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ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT FÜR TEXTILINDUSTRIE. Redaction und Administration: II., Kaiser Josefs-Strasse 37. WissenschaftL-populäres FacMlatt für Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei, Appretur nnä verwandte Industrie-Zweige. Herausgegeben von PH. ZALL’D u. S. FISCHER unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner und Industrieller. Erscheint am 1. und 15. jedes Monats. Abonnements-Preis excl. Postporto: Ganzjährig 6 fl. = 12 Mark Halbjährig 3 „ = 6 n Preis eines Exemplares 30 kr. ö. W. 60 Pfennige. Inseraten -Tarif. Die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum 15 kr. 30 Pf- Bei sechsmaliger Einschaltung 20 0/o „ zwölfmaliger „ 30 O/o Nachlass. Beilagen nach Uebereinkommen. Stellen - Gesuche und Stellen - Offerte pro Zeile 8 kr. = 16 Pf. Abonnementsbestellungen du.ch alle Buchhandlungen. — Commissionär für den deutschen Buchhandel: Berhard Hermann in Leipzig. Alleiniger Vertreter für die Schweiz: Orell, Füssli Cie. in Zürich. Wien, am 15. Mai 1879. I. Jahrgang. Inhalt :Das 300jährige Jubiläum der Reichenberger Tuchmacherzunft — Die fest stehenden Feinspinnmaschinen von Dr. Cuno Stommel. (Mit Skizze.) — Neuerungen an Trichterspulmaschinen. (Mit Zeichnung.) — Das Einölen der Wolle. — Das Waschen von ganzwollenen Buckskins von G. Buchholz. — Ueber die Eigenschaf ten der Wirkwaaren. — Original-Färbereirecepte. (Mit 4 Naturmustern.) — Druck- recepte auf Baumwolle von O. Syre. — Modebericht. (Mit 2 Tafeln.) — Vom Maschinenmarkte. — Fragekasten. — Literatur. — Berichtigung. — Aviso. — Correspondenz der Redaction. — Inserate. Das 300jährige Jubiläum der Reicheilberger Tuchmacherzunft. Die Stadt Reichenberg hat am 11. Mai d. J. ein stolzes Fest gefeiert. Dem Rufe des Gutsverwalters Ullrich v. Rosen feld beim Herrn v. Rädern folgend, hatte sich der Tuchmacher Urban Hoffmann aus Seidenberg am 11. Mai 1579 in Reichen- berg niedergelassen. Das kleine Samenkorn Industrie ging glück lich auf, gedieh und wuchs unter wechselvollen Geschicken und den heftigsten Stürmen trotzend, die über Europa dahingetobt, zu einem mächtigen, imposanten Baume heran. Dreihundert Jahre sind seither verflossen. Wer die Geschichte der Reichen berger Tuchindustrie, welcher die Stadt ihren Reichthum und ihre Berühmtheit verdankt, zu schreiben hätte, der müsste tief eingehen in die politische Geschichte Europas, in die Geschichte der Entwicklung der Industrie und des Verkehres, denn die Bedeutung der Reichenberger Tuchindustrie ging nachmals weit über das Weichbild der Stadt hinaus und hatte den Charakter einer Weltindustrie schon angenommen zu einer Zeit, da noch mittelalterliches Feudal- und Staatswesen den kräftigen Puls schlag der modernen Productionsweise hemmte. Ein erhebendes Fest war es, das die Reichenberger Tuch industriellen am 11. d. M. begingen und auch ein tiefernstes. Noch strotzt der mächtige Baum dieser Industrie von Dauer verheissender Saftfülle. Und das ist es eigentlich, worauf die heutigen Träger derselben stolz zu sein Ursache haben. Von den Verdiensten der Achtung gebietenden Kraftleistungen ihrer Vorfahren fiele auch nicht der geringste Schein eines Abglanzes auf das heutige Geschlecht der Reichenberger Tuchindustrie, wenn sich dasselbe nicht gehobenen Hauptes rühmen dürfte, dass es die Kraft und den Willen habe, rüstig das Werk fort zuführen, das ihre Altvordern rühmlich begonnen und zu stolzer Höhe gebracht. End darum auch mögen Manchen der Theil- nehmer an dem freudig bewegten dreihundertjährigen Jubiläums feste ernste Gedanken beschlichen haben, wozu ja auch in dem Ernst der heutigen Lage und in den bittern Erfahrungen einer kaum erst abgeschlossenen Prüfungszeit Anlass liegt. Als vor dreihundert Jahren dem ersten Tuchmacher Rei chenbergs die Aufgabe zu Theil wurde, durch seiner Hände Fleiss die Güter des Herrn v. Rädern erträgnissreicher zu ge stalten, dämmerte in dem Kopfe keines Zeitgenossen eine Ahnung von der Bedeutung, welche dieser Zweig der Textilindustrie in der Folge für die Stadt gewinnen werde, und doch leuchtet aus dieser Anfangs so unscheinbaren Thatsache schon die Erkenntniss von der wechselseitigen Befruchtung von Industrie und Ackerbau, welche durch die Freihandelstheorie getrübt wurde. Stark durch diese Erkenntniss konnte die Reichenberger Tuchindustrie Schritt halten mit dem rastlos fortschreitenden Zeitgeiste. Alle Phasen der wirthschaftlichen Entwicklung unseres Erdtheiles hat sie siegreich durchgemacht, aus allen Krisen, welche die Uebergangs- perioden mit sich brachten, ging sie mit erhöhter Kraft hervor. Da kam die Manchesterschule mit ihrer den innigen Zusammen hang zwischen Ackerbau und Industrie verläugnenden Theorie zur Herrschaft. Der Schritt der Industrie verlangsamte sich . . Nun ist die Herrschaft dieser Schule gebrochen. Eben erst hat ihr Bismarck’s kräftiger Arm im deutschen Reiche den Todesstoss versetzt. Der Reichenberger Tucbmachergenossen- schaft fällt abermals die Aufgabe zu, welche dem Tuchmacher Urban Hoffmann vor dreihundert Jahren geworden. Möge sie in der Lösung derselben nicht weniger glücklich sein, als Hoffmann und sein Nachfolger. Damit dies geschehe, ist es aber noth- wendig, dass die Reichenberger Tuchindustrie vollauf den Geist der Jetztzeit in sich aufnehme. Die Industrie in ihrer heutigen Erscheinungsform ist so zu sagen praktische Anwendung der exacten Wissenschaften Von der kräftigen, unermüdlichen Pflege dieser hängt das Gedeihen und der Fortschritt der Industrie ab. Es gereicht uns zur freudigen Genugthuung, dass die dies fälligen Bemühungen der „Allgemeinen Zeitschrift für Textilin dustrie“ zumal in Reichenberg anerkennende Förderung gefun den haben, denn wir vermögen daraus die Ueberzeugung zu schöpfen, dass das österreichische Manchester den hochstreben den Traditionen der Begründer seines Ruhmes treu geblieben ist und, dem Geiste der Zeit entsprechend, die Industrie auf die sicheren Grundlagen der Wissenschaft stellt. Von diesem segens reichen Streben legt herrliches Zeugniss ab die von der Ge nossenschaft begründete Reichenberger Webeschule, die schönste Huldigung, welche die Industrie der Wissenschaft bringen konnte. Die feststehenden Fein-Spinnmaschinen. Die feststehenden. Spinnmaschinen sind der Idee nach der von Arkwright erfundenen, in der Baumwollspinnerei mit so durchgreifendem Erfolge angewandten Watermachine ver wandt. Schon vor mehreren Jahren griff der rühmlichst be kannte Erfinder Cölestin Martin inVerviers (Belgien) auf jene Maschinenconstruction zurück und stellte in Wien seine ersten Versuche, eine neue feststehende Spinnmaschine, mit befriedigendem Erfolge aus. Neuerdings sind nun an der Hiezu zwei Tafelu Hodeiuuster.