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— 28S — ihrer Arbeitskraft und Wahrnehmung ihrer außerberuflichen Pflichten eine möglichste Verkürzung derselben. Wohl hat die lebhafte, von den verschiedenen gewerkschaftlichen Organisationen getragene Bewegung besonders in den beiden letzten Jahrzehnten fast in allen Berufen die tägliche Arbeitsdauer andauernd herab gemindert und den Zehnstundentag als den fast allgemein üblichen geschaffen, aber immer noch begegnen wir in einer nennenswerten Reihe von Industriezweigen, und zwar gerade in den körperlich anstrengenden, wie in der Großeisenindustrie, einer das Maß der menschlichen Leistungsfähigkeit übersteigenden täglichen Arbeits dauer. Eine zehnstündige tägliche Arbeitszeit sollte als Höchst leistung gelten, und eine Herabminderung dieser Arbeitsdauer ist für diejenigen Beschäftigungen zu fordern, die entweder sehr große körperliche Anforderungen stellen, oder in denen die Gesund heit des Arbeiters durch gewerbliche Gifte, durch übergroße Hitze oder durch Enlbehrung des Tageslichtes besonders gefährdet ist. Ein unbeeinträchtigtes Wohlbefinden des Menschen ist nur denkbar, wenn die berufliche Tätigkeit nicht das Jneinandergreifen der Kräfte, der körperlichen wie der seelischen, stört, wenn also gleichzeitig oder doch nacheinander die gesamten Organe in Tätig keit versetzt werden. Nun hat aber gerade die berufliche Tätig keit die Eigentümlichkeit, diese Harmonie durch übertriebene In anspruchnahme einzelner Körperteile zu beeinträchtigen. Einen großen Teil der Leistungskraft, die dem gesamten Organismus innewohnt, leitet die einseitige Tätigkeit zu ihrem Vorteil auf sich ab. Mit der Vervollkommnung der Technik und der rast losen Einführung neuer Maschinen schreitet die Arbeitsteilung, der unsere Industrie allerdings mit ihre Blüte verdankt, immer weiter vor und gestaltet die gewerbliche Tätigkeit zu einer immer einseitigeren, zu einer rein mechanischen, die den Arbeiter nicht allein an den Standort vor seiner Maschine oder seinem Arbeits stück fesselt, sondern in der Regel auch nur einzelne Körperteile in Tätigkeit versetzt, während der übrige Körper mehr oder minder völlig in Untätigkeit verharrt. Der Arbeiter, der an dauernd die gleiche Teilarbeit verrichtet, wird schließlich selbst zur Maschine. Die Eintönigkeit seiner Beschäftigung stumpft seinen Geist ab, und die immer weiter um sich greifende Be zahlung nach angefertigten Stücken zwingt oder drängt doch den Arbeiter, möglichst viel Einzelleistungen auszuführen. Diese Ein tönigkeit in Verbindung mit der Hast und dem Mangel innerer Befriedigung sind durchaus geeignet, das Nervensystem ungünstig zu beeinflussen und die Nervenschwäche mit ihrer schädlichen Beeinflussung des Schlafes und der Ernährung ist nicht mehr das wenig beneidenswerte Vorrecht der im Salon sich lang weilenden Dame, sondern bereits ein charakteristisches Merkmal der modernen Fabrikarbeit, wie sie der modernen Zeit überhaupt den Stempel aufdrückt. Ein Ausgleich dieser Schädigung ist unerläßlich und nur möglich durch einen geeigneten Wechsel in der Beschäftigung, durch den Aufenthalt in frischer, anregender Luft, durch Turnen und wohl abgewogenen leichten Sport, Forderungen, die nur dann erfüllbar sind, wenn die Arbeitszeit nicht einseitig der Wirtschaftlichkeit des Betriebes, sondern auch der Gesunderhaltung des Arbeiters angepaßt wird. Wen der Beruf zu sitzender Lebensweise zwingt, vermeide sorgfältig, den Oberkörper vornüber zu beugen und ermögliche die gerade Haltung durch eine seiner Größe entsprechende Sitz gelegenheit oder durch Erhöhung des Arbeitsmaterials. Mehr noch als Erwachsene leiden durch die fehlerhafte Haltung Personen im jugendlichen Alter, deren Brustkorb infolge des noch nicht abgeschlossenen Knochenwachstums leicht eine dauernde Entstellung erleidet. Der Einfluß der Beschäftigung auf die Gesundheit ist überhaupt schon für die Wahl des zu ergreifenden Berufes zu berücksichtigen. In der Regel ist für die Berufswahl die persön liche Neigung ausschlaggebend, der Gesundheitszustand des Kindes wird zumeist vernachlässigt. Daß hierdurch die Gesundheit schwer geschädigt werden kann und auch der Tuberkulose vielfach Tor und Tür geöffnet wird, liegt auf der Hand. Haften doch, wie wir eingehend dargelegt haben, einer großen Reihe von Berufen so schwere Schädigungen gerade der Atmungsorgane an, daß nur wenig Angehörige dieser Berufszweige der Tuberkulose ent gehen. Dieses Geschick wird den Arbeiter um so sicherer treffen, wenn er mit schwach entwickeltem Brustkorb oder gar mit be ginnender Tuberkulose behaftet in den gefährlichen Beruf eintritt. Ich wiederhole an dieser Stelle meinen wiederholt gemachten Vorschlag, daß die Eltern vor der Entlassung ihres Kindes aus der Schule gemeinsam mit dem Leiter der Anstalt, dem zu ständigen Klassenlehrer und dem Schularzt über die Wahl des zu ergreifenden Berufes beraten. Manchem Unheil würde auf diesem Wege mit Sicherheit vorgebeugt werden. Neber die Stempelpflicht der Tarifverträge und gewerbe gerichtlichen Schiedssprüche hat nach der „Information" der preußische Finanzminister eine prinzipielle Entscheidung getroffen. Der deutsche Arbeitgcberbund für das Baugewerbe hatte dem preußischen Finanzministerium nach Beendigung des vorjährigen Kampfes im Baugewerbe die Haupt- und örtlichen Verträge zum Zweck einer Entscheidung eingereicht, woraufhin der Finanz minister dahin entschieden Hai, daß der Hauptvertrag der Steuer nicht unterliege, weil sich darin die Bestimmung befindet, daß die Geltendmachung irgend welcher vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Vertrage ausgeschlossen sei. Dagegen sind die örtlichen Verträge stempclpflichtig, und zwar erfordern sie einen Vertrags stempel von 3 Mark, da sie die obige Bestimmung des Haupt vertrages nicht enthalten. Organisationsbeiträge und standesgemäßer Unterhalt. Das Landgericht in Düsseldorf hatte einen Buchdrucker verurteilt, seinen Eltern eine jährliche Unterstützung von 36 Mark zu be zahlen. Das Gericht berief sich darauf, daß der Verklagte ja jährlich 52 Mark Beitrag an die Organisation zahle, was nicht als unbedingt notwendig zum standesgemäßen Unterhalt zu be trachten sei. Der Verklagte wandte das Rechtsmittel der Revision an, und das Oberlandesgericht in Düsseldorf hat das Urteil aufgehoben und im entgegengesetzten Sinne entschieden. In der Begründung heißt es nach der „Kölnischen Volkszeitung": „Wenn der Vorderrichter bemängelte, daß Beklagter jährlich 52 Mark zur Gewerkschaftskasse zahle, was zur Bestreitung seines Unter haltes nicht erforderlich sei, so wird dabei der Begriff des Unterhalts verkannt. Dieser umfaßt den ganzen Lebensbedarf einschließlich der Ausgaben, die zur Erhaltung einer standes gemäßen Lebensstellung erforderlich sind. Mit Recht weist aber der Beklagte darauf hin, daß er als Buchdrucker, um überhaupt eine seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeitsstelle zu erhalten, einer gewerkschaftlichen Organisation angehören müsse, ganz ab gesehen von den finanziellen Vorteilen, die er für den Fall der Arbeitslosigkeit, Krankheit und Invalidität dadurch erlangt, die aber seine Leistungsfähigkeit nicht unmittelbar erhöhen." Rechts- und Gesetzeskunde. Der Begriff der „öffentlichen Versammlung". Das Ober landesgericht Jena hat sich vor einiger Zeit dahin ausgesprochen, daß eine Vereinsfestlichkeit und dergl. im allgemeinen nicht als eine „Versammlung" im Sinne des Gesetzes angesehen werden könne. Denn würde man jede gemeinsame Lustbarkeit als Ver sammlung ansehen, so wären ja seit Inkrafttreten des Reichs vereinsgesetzes alle einzelstaatlichen Polizeivorschriften über Lust barkeiten, insbesondere Tanzlustbarkeiten, beseitigt. Schon der Sprachgebrauch verbindet mit dem Worte „Versammlung" nicht einen so weiten Begriff, daß etwa auch die Gesamtheit der Be sucher eines Konzertes, eines Theaters, eines Tanzvergnügens als eine Versammlung bezeichnet zu werden pflegt. Aber auch die Rechtsauffassung hat den Begriff der Versammlung nicht so weit ausgedehnt. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hat beispielsweise entschieden, daß mit dem verfassungsmäßig gewähr leisteten Recht ungehinderter Versammlungsfreiheit nicht auch das unbeschränkte Recht, zu Tanzlustbarkeiten beliebig zusammen zu kommen, gegeben sei; denn unter „Versammlung" im Sinne der Verfassung seien nur die zum Zwecke der Erörterung und Be ratung gemeinsamer Angelegenheiten veranstalteten Zusammen künfte zu verstehen, nicht aber auch jedes sonstige Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen zu anderen Zwecken. — Auch das Kammergericht betrachtet als „Versammlungen" nur solche Zusammenkünfte, deren Zweck in der Erörterung und Beratung von Angelegenheiten besteht. — Das Oberlandesgericht Jena hält indessen die vom Kammergericht gegebene Begriffs bestimmung — es müsse eine Erörterung stattfinden — für etwas zu eng. Die Zusammenstellung der „öffentlichen Ver sammlung unter freiem Himmel" mit den „Aufzügen auf öffent lichen Straßen" in § 7 des Vereinsgesetzes gebe einen Anhalts-