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222 also ums Jahr 1930 herum, wächst die Unterstützung auf zirka 120 Mk. pro Jahr. Bei der Altersversicherung ist die Bezugszeit nach dem erreichten 70. Lebensjahre belassen worden und die verlangte Herabsetzung auf 65 Jahre wieder mit dem Hinweis auf die Geldnot energisch abgelehnt worden. Die Neuregelung der Bestimmungen über den Vorstand und die Beamten der Octskrankenkassen hat das größte Aufsehen erregt. Der Einfluß der Arbeiterpartei in der sozialen Versicherung sollte gebrochen werden. Wohl dürfen die Arbeiter ihre zwei Drittel Beiträge weiter zahlen, aber die Rechte der Versicherten werden derart herabgesetzt, daß die Arbeitgeber in Zukunft das Recht haben, bei der Wahl des Vorsitzenden und der Beamten mit dem gleichen Recht wie die Versicherten ihre Stimme abzu geben. So erhöht sich im selben Maße die Macht der Arbeitgeber, ohne daß sie mehr Lasten tragen, wie sich die Macht der Arbeiter vermindert. Rigorose Bestimmungen des Einführungsgesetzes und vermehrte behördliche Kontrollvorschriften entrechten weiter die Versicherten. Hoffentlich kommt es trotzalledem dahin, daß die Verwaltung der Kassen zum höchstmöglichsten Nutzen der Versicherten geführt wird. Liegt doch die Fürsorge für die Versicherten auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes in den Händen der Arbeiter vertreter des Vorstandes. Allseitig wird zum Ausdruck gebracht, daß das neue Gesetz, welches auf Jahrzehnte hinaus Geltung haben soll, so viele Fehler aufweist, daß man sich ernstlich fragen muß: Ist damit dem deutschen Volk im allgemeinen, wie auch den Versicherten im besonderen etwas Ersprießliches geschaffen worden? Die Vorteile, die das Gesetz bringt, sind außerordentlich gering. Die Ausdehnung der Krankenversicherung infolge Einführung der Landkrankenkassen bringt den Neuversicherten ein tägliches Kranken geld von zirka 25 Pf. (!) bis 100 Pf. pro Tag. Die Hinter bliebenenrente für die invalide Witwe, die nicht mehr im Stande ist 40 Pf. pro Tag zu verdienen, mit 20 Pf. pro Tag und 10 Pf. für ein schulpflichtiges Kind kann ebenfalls nicht dazu beitragen, die Freude am Gesetz zu heben. Leistet doch die heutige Armenpflege bedeutend höheres und ist nicht daran zu denken, diese auszuschalten. Dem sozialen Fortschritt ist entgegen den Versprechungen von früher, der Weg versperrt worden. An den Versicherten muß es liegen, in Zukunft diese Sperre niederzuringen und den Fortschritten der Kultur Geltung zu verschaffen. Kr. Das Arbeitsrecht. Was wird nicht alles aufgeboten zum Kampf gegen den Radikalismus? Bis heute vergebens. Die Zahl seiner Anhänger hat sich ständig vermehrt und sie wird sich noch weiter vermehren, weil der Grund dieser Vermehrung — das Fehlen eines klaren gesetzlichen Arbeiterrechts — bestehen bleibt. Wer die Arbeiter-,,Rechte" suchen will, muß in allen möglichen Gesctzesbüchern herumsuchen, da ein Stück, dort ein Stück, eines das andere korrigierend, aufhebend. Alles, nur kein festes bestimmtes Recht der Arbeiter inner halb des Produktionsprozesses. Solange dieses Recht fehlt, können Verschiebungen in den Parteien eintreten, wie sie wollen, das Gros der Arbeiter wird dem Radikalismus zuneigen oder beiseite stehen. Das beweisen die Wahlen. Das muß sich noch verschärfen, da die Zahl der Arbeiter, im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung, rapide wächst und die Erkenntnis der Arbeiter über ihre heutige unwürdige Stellung zunimmt. Zwei wichtige Teile der Frage des Arbeitsrechts und die Stellung des Unternehmertums hierzu, zeigen den abgrundtiefen Gegensatz in der Auffassung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter. Da ist zunächst die Schaffung eines Reichseinigungsamtes und dann die Gestaltung eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsnachweises. In beiden Fragen nimmt das Unternehmertum eine schroff ab lehnende Haltung ein. Der Arbeitsnachweis in den Händen des Unternehmertums bedeutet die völlige Beherrschung der Arbeiter über das Arbeits verhältnis hinaus. Das peitscht die Arbeiter auf; das ist der Nährboden des Radikalismus, und wer dem entgegen arbeiten will, der muß mithelfen, zunächst in dieser Frage, die Allmacht des Unternehmertums zu brechen. Soweit ist das Bürgertum noch nicht, und das kommt dem Radikalismus zu gute. Aller dings, und das muß gesagt werden, macht es dieser Radikalis mus den bürgerlichen Parteien herzlich schwer, der wichtigen Frage, der Schaffung eines Arbeiterrechtes, näher zu treten. Ein Reichseinigungsamt findet schon etwas mehr Ver ständnis in bürgerlichen Kreisen. Trifft doch eine große, gewalt same Unterbindung der gewohnten Produktion, wie das immer häufiger vorkommt, die bürgerlichen Kreise beinahe so hart wie Arbeitgeber und Arbeiter. Hier tritt die Notwendigkeit anderer Regelung der bisherigen Verhältnisse am greifbarsten hervor. Die Arbeitgeber behaupten: die Gewerkschaften wollen sich die Herrschaft in den Betrieben anmaßen, anderseits ist die heutige Lage, die völlige Abhängigkeit der Arbeiter. Hier, zwischen diesen zwei Extremen einen Rechtszustand herbeizuführen, der eine Mitwirkung beider Teile, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, garantiert, das soll eben die Aufgabe der Errichtung eines besonderen Arbeitsrechtes sein. Daß sich die Unternehmer dagegen wehren, ist menschlich begreiflich, es gibt eben niemand eine Macht freiwillig auf. Wenn aber durch den heutigen Zustand große, allgemeine Inter essen schwer geschädigt werden, stets größere Teile der Arbeiter schaft vom Bürgertum losgerissen werden, die allgemeine Unzu friedenheit wächst, dann ist die Zeit gekommen, wo die bisherige Rücksicht auf die Arbeitgeber schwinden muß. Schaffung einer rechtlichen Sicherstellung der Arbeiter in- und außerhalb des Arbeitsprozesses bedeutet die Erfüllung der berechtigten Arbeiterforderungen und wäre gleichbedeutend mit einer Zurückdrängung der jetzt undurchführbaren Forderung der Vergesellschaftlichung der Produktion. Wer ernsthaft den Radikalis mus eindämmen will, ihn überleiten will zur Mitarbeit im heutigen Staat, der helfe mit an der Erfüllung der Arbeiterforderung nach gesetzlich gesicherter Stellung im heutigen Staat. Es gibt kein Ausweichen: entweder durchgreifende Reform auf dem Gebiet des Arbeitsrechtes oder weiteres Anwachsen des Radikalismus und der allgemeinen Unzufriedenheit. Das füufundzwanzigjährige Bestehen der Unfallversicherung. Am 1. Oktober 1910 waren 25 Jahre vergangen, seitdem das erste Unfallversicherungsgesetz, das sogenannte „industrielle", vom 6. Juli 1884, in Kraft getreten ist. Diesem folgten in kurzen Zwischenräumen weitere Gesetze, zunächst das vom 28. Mai 1885 datierte sogenannte „Ausdehnungsgesetz", welches weitere Betriebs gruppen, namentlich das Transportgewerbe, in den Kreis der Versicherung zog, wie auch die Reichs-, Staats- und Kommunal betriebe versicherungspflichtig machte: ferner das land- und forst wirtschaftliche Unfallversicherungsgesetz vom 5 Mai 1886, das Bau-Unfallversicherungsgesetz vom 11. Mai 1887 und endlich das See-Unfallversicherungsgesetz vom 13. Juli 1887. All diese Unfallversicherungsgesetze wurden nach wesentlicher Aenderung und Ergänzung unterm 30. Juni 1900 in neuer Fassung vollzogen. Welche ungeheuren Aufwendungen seitens der Industrie, der Landwirtschaft unv der weiteren Jnteressenverbände, nament lich auch der Staats- und Kommunaleinrichtungen, für die Unfallversicherung notwendig waren, ist bekannt. Zu erwähnen sei nur, daß im Jahre 1908 (das Ergebnis für 1909 gelangt erst im Jahre 1911 zur Veröffentlichung), an Unfallentschädigungen insgesamt, d. h. für sämtliche Versicherungsträger, Berufsgenossen schaften und Staats- usw. Betriebe (sogenannte „Ausführungs behörden") 157 062870,38 Mark gezahlt worden sind. In welchem Umfange die Unfallentschädigungen im Laufe der Jahre gestiegen sind, ergibt die folgende Nachweisung: Jahr Betrag Jahr Betrag Mk. Mk. 1885/6 1 915 366,24 - 1898 71 103 729,04 1887 5 932 930,08 1899 78 680 632.54 1888 9 681447,07 1900 88 649 946,07 1889 14 464 303,15 1901 98 555 808,57 1890 20 315 319,55 1902 107 443 326,22 1891 26 426 377,00 1903 117 246 500,08 1892 32 340 177,99 1904 126 641 740,05 1893 38 163 770,35 1905 135 537 932,63 1894 44 281 735,71 1906 142 436 864 35 1895 50 125 782,22 1907 150 325 291,99 1896 57 154 397,53 1908 157 062 870,38 1897 63 937 547,77 Sa. 1 638 298 857,08