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Jahrg. 1885 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Seite 133 EXTIL-INDUSTRIE. Chef-Rf.dactf.ub.: PH. ZALUD in Chf.mmtz. Nr. 12. Chemnitz-Leipzig-Wien, 15. Juni 1B85. VII. Jahrg. Inhalt. Abhandlungen: Die Baumwollen-Industrie in England. — Nouveautes. — Muster-Compositionen (Fig. XXXY). — Azulin-Blau auf wollene Waare. — Indigo. — Die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der Cattundruckerei. — Neuerungen und Ver besserungen: Automatische Ananasmuster-Strickmaschine. — Appreturmaschine. — Schützenschlag-Vorrichtung für mechanische Webstühle mit Oberschlag. — Verfahren zur Herstellung von Perlengeweben. — Flechtmaschine für Einfass-Borden. — Verfahren, um Gewebe durch partielle Contraction ihrer Fäden mittelst chemischer Mittel zu mustern. — Bleichverfahren. — Patentwesen: Anmeldung, Ertheilung, Erlöschung von Patenten in Deutschland. — Mittheilnngen: Die österreichischen Webeschulen. — Inserate. ävsvsj ■ ABHANDLUNGEN. Die Baumwollen-Industrie in England. Von G. Glass. Die Londoner Ausstellung von 1851 gab der Welt zum ersten Male einen gründlichen Einblick in die Ursachen, welche die Baumwollen-Industrie zu einer hohen Vollendung und Aus dehnung in Grossbritannien gebracht hatte. Die allgemeine Befürchtung, welche zur Zeit in allen Kreisen herrschte, dass andere gewerbtreibende Nationen viel Nutzen zum Nachtheile Englands aus der Euthüllung mancher Geheimnisse der Fabri kation ziehen würden, ist nicht durch Thatsachen berechtigt worden und obgleich englische Maschinen in grosser Zahl auf dem Continent und in Amerika copirt wurden, so regte dieser Umstand die unternehmenden Fabrikanten von Lancashire nur zu grösserem Wetteifer in der Einführung verbesserter Apparate und neuer Erfindungen an und hat zu ununter brochener Vergrösserung der Production von baumwollenen Garnen und Stückwaaren geführt. Dieser Umstand verdient deshalb besondere Anerkennung, weil die einheimischen Spinner und Weber scheinbar gegen ihre europäischen Concurrenten durch verschiedene Factoren beeinträchtigt waren, wovon in erster Linie erheblich höhere Löhne und Verkürzung der Arbeitsstunden und ausserdem, obgleich in geringerem Grade, der überall erhobene Schutzzoll zu erwähnen sind, während fremde Fabrikate zollfrei in Eng land eingeführt wurden. Den Verbesserungen der Maschinen und der grossen Tüchtigkeit der Arbeiter war es möglich, den ungünstigen Verhältnissen gegenüber den früher erworbenen Ruf nicht nur zu behaupten, sondern bedeutend zu vergrössern. Die vernehmlichste Aufmerksamkeit wurde der Ersetzung von Handarbeit durch mechanische Thätigkeit gegeben, welche letztere an Zuverlässigkeit und Zeitersparnis grosse Vortheile gewährte und sich jetzt so entwickelt hat, dass es nichts Ungewöhnliches ist, eine Spiudel 8000 Mal pro Minute um ihre Achse drehen zu machen und sie gleichzeitig mit zwanzig Procent mehr Baumwolle als früher zu beschweren. Die Maschinen arbeiten mit grösserer Regelmässigkeit und Genauig keit als vor Jahren, kommen seltener in Unordnung und halten die grössere Thätigkeit, der sie ausgesetzt sind, sehr gut aus. Obgleich die Arbeitszeit von 60 auf 56 V* Stunden pro Woche — also auf ungefähr 9 x / 4 Stunden täglich — reducirt worden ist, hat sich die Production per Spindel dem- ungeachtet um etwa 22 Procent erhöht, und wie sich das Geschäft in der Verarbeitung roher Baumwolle und der Export baumwollener Waaren vergrössert hat, beweisen einige Zahlen. Im Jahre 1860 wurden etwas mehr als 1083 Millionen Pfund Baumwolle in England verbraucht, in 1884 dagegen 1482 Millionen; im ersteren Zeitraum betrug der Werth der exportirten baumwollenen Garne und Stückwaaren 52 Millionen Pfund Sterling und hatte in letzterem Jahre die Summe von 73 Millionen erreicht. Man macht jetzt anerkenneuswerthe Anstrengungen, die fernere Ausdehnung des grossen Handels in Stückwaaren nicht durch die berüchtigte Ketten-Grundirung — oder richtiger Verfälschung — zu beeinträchtigen; die Frage ist jedoch nicht leicht zu erledigen und muss von verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Manche wollen den ganzen Process auf geben, weil das Einathmen des unvermeidlichen Staubes, der sich während der Bearbeitung loslöst, die Gesundheit der Arbeiter beeinträchtigen soll. Andere verwerfen ihn aus Gründen commercieller Moralität, doch scheint es ziemlich klar zu sein, dass die Art der Manipulation selbst von Fach leuten nicht gründlich verstanden wird, denn thatsächlich ist dieselbe jetzt so verschieden gegen früher, dass es interessant ist, zu ermitteln, was in den englischen Baumwollendistricten unter der Bezeichnung: „Fortschritt im Grundiren“ eigentlich gemeiut wird. Der verstorbene Sam. Mendel von Manchester, der seiner Zeit eine grosse Rolle als Käufer und Exporteur baumwollener Waaren spielte, veröffentlichte vor einigen Jahren einen Artikel, in dem er die Aufmerksamkeit des Publikums auf die übliche Grundirung der Kette in baumwollenen Stoffen lenkte, welche dem Exporteur oft grossen Schaden wegen des angesetzten Schimmels bringe. Derselbe entstand, ausser durch feuchte Verpackung, dadurch, dass in den Schiffböden, in denen die Ballen lagerten, keine Ventilation existirte. Man hat sich seitdem bemüht, eine Abhülfe gegen diesen Nachtheil in chemischen Processen zu finden, welche die Beibehaltung der Grundirung gestatteten. — In 1871 sandten die Todmorden Weber eine Bittschrift an die Regierung, in der sie auf den ungesunden Zustand der Industrie, die sich bisher durch das Gegentheil ausgezeichnet, hinwiesen, und den sie dem fort währenden Einathmen des Thon- und Leimstaubes zuschrieben, der durch die im Grundirungsprocesse benutzten Materiale erzeugt wurde. Die Regierung beauftragte Dr Buchanen, die Angelegenheit eingehend zu prüfen und Letzterer verfasste einen Bericht, in welchem er erklärte, dass 20 Jahre zuvor gegohrenes Mehl und Talg in den Webereien benutzt wurden, um der Kette Stärke zu verleihen und die Reibung während der Fabrikation zu vermindern. Ein Mittel, die staubige Farbe, welche der Stoff durch die Benutzung schlechten oder billigen Mehles erhielt, zu entfernen, war, dass mau Porzellanthon (china clay) hinzufügte, welcher das Gewicht vergrösserte und deshalb den Verbrauch einer geringem Quantität Talges ermöglichte. Die allgemeine Einführung des neuen Zusatzes wurde durch zwei unvorhergesehene Ereignisse begünstigt und zwar durch den russischen Krieg, der den Preis von Talg in die Höhe trieb, und den amerikanischen Krieg, der die Fabrikanten nöthigte, das Bestmögliche mit der kurzfaserigen indischen