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XIII. Jahrgang. „ELEKTROTECHNISCHE RUNDSCHAU.“ No. 1. 1895/%. 3 Die Dynamo, welche für die Versuche diente, stand im unteren j Stock: der Ausschalter, welcher den Strom durch eine Spezialleitung in mein Laboratorium führte, befand sich zwischen diesem und dem Transformatoren-Versuchsraum. Nachdem ich einige Rechnungen über einen neuen Transformator beendet, öffnete ich den Ausschalter und ging wieder in mein Laboratorium zurück. leb schraubte alsdann die Verbindungs-Klemmen etwas auf, nicht ahnend, daß jemand hinter mir den Ausschalter alsbald wieder geschlossen hatte, was aber that- säehlich geschehen war. Als ich nun mit der einen Hand den Pri märdraht des Transformators und mit der andern den Leitungsdraht erfaßte, um beide aus den Klemmen herauszuziehen, brachte ich mich selbst in den Kreis des Hochspannungsstromes. Als ich nun die nackten Enden der Drähte, je einen mit einer Hand, erfaßt hatte, war ich plötzlich festgebannt und konnte die Drähte nicht wieder los lassen. Im ersten Augenblick schwand das Bewußtsein; nachher war ich wieder einigermaßen bei Besinnung, aber unfähig zu atmen, zu rufen oder mich zu bewegen; ich war an die Stelle wie angenagelt, der Körper nach rückwärts gebogen. Der Lärm in der Werkstätte schien mir sehr schwach geworden zu sein; es kam mir vor, als wäre ich in einen Block oder in irgend eine schwere, unempfindliche Masse verwandelt; die Hammerschläge, die sonst so laut erklangen, erschienen wie ein in der Ferne ersterbendes Geräusch. Ich war ohne Bewußt sein von mir selbst, unfähig die Glefahr zu begreifen, in der ich mich befand. Alles, was ich außer den schwachen Hammerschlägen er kannte, war, daß mir die Arme mächtig gestützt und wie von einem sehr starken Mann gehalten erschienen, gewissermaßen als hätte er mir in übertrieben freundlicher Weise die Hände gegeben und geschüttelt. Ich fühlte die Schwankungen des Stromes, der sich anzunähern und zu entfernen schien, wie die Wogen am Strand des Meeres. Plötzlich verbrannten mir die Drähte die Haut; der Kontakt war offenbar für einen Augenblick bedeutend verringert und der Strom fast unterbrochen ; ich sprang unwillkürlich infolge der Erschlaffung der Muskeln rückwärts; ich nahm meine gerade Haltung wieder an und die Drähte fielen auf den Boden. Ich war frei, und nachdem ich tief aufgeatmet, fühlte ich eine bedeutende Wärme im Körper und Schwäche in den Beinen, wie etwa nach einer plötzlichen und heftigen Anstrengung. Trotzdem setzte ich meine Arbeit fort, nicht ohne ein Gefühl der Beschämung, daß ich mich so hatte fassen lassen. Die Dynamo war eine Wechsel strommaschine mit 6 Polen und gab in dem Augenblick, wo ich er griffen wurde, 1100 bis 1500 Volt, indem mein Körper in Reihe mit der Primärspule mittels der Klemmen des Generators geschaltet war. Dieses unbeabsichtigte Experiment hat mir gestattet eine Reihe von Empfindungen zu erklären. Ich muß natürlich annehmen, daß der Strom sehr schwach war und die Bedingungen hinlänglich günstig (für mich) waren, so daß ich mich der Empfindungen bewußt bleiben konnte; aber ich glaube, daß ich hart an der Grenze stand, über die hinaus ich alles Bewußtsein verloren hätte. Ich konnte weder atmen, noch schreien, noch mich bewegen und war unfähig an irgend etwas zu denken, außer an das, was ich empfand; kein anderer Gedanke kam mir; ich hatte selbst keine Furcht davor etwa sterben zu müssen und keinen Augenblick Kenntnis von meiner Lage. Alle Gedanken, abgesehen von den geschilderten Empfindungen, waren verschwunden. In meiner Musezeit dachte ich über dieses unfreiwillige Experi ment nach und fragte mich: hätte ich vielleicht die Stromweclisel zählen können — und dies schien mir so, denn die auf- und ab- sehwellenden Empfindungen waren so klar und bestimmt, einer langen rollenden Bewegung ähnlich, die von den Händen aus nach den Armen hinaufging, einer Bewegung, die scheinbar sehr langsam verlief. Es schien mir zuerst, als ob dies möglich wäre, aber schließlich kam ich zu der Ueberzeugung, daß es eine andere Sache ist, eine deutliche Empfindung gehabt zu haben, als sich genau zu erinnern und zu registrieren; es dürfte unmöglich sein, unter dem Einfluß des starken Stromes nicht bloß zu empfinden, sondern auch noch die geistige Thätigkeit des Zählens auszuüben. Man kann begreifen, warum einzelne Personen unter dem Ein fluß des Stromes glaubten geschlagen worden zu sein und woher es kommt, daß ich das Gefühl hatte, als ob mir die Hände heftig ge schüttelt worden wären. Das rührt einfach von der Einwirkung des Stromes auf die Muskeln her, die abwechselnd zusammengezogen und wieder freigelassen wurden. Die seltsame Meinung, welche manche Personen hegten, daß sie die Zeit der Stromeinwirkung für viel größer hielten, als sie thatsälieh war, erklärt sich leicht folgender maßen: Jedenfalls kann das Gehirn, da man doch deutlich jedes Auf- und Abwogen zu unterscheiden vermag, die in einer Minute stattfindenden 16000 Wechsel der Dynamo unterscheiden, wenn es auch unmöglich ist, sie wirklich zu zählen. Auf eine Viertelminute kommen dabei 4000 Wechsel und Niemand glaubt, daß die inzwischen verflossene Zeit weniger als 5 Minuten habe betragen können. Die Schlüsse ferner, welche Herr Goedet aus der Unter suchung mit dem Körper des zu Sing-Sing hingerichteten Mörders zog (El. World, 16. März), sind sehr logisch. Gleichwohl können sie keine allgemeine Geltung beanspruchen. Es ist ein großer Unterschied zwischen einer zufälligen Berührung und den Veranstaltungen, welche bei der Hinrichtung eines Verbrechers getroffen werden. Daher scheint mir diejenige seiner Schlußfolgerungen, nach welcher der Tod ohne Schmerzgefühl sein solle, „weil die Elektrizität so schnell liefe, daß die Nerven die Schmerzgefühle nicht übertragen könnten“ irrig zu sein, denn ich glaube, daß selbst eine Wechselzahl, welche dreimal so groß ist wie die, welche gewöhnlich bei Hinrichtungen stattfindet, sehr deutlich vom Gehirn unterschieden werden kann. Der Tod kann augenblicklich erfolgen, wenn ein hinreichend starker Strom plötzlich durch den Körper geht; er kann auch schmerz los sein bei einem weniger starken Strom; wenn dieser an geeigneten Stellen eintritt. Dennoch ist es möglich, daß ein hinlänglich starker Strom den Tod nicht augenblicklich bewirkt; er bringt wohl eine Kontraktion oder Expansion gewisser Teile des Gehirns hervor, sei es direkt oder wahrscheinlicher durch den Druck der Blutgefäße auf die benachbarten Teile, so daß plötzliche Bewußtlosigkeit eintritt. Der Tod erfolgt schließlich durch Blutzersetzung, oder aber, wie es auch die Untersuchungen von 'Goedet gezeigt haben, durch Reißen der Blutgefäße im Gehirn, dessen Folgen wohlbekannt sind. Daß durch Elektrizität Hingerichtete mittels künstlicher Atmung wieder ins Leben haben Zurückgebracht werden können, ist bekannt. Ferner wird aus Rochester (New-Yorlc) vom 21. Juni gemeldet: Heute erhielt ein Beamter der Elektrizitäts-Gesellschaft, namens Franek Grover, 30 Jahre alt, zufällig eine Ladung von 2000 bis 3000 Volt, die also ungefähr 3mal so groß ist, wie die, welche für elektrische Hinrichtungen für notwendig erachtet wird. Während einer Stunde hatte er vollständig das Ansehen eines Toten; sein rechtes Bein und seine Arme waren schrecklich verbrannt; dennoch kam er durch l.'/iständige Bemühungen eines Arztes wieder zum Bewußtsein und konnte nach Hause gebracht werden. Elektrische Beleuchtung mit Hintereinanderschaltung.*) Die Dörfer Kingswood und Keyesham, an der Great-Western-Eisenbahn, zwischen Bath und Bristol gelegen, haben in England zuerst eine elektrische Glühlichtbeleuchtung mit Hintereinanderschaltung erhalten, und hat das „Western Counties Electric Light and Power Syndicate“ (Parfitt’s Patente) kürzlich Teil nehmer zur Bildung einer Gesellschaft auf Grund der in diesen beiden Ort schaften gemachten Versuche eingeladen. Herr Parfitt hat einen magnetischen Ausschalter in Verbindung mit einem doppelten System von positiven Leitungen und gemeinsamer Biickleitung bei seinem patentierten System benutzt, so daß der Fehler in einer Lampe nicht die hintereinamjlergeschaltete mit berührt, sondern nur zeitweise die in dem ent sprechenden Abschnitt mit ihr eingeschaltete Glühlampe. Dies ist aus dem Diagramm (Fig. 1) zu ersehen, welches die Schaltung der Lampen und magne tischen Ausschalter zeigt. Man sieht, daß der positive Stromkreis in 2 Zweige geteilt ist, wobei in jedem derselben der halbe Leitungsstrom fließt. Jede Lampe ist mit den Er zeugungsspulen eines Elektromagneten hintereinandergeschaltet und sein Wider stand ist gleich dem der Lampe. Ebenso ist ein Widerstand zu der Lampe im Nebenschluß geschaltet; das eine Ende desselben ist mit der Leitung verbunden und das andere von derselben getrennt, so lange der Anker des Elektromagneten von den Magnetpolen entfernt bleibt. Din Magnete sind so angeordnet, daß der Normallampenstrom seinen Anker nicht abreißen kann; wenn aber eine Lampe zerbricht und der doppelte Strom durch die verbundene Lampe, und folglich durch ihre Magnetspulen geht, wird ihr Anker angezogen, schließt den Strom durch den Nebenschluß-Widerstand und nimmt einen Nebenweg von gleichem Widerstand, wie bei der gebrochenen Lampe. Wenn die zweite Lampe ebenfalls verlischt, geht der ganze Strom durch die Magnetspulen und läßt die Dinge sonst unberührt. Der automatische Ausschalter ist in Figur 2 dargestellt und bildet das besondere Kennzeichen des Systems. Der Strom tritt in den Draht A, geht durch die Windungen B des Elektromagnets und verläßt das Instrument bei C. Der sich bei E drehende Anker D wird angezogen, wenn ein Strom überschuß durch die Magnetspulen geht, so daß sein freies Ende F zwischen 2 Flächen tritt, welche Klemme C mit Klemme G verbinden, mit der der zu dem Widerstand führende Draht in Verbindung steht. Wenn das Ende F des Ankers zwischen den Flächen ist, wird der Strom geteilt und fließt ein Teil desselben durch die Lampe wie vorher, ein Teil durch die Platte und Verbindungsklemme G zu dem Nebenschlußwiderstand. In Kingswood sind 7 engl. Straßenmeilen mit 3 Stromkreisen von resp. 2, 2'/ 2 und 3 Meilen Länge erleuchtet. Die Lampen sind etwa 60 Yards ent fernt und 14—20 Fuß vom Straßenboden je nach ihrer Leuchtkraft erhöht. Die *) Nach „The Electriean“ v. 10. May 1895.