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Jahrg. 1881 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Seite 259 pl ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT I •tyf | - • x EXTIL-1NDUSTRIE. • Q '/• ü V&V SV H* Chef-Redacteur: PH. ZALUD in Chemnitz. kxx^xxxixxxxxxxxxixxxxxxxixxiiixxxxxxxxixxxxisxxzxzxxzxrxixxxxxxxzxid > < A • V" Nr. 17. Chemnitz—Leipzig, 15. September 1881. III. Jahrg. Inhalt. Abhandlungen: Wieder einmal Nesselfasor oder Chinagras von F. D. Fischer. Muster-Compositionen. Vorrichtung an Wirkmaschinen zur sicheren Verstellung der Knlirtiefe während des Wirkens.—Schneideapparat für Doppelsaramt. — Uriginal-Fürberei- Reeepte. — Druckmuster (*2 Proben). — Die Theerfarben-Industrie auf der Frankfurter Ausstellung 1SS1. — Oelspar - Apparat. Mittheilangen: Eingesandt. — Facbschulzeitung. - Xotiz. - -Vom Maschinenmarkte. — Patentwesen: Erloschene Patente. — Patent-An meldungen, Ertheilungen, Erlöschungen. — Inserate. ........... ^\S\S\S\SSS\SVS\S\S\S\5\S\3 ÄHMi N DMIQE N, yeäjätwwg »Irr TTTTTTTTTTTTTTTT r TTTTTfTTTTTTTTTT« M ieder einmal Nessel faser oder Chinagras. Dieses Thema ist schon mehrfach in dieser Zeitung behandelt worden und Einsender selbst hat schon einige Male darüber geschrieben. Der Gegenstand ist indessen wichtig genug, dass immer wieder darauf hingewiesen wird, und zwei neuliche Vorkommnisse veranlassen auch den Verfasser dieses wieder auf die Wichtigkeit dieser im Entstehen begriffenen Industrie zurückzukommen. Zuerst war es ein Artikel in Nr. 28 des „Rheinischen Jacquard“, unterzeichnet Felix Fremerey, der mir diese Angelegenheit recht lebhaft wieder in’s Gedächtniss rief, ein anderes Mal waren es mir vorgelegte, aus Nesselgarn gewebte Stoffe, welche mich bestimmen, der Sache erneute Aufmerksam keit zu widmen. Herr Fremerey bespricht mit grosser Liebenswürdigkeit die Verdienste der Herren Dr. Grothe und Bouche um die Nesselcultur und das ist sehr schön; ist es doch oft der einzige Lohn, der Männern, die für das Gemeinnützige eintreten, zu Theil wird, dass sie von der einen oder der anderen Seite einmal eine kleine Anerkennung erfahren. Ob die deutsche Nessel sich ebenso gut zum Spinnen eignen wird wie die amerikanische, darüber habe ich noch keine eigene Erfahrung und es dürfte auch noch nicht entschieden sein. Indessen ist die Structur des Stengels und der Faser der euro päischen Nessel der amerikanischen in der Hauptsache ganz gleich und dass unsere Nessel spinnhar ist, wurde längst nachgewiesen; nur die Frage bleibt noch offen, oh sie dieselbe Feinheits- nummer der Garne hergehen wird wie die überseeische, wäre das aber auch nicht der Fall, so eignet sie sich unbestritten wenigstens zu stärkeren Nummern und es bleibt immerhin ein grosses Verdienst, eine bisher als werthlos betrachtete Pflanze der Industrie nützlich zu machen. Wir kommen nun zum Spinnen der Nesselfaser. Es ist erwiesen, dass die Faser eine vielfach grössere Festigkeit besitzt, als Flachs und Hanf, nebenbei einen feineren Staple hat und deshalb sehr werthvoll ist. Das hat man auch längst ein gesehen und schon vor länger als 10 Jahren wurden Versuche damit gemacht, die aber, weil sie nicht gleich vollständig befriedigten, wieder eingestellt wurden. Es lag dies zunächst daran, dass man die Nessel als Beimischung zu anderen Faser stoffen, z. B. zur Filoselle oder Floretseide zu benutzen suchte, was aber Schwierigkeiten beim Färben ergab, weil die Nessel sich mit der Seide nicht gleichmässig ahfärhen Hess. Es ging der Nessel oder dem Chinagras gerade wie vielen anderen Sachen. Als die ersten Fäden Garn aus Jute hergestellt waren, war die Meinung allgemein die, Jutegarn werde sich nie zu etwas Besserem als zum Verweben von Säcken, Fussdecken etc. verwenden lassen; heute sind Tausende von mechanischen Stühlen damit beschäftigt, schöne Decken, Teppiche, Vorhänge, Bordieren etc. aus Jute herzustellen. Als ich vor ca. 3 Jahren der Idee oder dem Project einer Veredelung des Flachses und Einführung einer rationelleren Flachshaumethode das Wort redete, zuckte man die Achseln. Heute haben alle landwirtschaftlichen Vereine dieselbe auf ihr Programm geschrieben und die Firma Joh. Dav. Oehme & Sohn, welche sich bewegen liess, die Sache in die Hand zu nehmen, hat einen fast europäischen Ruf dadurch erlangt. Gleiche Schwierigkeiten boten und bieten sich noch der Nessel- oder Chinagrasspinnerei dar. Als vor nunmehr eben falls 3 Jahren der Erfinder eines Präparationsverfahrens die Nesselfaser vom sogenannten vegetabilischen Leim zu befreien und derselben eine grössere Milde und einen seidenartigen Glanz beizubringen einen Käufer oder Socius zur Ausnutzung seines Patentes suchte, wollte sich Niemand entschlossen, das selbe mit einer unbedeutenden Auslage zu unterstützen und ausnutzen zu helfen; erst ein Jahr später fanden sich zwei intelligente Männer, welche die Sache in die Hand nahmen und es entstand die „Erste deutsche Chinagras-Manufactur“ in Dresden. Selbstverständlich hatte auch dieses Unternehmen zuerst mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die ersten Gespinnste waren nicht fein genug, man brachte es im Anfänge blos bis auf Nr. 30, während Nr. 40 und 50 verlangt wurde; jetzt habe ich bereits Nr. 60 und 80 gesehen, und es ist keinem Zweifel unterworfen, dass man bald Nr. 100 und noch höher spinnen wird; zumal das Präparationsverfahren bedeutende Verbesser ung erfahren hat. Im ersten Anfänge behielt die Faser immer noch etwas Steifes und Starres und war noch nicht gut genug gelöst, jetzt habe ich Garn und Gewebe gesehen, welches an Seidenartigkeit und Gleichheit nichts zu wünschen übrig lässt. Es ist eine traurige Wahrnehmung, dass zu Schwindel unternehmungen stets Geld flüssig wird, während das Capital sich von soliden und reellen Sachen oft zurückzieht; ja es wird den Pionieren des industriellen Fortschrittes oft noch recht schwer gemacht. Indessen ist bereits eine zweite China grasspinnerei etablirt und eine dritte in Deutschland projectirt. Einsender hofft daher, zu erleben, dass auch die deutsche Nessel als werthvoller Faser- und Spinnstoff noch ihre An erkennung findet, das Zeug dazu ist vorhanden. J. D. Fischer. Muster-Composition. Sommersaison 1882. Bezeichnung der Garne: A, dunkl. gezw. Kammgarn 30,000 m. B, hell £ezw. Kammgarn 30,000 m. C, gezw. zwei Kammgarn 22,000 m, mit dunkeln und grellen Nuancen flammirt 50 Touren per Decimeter aufgedreht.