es in letzterem Punkte so fort wie bisher, so sollte es uns nicht wundern, wenn ein kluger Kopf einst auf den Einfall käme, die im Volksmunde unter dem Namen: „alter Weiber Sommer“ bekannten Herbstfäden zu verspinnen! Ueber Jlode-Neuheiten. „Les Tissus“ schreibt in seiner Industriellen Causerie bezüglich der Anwendung von Caschmire, Mohair und anderen Wollen, die weich im Anfühlen, seidenartig und glänzend von Character sind, und von welchen wir in unserer letzten Causerie sprachen, wollen wir, sofern es sich um Stoffe zu Ueberziehern und Damenmäntel handelt, noch einige nützliche und sehr interessante Ergänzungen beifügen. Zuerst müssen wir sagen, dass die Muster-Effecte viel aus platten, sehr characterisirten Diagonalstreifen bestehen werden. Die tuchartige Appretur wird noch sehr häufig angewendet werden. Viele andere Dessins und Appretur-Verfahren werden noch beifällig aufgenommen werden, wenn sie ein schönes Gepräge tragen, bescheiden, ohne Extravaganz, klein, einfach, ernst und correct sind. Wir führen als Beispiel einen dieser Diagonalstreifen an, der so appretirt ist, sehr wohl gefällt und dem der Beifall gesichert ist. Der Stoff ist ungefähr wie folgt erzeugt: Die Kette und der Unterschuss bestehen aus einer Mehr ung von 65 Procent geringer Wolle und 35 Procent Caschmir- wolle. Von dem letztgenannten Rohstoff kommt mehr in den Überschuss, welcher fast aus lauter Caschmire, von schöner, seidenartiger und glänzender Qualität besteht. Dieses Garn wird zu 7000 Meter pro Kilogramm ungewaschen gesponnen. Die Kette ist einfarbig und glatt; die Bindung Zoiclmung . besteht aus 1 und 1, wie neben angedeutet. Ein- BP583m' Stellung: 3000 Fäden. Breite: 1,83 Meter 170 ._ Schuss pro Decimeter. Einzuwalken: 10 Procent ■ i oder mehr von der Länge. Breite: l,4o Meter [|fc r tl£§. s zwischen den Leisten. Appretur gerauht auf der oberen Seite; die Wolldecke wird wenig oder gar □□■mom nicht geschoren. Man braucht 800 bis 880 Gramm pro Meter fertigen Stoffs. Unter diesen Bedingungen erzielt man ein Erzeugniss von genügender Stärke, geschmeidig weich, sehr zart und warm im Anfühlen; die langhaarige, sehr dichte Wolldecke der Oberseite bildet sehr in’s Auge fallende Diagonal streifen unter dieser glänzenden Wolle, und die Waare wird das Gepräge eines hohen Werthes tragen. Man studirt auch in diesem Augenblick mit Vortheil ein Genre, dessen reizenden Effect mit gezwirntem rankigem Garne, das Chenille bildend, erzielt wird. Der Beifall, mit welchem die bedeutendsten Tuchhandlungen dieses Genre aufnehmen, beweist ohne Widerrede seinen reellen Werth. Der Stoff ist