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No. 9. 1900/1901. 88 XVIII. Jahrgang. „ELEKTROTECHNISCHE RUNDSCHAU.“ Motor-Generatoren mit Mehrphasenstrom. Die Gebrüder Wittig in London, Agenten der hydraulischen und Elektrizitäts-Gesellschaft, empfingen einen Auftrag der städtischen Electric Supply Comp, zur kompletten Ausrüstung der neuen Unterstation, welche diese Gesellschaft in Manchester Square er richten will. Dieser Auftrag umfasst mehrere mehrphasige Motor- Generatoren von 9000 PS. Es sind sechs Ensembles von Motor- Generatoren ä je 500 Kw. vorhanden, welche aus einem synchronen zweiphasigen Motor von 900 P S, direkt mit einem mehrpoligen Gleichstromgenerator von 500 Kw. gekuppelt, b<stehen. Auch sind 3 kleinere Gruppen von 70 und 80 Kw. vorhanden, welche durch Erregung und Ausschaltung der großen Maschinen geladen werden und auch zur Aushülfe der Ladung am Tage dienen. Diese Maschinen werden durch die Generatorstation von Willesden ge speist, welche 5,5 Meilen jenseits liegt und in welcher Westinghouse- Generatoren zweiphasige Ströme ä 500 Volt pro Phase liefern, welche Spannung auf etwa 10000 Volt pro Phase für die Ueber- tragungsleitungen erhöht wird. Auf der Unterstation von Manchester Square wird diese Spannung auf 1000 Volt pro Phasen für die Motor Generatoren reduziert. Es scheint, daß die Elektro-Ingenieure Wittig seit langer Zeit das Projekt studierten, große synchrone Motoren zu installieren, welche unter allen Ladungsverhältnissen mit einer Dampf-Zentrale funktionieren, welche am Ende einer langen Uebertragungsleitung mit hoher Spannung liegt und zugleich Induktanz und Kapazität besitzt. F. v. S. Prof. Thompson in (1er Urania. Die Urania hatte vor Kurzem einen großen Gastabend. Einer der berühmtesten Elektrotechniker Englands, Professor Dr. Sylvanus P. Thompson, hielt einen Vortrag. Er demonstrierte nicht eine neue Entdeckung, er sprach nicht von einer der zahlreichen Arbeiten, die er selbst auf seinem Gebiete geleistet hatte, er behandelte auch nicht ein Thema, das den Besuchern etwa fremd gewesen wäre. Und denn och hatte sich das vornehmste wissenschaftliche Publikum im Theatersaale eingefunden. Im Parkett und im ersten Rang saßen die hervor- vorragendsten Vertreter der wissenschaftlichen Welt Berlins. Die Professoren nnd Dozenten der Elektrizitätslehre, der Physik, der Chemie und anderer technischer Fächer, die Privatgelehrten der Naturwissenschaft, die leitenden Ingenieure großer Institute — sie waren in reicher Zahl anwesend. Professor Thompson sprach über „F araday und die englische Schule der Elektriker“ — also über ein Thema, das allen Anwesenden durchaus vertraut war. Sie waren wohl auch nicht gekommen, um etwas Neues zu hören. In erster Reihe galt ihr Besuch dem Vortragenden selbst, der in seinem Vaterlande England, in London, als Mitglied der königlichen Gesellschaft und als Direktor der Technischen Hochschule eine ehrenvolle Stellung einnimmt. Es galt den sehr geschätzten Gast zu ehren, der in einem fremden Lande vor einem fremden Publikum spricht. Und andererseits hat der Vortrag selbst ein besonderes Interesse wegen der Methode, die in England von den Gelehrten, welche vor einem großen, gemischten Publikum sprechen, befolgt wird. Es ist ja bekannt, daß England die Urheimat populär-wissen schaftlicher Vorträge ist. Was sich in Deutschland erst seit einiger Zeit langsam einbürgert, ist in England schon alter Brauch. Seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts sah man dort die bedeutendsten Männer der Wissenschaft vor einem großen, gemischten Publikum die schwierigsten und subtilsten Fragen behandeln. In der Royal institution, der auch Thomson angehört, haben Davy, Faraday, T yn d a 11 und zahlreiche andere große Forscher regelmäßig ihre „popu lären“ Vorträge gehalten. Die englischen Gelehrten verstehen es auch deshalb ihren Gedanken in klarer, leichtverständlicher Form Ausdruck zu geben, eine Kunst, die nun nach dem Beispiel einiger großer deutscher Gelehrter endlich auch bei uns heimisch wird. Und die Erwartungen, die man an den Vortrag von Professor Thompson knüpfte, haben sich auch voll erfüllt. Die Schilderung des Lebens Michael Faradays — dieses reichen Lebens, das aus gefüllt war mit einer schier unendlichen Reibe großer Entdeckungen und Anregungen — war schön, klar, schlicht und dabei voller Plastik. Professor Thompson führte einige der wichtigsten Experi mente Faradays vor, nnd zwar — was besonders fesselnd war — teils mit den Originalapparaten Faradays selbst, teils mit Modellen, die den Apparaten Faradays nachgebildet waren. Wie einfach, wie bescheiden waren die Mittel dießes großen Forschers! Das ganze gewaltige Genie dieses Mannes bekundet sich darin. So primitiv diese Apparate waren, sie führten zu Ausblicken und zu Schlüssen, die für das ganze Wesen der Elektrizität von größter Wirkung, von wichtigsten Folgen waren. Ein wahres Wunder der Gedankenarbeit ■war seine Entdeckung der Magnetinduktion. Auf dieser Entdeckung erst baute sich die moderne Elektrik auf, konnte sich unsere Elektrotechnik entwickeln. Und von gleicher Wichtig keit sind Faradays Gedanken über die magnetischen Kraftlinien und Kraftfelder gewesen. Lange Zeit wurden diese magnetischen Forschungen übersehen, bis sie gerade im letzten Jahrzehnt für die Elektrotechnik gleichsam neu entdeckt, für sie von höchster Wichtig keit geworden sind. Auch die Theorie der elektrischen Wellen, die von Maxwell, dem Schüler Faradays, mathematisch begründet, von Heinrich Hertz experimentell so schlagend nachgewiesen wurde und jetzt in der drahtlosen Telegraphie und den Arbeiten Teslas eine so glänzende Rolle spielt, ist von Faraday ausgesprochen und vertreten worden. Professor Thompson führte zur Ei’läuterung seines Vortrages eine Reihe von Experimenten vor, wie gesagt, mit den Apparaten Faradays, wobei sich auch zeigte, wie praktisch und zweckent sprechend diese Apparate sind, besonders für Vortragszwecke, wo es gilt, abstrakte Ideen durch Beispiele, durch konkrete Vor führungen dem Hörer klar zu machen. Sehr interessant war in dem Vortrag ein Ausflug auf das moderne Gebiet und einige durch Zeichnungen und kinematographische Vorführungen erläuterte Er örterungen über die gegenwärtigen Anschauungen von magnetischen Kraftfeldern und Kraftlinien, Ansichten, welche die älteren Theorieen von magnetischer Abstoßung und Anziehung völlig über den Haufen werfen. Das Publikum folgte dem nahezu dreistündigen Vortrage mit gefesseltem Interesse und lohnte ihn zum Schluss mit sehr lebhaftem Beifall. ^ (Berl. Lok.-Anz.) Kleine /Mitteilungen. lieber Gas- und Elektrische Beleuchtung bei Bahnen. In der Sitzung des Elektrotechnischen Vereins am 27. November v J. — unter Vorsitz des Staatssekretärs von Podbielski — stand aus Anlaß des Offenbacher Eisenbahnunglücks eine Diskussion über die Ein führung elektrischer Beleuchtung der Eisenbahnwagen auf der Tages ordnung- Bis auf den letzten Platz war der mächtige Raum des großen Saales im Reichspostgebäude von Elektrotechnikern, Gas ingenieuren und den ersten Vertretern der preußischen Staatbahn verwaltung gefüllt. Plart platzten die Meinungen aufeinander. Das Referat hatte Dr. Max Büttner übernommen, der in länger als ein- stündiger Rede die Einführung des elektrischen Lichtes für den Bahnbetrieb befürwortete, die Explosion des Gasrezipienten im letzten Wagen des D-Zuges die Schuld an dem Brandunglück und Flammentod der Passagiere beimaß und zu dem Schluß kam, daß das elektrische Licht das billigste, wirtschaftlichste und sicherste System der Beleuchtung bilde, die höchsten Ansprüche auf Licht erteilung befriedige und gesundheitliche Schädigungen, wie sie die Giftigkeit des Gases im Gefolge habe, ausschließe. Im trat scharf Eisenbahndirektor Garbe entgegen. Er erklärte, daß bei dem Offenbacher Unglück, ebenso wie im Jahre 1893 bei dem Wannsee- Bahnunfall, das mit stark rußender Flamme schnell austretende Gas nur eine ganz sekundäre Rolle gespielt habe, vielmehr bei dem Aufrennen der Lokomotive, die etwa fünf Zentner glühende Kohlen auf ihrem Kesselrost gehabt hätte, in dem Bruchteil einer Minute eine derartige Kohlenoxydentwickelung stattgefunden haben müsse, daß die Personen in den letzten drei Abteilen sofort umgekommen wären. Der schnelle Brand sei dann wahrscheinlich auf die Explosion der feinen Wolle aus den schalldämpfenden Zwischen wänden, die wie Mehlstaub explodiere, zurückzuführen: die brennenden Holzsplitter und das Feuer der Lokomotive hätten das übrige gethan. Oberingenieur Gerdes zweifelte die Sicherheit der elektrischen Beleuchtung wegen der vorkommenden Kurzschlüsse an, verwies auch auf die wiederholten schweren Brände in elektrischen Zentralen, bemängelte die Helligkeit des elektrischen Lichtes der jetzigen Mischgasbeleuchtung gegenüber und gab zu bedenken, daß mehrere deutsche Staatsbahnen die elektrischen Beleuchtungsversuche wegen unbefriedigender Resultate aufgegeben, die österreichischen zumeist die Mischgasbeleuchtung neu eingeführt hätten. Auch sei von Wirtschaftlichkeit da keine Rede, wo die Dynamomaschinen, wie beim Stenosystem, auch bei nicht benötigter Beleuchtung mitlaufen müßten, schnell abgenutzt und reparaturbedürftig würden und sorg fältigster Wartung bedürften. Diesen Vorwurf erhob auch Professor Dr. Wedding, der beiden Systemen doch schliesslich ihr Recht ließ, nur bei einem Zusammenstoß lieber auf einem Akkumulator als auf einem Gasbehälter sitzen wolle. Sehr interessant waren auch die Ausführungen des Geh. Ober-Baurats Wiehert, der die Schnelligkeit, mit der innerhalb eines Jahres 20,000 Wagen, 4C00 Lokomotiven und ebensoviel Packwagen der preußischen Staatsbahnen mit der dreifachen Lichteffekt gebenden Misehgasbeleuchtung ausgerüstet worden sind, rühmend hervorhob und nicht begreifen kann, warum die Eisenbahnverwaltung eine vorzügliche Gasbeleuchtung, die 15 Mill. gekostet habe, mit einer anderen Beleuchtungsart vertauschen sollte deren Sicherheit man nicht kenne, die nicht heller brenne, mindestens die gleichen Betriebskosten und 35 40 Millionen erfordere. Nach dem noch Kommerzienrat Pintsch die Versammlung ersucht, ihm doch einen einzigen Menschen auf der ganzen Welt namhaft zu machen, nachweislich durch Fettgasbeleuchtung ums Leben gekommen sei, und Staatssekretär von Podbielski erklärt hatte, daß seit der Einführung der elektrischen Beleuchtung im Jahre 1892 bei den Bahnpostwagen diese tadellos funktioniert habe auch keinerlei Unglück vorgekommen sei, bildeten die kurzen Ausführungen des zweiten Vorsitzenden, Ingenieurs von Hefner-Alteneck, einen versöhnenden Abschluss. Er gab den Vorsprung zu, den das Gas gewonnen, führte ihn aber darauf zurück, daß die Elektrotechniker seiner Zeit zu früh und un fertig mit der Zugbeleuchtung auf dem Plane erschienen seien, und hofft das Beste von der Zukunft. Die Elektrotechnik stehe in Deutschland auf einem besonders hohen Standpunkte, deshalb sollte man ihr durch Lösung grosser Aufgaben Gelegenheit geben, zu zeigen, was sie könne.