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Jah/rg. 1882 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Seite 123 BP! ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT •* wm m EXTIL-IN DUSTRIE. t % H • CiTEF-KF.DArTF.UB: PH. ZALUD in Chf.mnitz. <8 V&V • >• - «v''• x* * »K ?" Nr. 9. Chemnitz-Leipzig, 1. Mai 1882. ir. Jahrg. Inhalt. Abhandlungen: Zur Geschichte des Chemnitzer Maschinenbaues. — Löhne und Lebenskosten der Textil-Arbeiter in England und Nord-Amerika. — Die englischen Fabrik zustände. — Heber das Spinnen eines offenen, vollen Baumwollenfadens ohne Anwendung der Schlagmaschine. — Muster-Compositionen. — Künstlicher Indigo. — Original-Färberei- und Druckerei - Kecepte: Seiden-Druckmuster (1 Muster). — Anilinschwarz zum Druck auf Baumwolle. — Heber Walkextract. — Neuerungen und Verbesserungen: Neuerung in der Nadeliagerung der Wirkstühle. — Neuerung am Spindelbetrieb bei Feinspinnmaschinen. — Neuerung an Gasbrennern für Sengemaschinen. — Waarenerbreiterungs- und Appretur- Brechmaschine. — Strickmaschinen-Nadel mit verschiebbarer Zunge. — Sammel-Apparat für Abgangfäden an Mule-Feinspinnmaschinen. — Neuerungen an dem durch Patent Nr. 13,130 geschützten Speiseapparat für Spinnerei-Yorbereitungsmaschinen.—Vorrichtung zum Mischen der Salzsäure mit atmosphärischer Luft behufs des Carbonisirens von Textil stoffen. — Inserate. Zur Geschichte des Chemnitzer Maschinenbaues. i. Zwei nach alten Photographien hergestellte Oelgemälde, die Porträts der verstorbenen C. G. Hauhold und C. G. Haubold jun. vorstellend, brachten den Verfasser dieses auf den Gedanken der Entwickelung des Chemnitzer Maschinen baues im Allgemeinen und es ist dies interessant genug, hier Raum zu gehen. So wie oft im Leben aus kleinen Anfängen Grosses ent steht, während umgekehrt einzelne Branchen durch die Un gunst der Verhältnisse auch wieder zurückgehen, so ist es auch mit der Maschinenindustrie, aber mit Freuden kann man con- statiren, dass der Maschinenbau jederzeit vorwärts gegangen ist und Dimensionen angenommen hat, wie man sie früher kaum geahnt. Der Gedanke, die um jene Zeit aus England herüber kommenden Spinnereimaschinen hier am Platze selbst zu hauen und die ersten Anfänge dazu rühren vom alten C. G. Hauhold her, seines Gewerbes ein Zimmermann. Dass ein Zimmermann auf den Gedanken kam, Spinnereimaschinen zu hauen, wird dadurch erklärlich, dass die damaligen Maschinen in der Hauptsache aus Holz waren und überhaupt so wenig complicirt und einfach, dass der Nachbau keine grossen Schwierigkeiten darbot. Wie die Geschichte von Chemnitz lehrt, wurde im Jahre 1800 die erste Baumwollspinnerei hier errichtet, da aber die Unternehmer ein zehnjähriges Privilegium erlangt hatten, so mussten weitere derartige Unternehmungen für diese Zeitdauer unterbleiben, bis vom Jahre 1810 an mehrere solche Etablisse ments in’s Lehen traten. Die Maschinen dazu wurden zwar zunächst immer noch vom Auslande bezogen, aber bald be- fleissigten sich unsere Techniker und Holz- und Eisenarheiter, das ausländische Fabrikat zu ersetzen und Haubold war, wie bereits erwähnt, der erste der den Spinnereimaschinenbau in die Hand nahm. Trotzdem dass Hauhold mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, da noch keine im Fache geübten Arbeiter vor handen waren und auch aus anderen Gründen nicht so vortheil- haft gearbeitet wurde, als es hätte geschehen sollen, so ent wickelte sich das Etablissement infolge des natürlichen Bedarfs doch ganz bedeutend, bis es dann an eine Actiengesellschaft überging. Schon zu Haubold’s Zeiten war man indessen auf schwere Maschinen ühergegangen, es wurden eigene und grössere Giesse- reien errichtet und um den Anforderungen der Zeit Rech nung zu tragen, wurden auch Betriebsmotoren und andere i schwere Maschinen mit in Angriff genommen, so dass der Maschinenbau immer grössere Dimensionen annahm. Da man der Maschinenbranche grosses Vertrauen entgegen brachte, so war es nicht schwer, sich darin selbständig zu machen und Viele, die den Beruf in sich fühlten und das Ver trauen zu sich hatten, auf eigene Faust arbeiten und unter nehmen zu können, gründeten den eigenen Herd. So sind z. B. aus der Haubold’schen Maschinenfabrik hervorgegangen die bereits wieder verstorbenen Giessereihesitzer Ketzer, Rockstroh und andere, ferner die Maschinenfabrikanten Knieriem, Schellenberg, Zimmermann, Hartmann etc., j welch’ letzteres Etablissement bei Uebergabe an die Actien- j gesellschatt 2500 Arbeiter beschäftigte und einen Weltruf er langt hat. Zuerst war es namentlich der Spinnereimaschinenbau, dessen sich die Maschinenfabriken befleissigten und zwar für Baum wolle, Kammgarn und Streichgarn. Diesen schlossen sich später Maschinen für Weberei und Appretur an, dann alle Arten von Betriebsmotoren bis zu den Locomotiven hinauf und zuletzt der Werkzeugbau. Der Spinnereimaschinenhau, namentlich für Baumwolle und Kammgarn, ist jetzt ganz bedeutend reduzirt. Bei der Baumwollspinnerei kommt es, abgesehen davon, dass die Eng länder uns schwere Concurrenz machen, daher, dass die Spindel zahl in Sachsen um mehr als 300,000 sich vermindert hat und neue derartige Etablissements höchst selten mehr gebaut werden; bei der Kammgarnspinnerei hat Fraükreich, beziehentlich das wiedergewonnene Eisass die Oberhand behalten. Nur der Bau von Streichgamspinnmaschinen hat sich in nahezu gleichem Verhältniss wie vor 10 bis 20 Jahren fortge führt, doch ist ihm in den Nachbarstädten, namentlich in Werdau, sowie auch in Schlesien, wo viel solche Maschinen Absatz fanden, eine nicht unbedeutende Concurrenz entstanden. Wie schon mehrfach erwähnt, ist es eine Wohlthat, dass Chemnitz so vielseitige Industrie besitzt, wenn die eine Branche nicht geht, findet sich immer eine andere, welche dem Mangel an Arbeit einigermassen abhilft. Nachdem der Bau von Spinnerei maschinen eine bedeutende Reduction erfahren hatte, erhob sich in grossem Maassstah der Bau von Werkzeugmaschinen, und als der Krach von 1873 auch dieser Branche einen ge waltigen Schlag versetzte, nahm der Bau von Wirk- und Strick maschinen grössere Dimensionen an und einen Theil der brod- los gewordenen Arbeiter bei sich auf. Infolge der Erweiterung der Maschinenfabriken entstanden wiederum Fabriken für Spezial-Branchen, so z. B. Fabriken zur Herstellung von Spin deln, Cylindem, Platthändern etc. für den Spinnereimaschinen- hau; Jacquardmaschinen, Webschützen etc. für den Webstuhlbau. Mit der Ausdehnung des Dampfmaschinen-, Locomotiv- und Appreturmaschinenbaues entstanden oder vergrösserten sich die Kupferschmiedereien und Messinggiessereien, kurz noch vieles Andere, worauf wir am Schlüsse dieses Artikels wieder zurück kommen werden.