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bald 21/2 Millionen. Ueber 101 Millionen Mark nur für diese vorgenannten Unterstützungen. Dies gibt ein Bild von der Opferwilligkeit der Arbeiter gegenüber ihren Hilfsbedürftigen. (Fortsetzung folgt.) Das Lohnbeschlagnahmegcsetz. Es ist eine vielleicht schwer erklärliche, aber doch unbestreitbare Tatsache, daß über Gesetze, die für sie von einschneidender Bedeutung sind, in den Kreisen der Arbeiterschaft eine kaum glaubliche Unkenntnis herrscht. Gilt dies schon für die Arbeiterversicherungs- und Arbeiterschutzgesetze, so trifft es in noch höherem Maße zu für das Lohnbeschlag- nahmegesctz, mit dessen Bestimmungen viele Arbeiter teils ver schuldet, teils aber auch ohne Verschulden in Kollision geraten. Im Gegensatz zu 8 811 der Zivilprozeßordnung (abgekürzt ZPO.), in dem bestimmt wird, welche Sachen des Schuldners der Pfändung durch einen Gläubiger nicht unterworfen sind (z. B. die notwendigsten Kleidungsstücke, Handwerkszeug usw.), ist in § 850 ZPO. festgelegt, welche Ansprüche, d. h. Forder ungen des Schuldners an dritte Personen, nicht gepfändet werden dürfen. In acht verschiedenen Nummern ist dort angeführt, welche Ansprüche dazu gehören, z. B. die fortlaufenden Einkünfte aus Stiftungen, die aus Kranken-, Hilfs- oder Slerbekassen zu beziehenden Hebungen, der Sold und die Jnvalidenpension der Unteroffiziere und Soldaten u. a. m. Unter Nr. 1 des K.850 ZPO. heißt es, daß der Pfändung nicht unterworfen ist „der Arbeits- oder Dienstlohn nach den Bestimmungen des Reichsge setzes vom 21. Juni 1869", das durch das Reichsgesetz vom 29. März 1897 abgeändert worden ist. Dieses Gesetz, das kurz „das Lohnbeschlagnahmegesetz" genannt wird, soll aus den ein gangs erwähnten Gründen im folgenden einer kurzen Betrachtung unterworfen werden. Das Gesetz, das also nur die Ergänzung eines Paragraphen der Reichszivilprozeßordnung bildet, besteht, so schreibt der „Gewerk verein", im ganzen nur aus 5 Paragraphen. Ihr Inhalt beruht im wesentlichen auf dem sozialpolitischen Gedanken, daß die Zwangsvollstreckung den Schuldner nicht seiner notwendigsten Existenzmittel berauben soll. Der Schuldner soll nicht wirt schaftlich vernichtet werden, sondern es sollen ihm wenigstens soviel Mittel gelassen werden, daß er weiter leben kann. Das Lohnbeschlagnahmegesetz bestimmt grundsätzlich, daß die Beschlagnahme des „künftig geschuldeten, insbesondere des noch nicht verdienten Arbeits- oder Dienstlohnes, Honorars usw. für Dienste, welche auf Grund eines Arbeits- oder Dienstver hältnisses geleistet werden, sofern dieses Verhältnis die Erwerbs tätigkeit des Verfügungsberechtigten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nimmt", ausgeschlossen ist. Als Vergütung ist, wie das Gesetz sich ausdrückt, jeder dem Berechtigten gebührende Vermögensvorteil anzusehen. Auch macht es keinen Unterschied, ob dieselbe nach Zeit oder Stück, in Geld oder Naturalien be rechnet wird. Beispiele für die Arten der Vergütung würden sein: Lohn, Gehalt, Honorar, Diäten, Gewinnanteil, Wohnungsgeld, Weih nachtsgratifikation usw. Ist nun die Vergütung mit dem Preise oder Werte für Material oder mit dem Ersatz anderer Auslagen in ungetrennter Summe verbunden (z. B. Gehalt und zugleich noch Materiallieferung), so gilt als Vergütung der Betrag, welcher nach Abzug des Preises oder des Wertes der Materialien oder nach Abzug der Auslagen übrig bleibt, also der Nettolohn oder Reinverdienst. Pfändbar wird der Lohn erst, wenn er erstens bereits verdient, d. h. die Leistung der Arbeit oder Dienste erfolgt ist, zweitens, wenn er fällig, d. h. der Zahlungstermin, sei es durch Vertrag, Gesetz oder Gewohnheit festgesetzt, abgelaufen ist — am Fälligkeitstage selbst ist die Pfändung noch unzulässig —, und drittens, wenn er nicht eingefordert ist, d. h. wenn der Vergütungsberechtigte es an dem Fälligkeitstage unterlassen hat, sein Geld abzuholen. Durch diese Unterlassung gewinnt nämlich, wie Gaupp-Stein, einer der bedeutendsten Kommentare zur Zivilprozeßordnung, mit Recht ausführt, der Arbeitslohn den Charakter eines kreditierten Kapitals. Alle diese Bestimmungen können nicht mit rechtlicher Wirkung durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Ein derartiger Vertrag, in dem z. B. ein Schuldner seinem Gläubiger einräumte, daß dieser seinen noch nicht verdienten Lohn pfänden dürfe, wäre nichtig, d. h. ohne irgend welche rechtliche Wirkung. Das Gesetz will eben den Schuldner vor Leichtsinn schützen. Indessen unterliegt nicht die gesamte Vergütung, soweit sie verdient, fällig und eingefordert ist, der Beschlagnahme durch einen Gläubiger, sondern nur insoweit, als ihr Gesamtbetrag die Summe von 1500 Mark für das Jahr übersteigt. Verdient also ein Arbeiter z. B. monatlich 150 Mark, so ist sein Gehalt in Höhe des 125 Mark übersteigenden Betrages, also von 25 Mark monatlich, pfändbar. Bei schwankenden Einnahmen muß eine Berechnung des wirklichen Verdienstes für das Kalender jahr stattfinden, und es ist dann an jedem Zahlungstermin soviel pfändbar, als die Quote des Ueberschusses den Jahres betrag von 1500 Mark übersteigen würde. Keine Anwendung findet das Gesetz: 1. auf das Gehalt und die Dienstbezüge der öffentlichen Beamten, da hierüber besondere Bestimmungen gelten, 2. auf die Beitreibung der direkten persönlichen Staats steuern und Kommunalabgaben, sofern dieselben nicht seit länger als drei Monaten fällig geworden sind, und 3. auf die Beitreibung des Unterhaltungsbeitrags, welcher den Verwandten, dem Ehegatten und dem früheren Ehe gatten für die Zeit nach Erhebung der Klage und für das diesem Zeitpunkt vorausgehende Vierteljahr zu entrichten ist. Alles dieses sind Interessen, die denjenigen des Schuldners gegen sich selbst vorangehen. Der höhere soziale Standpunkt muß dem niedrigeren weichen. Nach dem Bürgerlichen Gesetz buch haben die ebenangeführten Personen nämlich unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf Unterhalt; z. B. muß der im Ehescheidungsprozeß allein für schuldig erklärte Ehemann seiner geschiedenen Ehefrau Unterhalt gewähren. In einem derartigen Falle treten die dem Schuldner günstigen Beschränkungen des Lohnpfändungsgesetzes nicht ein, sondern es kann auch der zu künftige Lohn, und zwar auch unbeschränkt, gepfändet werden. Allerdings gilt das Vorrecht für diese Forderungen nur für die Zeit nach Erhebung der Klage und das diesem Zeitpunkt vor angehende letzte Vierteljahr. Eine der wichtigsten Bestimmungen ist dann noch in dem letzten Paragraphen des Gesetzes enthalten. Die Unpfändbarkeit des noch nicht verdienten Lohnes in bestimmter Höhe ist auch zugunsten der Alimentationsforderung der unehelichen Kinder gegen ihren Erzeuger beseitigt worden. Auch in diesem Falle kann wie oben der Lohn unbeschränkt gepfändet werden, indessen mit einer wichtigen Einschränkung. Der pfändende Gläubiger, in diesem Falle das uneheliche Kind, muß soviel von dem Lohn freilassen, wie der uneheliche Vater von dem zu pfändenden Lohn zum eigenen notdürftigen Unterhalt und zur Erfüllung der ihm den Verwandten, der Ehefrau und der früheren Ehefrau gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltungs- Pflicht bedarf. Ist also ein Arbeiter, der monatlich 150 Mark verdient und seine Eltern noch zu unterhalten hat, von seinem unehelichen Kinde auf Alimente verklagt worden, so kann sein Gehalt in voller Höhe gepfändet werden, soweit es ihm noch nach Abzug der Unterhaltungsgelder für seine Eltern zusteht. Er kann dann aber gegen die Pfändung geltend machen, daß das Gehalt seine einzige Einnahmequelle bildet und das ihm 80 Mark — diese Summe ist natürlich willkürlich gewählt und richtet sich nach dem jeweils gegebenen Verhältnissen — zur Bestreitung seines notdürftigen Unterhaltes frei bleiben müßten. Wenn jemand Schulden gemacht hat, muß er dieselben natürlich bezahlen. Unnötige Härten jedoch müssen, wie es das Lohnbeschlagnahmegesetz auch will, vermieden werden. Durch die jetzt geltenden Bestimmungen ist das aber nicht möglich, da die Pfändbarkeitsgrenze mit 1500 Mark entschieden zu niedrig einge setzt ist. Schon bei der Abänderung des Gesetzes im Jahre 1897 ist dieselbe wegen der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse von 1200 auf 1500 Mark erhöht worden. Inzwischen ist der Wert des Geldes weiter gesunken. Die Preise für die Lebens mittel und notwendigsten Bedarfsgegenstände, die Wohnungsmiete sind in dauerndem Steigen begriffen; die Lebenshaltung wird ständig teurer. Da ist eine weitere Erhöhung der Pfändbar keitsgrenze von 1500 auf 1800 Mark, die auch vom kürzlich