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Das Letztere war da» Wichtigste. Jene Versammlung entwickelte bereits die Ideen, die 12 Jahre später, nach dem großen Kriege, endlich zur allgemeinen Geltung kamen. Erna. Novelle von L. Haid he im. (3. Fortsetzung.) Auch die Generalin und die blonde Schwägerin setzten ihm nur die kälteste Höflichkeit entgegen. Keine wollte mit ihm zu thun haben. Noch nie war er ihnen so verhaßt gewesen wie jetzt, obwohl sie ihn längst nicht leiden konnten. Früher, als er um Hedwig warb, hatten der Ge neral und seine Gemahlin sich täuschen lassen und ihm die Nichte gegeben. Nun mußten sie ihn hoch halten vor der Welt. Die Rücksicht vor der Welt fiel auch dem General wieder ein. .Sie werden eS ebenso für wünschenSwerth hal ten, Kyburg, wie es für Erichs Zukunft wichtig ist, daß die nur ihn selbst und diese armen Kinder treffende Unglücksgeschichte nicht in den Mund der Leute kommt. Ich bitte Sie, das nicht zu vergessen." »Gewiß! gewiß! mit größtem Vergnügen; das heißt, ich wollte sagen selbstverständlich." Nicht ein Schimmer von dem Bewußtsein seiner schweren Verschuldung an dem jüngeren Schwager war in dem lächelnden Gesicht zu lesen. Wieder kochte der Zorn in dem General auf und stieg ihm in dunkler Blutwelle in die Stirn. Aber wozu? Kyburg galt längst bei der ganzen Familie als »unheilbar", und dennoch blieben sie Alle zweifelhaft, ob ihm wirklich das Verständniß für ge wisse einfachste RechtSgrundsätze abgehe, ob er nur ein Dickhäuter oder ein beschränkter Kopf sei, dem ein guter Fond von allgemeinen Kenntnissen und vor Allem ein gutes Theil Schlauheit beigegebe». Nach außen hin galt er eben nur als unbedeutend; seine harmlose Weise ließ ihn nirgends anstoßen, seine Be reitwilligkeit, der Meinung dessen zuzustimmen, mit dem er gerade sprach, verschaffte ihm sogar den Ruf eines bequemen liebenswürdigen Gesellschafters. DaS wußte er und in diesem Renommee sonnte er sich. Im Kreise der Seinigen sah man freilich tiefer, er schien eS nicht zu ahnen und machte sich ausgiebig die Liebe zu nutze, welche seiner reizenden Frau von allen Seiten gezollt wurde. Der General und Erich hatten den Salon ver lassen, und während sie, ohne auch nur mit einer Silbe die bitteren Gefühle zu berühren, welche sic beide gegen Kyburg erfüllte», ernst und bis zur kör perlichen und seelischen Ermüdung die Lage Erichs hin und her beleuchteten und seine Zukunftsmöglich- keiten erwogen, sagte Graf Kyburg zu den Damen mit der Miene eines Beschützers: „Was meint Ihr, wo ich gewesen bin? Die liebe Kleine hat am Ende gar gedacht, ich bekümmerte mich nicht um den armen Jungen?" Er streichelte dabei zärtlich das Haar seiner jetzt sehr blassen Frau, in deren blauen Auge» nicht wie sonst ein stiller gedul diger Kummer lag, sondern Ungeduld und eine große Nervosität. „Run?" fragten die Generalin und Emmy. Sie hatten nicht eben Vertrauen zu der Hoffnung, die sein Ton in ihnen wecken sollte. „Auf Froysberg war ich und habe dem Vetter eine Andeutung gemacht, natürlich in der zartesten Weise, daß Erich ein zeitweiliger Landaufenthalt gut thun würde. Er nahm dienstliche Gründe an, ich ließ ihn dabei. Uebrigens schien ihm die Sache sehr er wünscht. Froysberg kommt „zufällig" heute herein und ladet Erich zu sich." Die Frauen sahen sich betroffen an. „DaS hätten Sie doch lieber nicht thun sollen," begann die Generalin, und zupfte mit unsicherer Hand an den Bändern ihres Häubchens. „Die Mühe hätten Sie sich sparen sollen, Schwa ger, Sie wissen doch, wie Erich und Froysberg stehen!" rief zu gleicher Zeit Theodora. „Ja, meine liebe Theo, ich weiß es, aber in der Noth frißt der Teufel Fliegen, verzeihen Sie das vulgäre Sprichwort. — Ich bin überhaupt der Mei nung, daß eS unrecht ist, den Vetter so vollständig links liegen zu lassen. Er ist ein guter Kerl, und wenn er nicht heirathct, ist Erich sein Erbe." „Ach gehen Sie doch! FroySburg ist noch nicht vierzig," wies seine Schwägerin ihn ärgerlich ab. „Nun — und wenn er heirathen wollte, so ist er die brillanteste Partie, die ein Mädchen machen kann." Und dabei glitt de« Grafen lächelnder Blick über Emmy hin, die da« blonde Köpfchen aufwarf und ab weisend die Achsel zuckte. „Du meintest e« gewiß sehr gut, lieber Albert," sagte sanft seine Frau, „aber Du hättest doch lieber erst hören sollen, was der Onkel dazu sagt und ob Erich seine Abneigung gegen Froysberg überwunden hat. Du weißt, damals in der Erbschaft-sache —" „Aber, beste« Kind, da» sind alte Geschichten! Laß sehen, — sieben Jahr! Und daß Froysberg de« alten Herrn Testament umstieß und sich in den Be sitz de« Vermögen« setzte, zu welchem er genau die- selbe BerwandtschaftSberechkigung hatte, wie Erich — da« kann ihm kein Mensch übelnehmen." „Nein, gewiß nicht," mischte die Generalin sich in da« Gespräch, „und Erich wäre der Letzte gewesen, sich zu beklagen. Aber die Art und Weise —" „Die Tante hat ganz recht, die Art und Weise ist e«, welche Erich und wir für unschön fanden. Es läßt sich eine Sache oft rechtlich nicht verurtheilcn, und ein anständiger Mensch fühlt sich dennoch davon verletzt," sagte Theo mit einem finsteren Blicke und abweisenden Ton. „Nun, am Ende hat doch Erich die Entscheidung! Albert handelte jedenfalls in der besten Absicht!" wandte seine Frau mildernd ein. „Mein arme«, liebes Herzchen! Wollen sie Dei nem Albert weh thun?" Graf Kyburg streichelte dabei wieder die Hand seiner Frau, und sein Ton klang belustigt und dank bar für diesen neuen Beweis ihrer Zärtlichkeit. Sie liebte ihn abgöttisch; — es gefiel ihm wenig stens so zu glauben, und vor Allem, e« andere nach besten Kräften glauben zu machen. Gräfin Hedwig seufzte. — Sie war die schönste der drei Schwestern Willwart, und wenn auch auf ihren Zügen nicht mehr die Frische der Jugend lag, so trugen sie dafür einen Ausdruck von innerem Leben, der außerordentlich anziehend wirkte. Man sprach noch eine Weile hin und her. Die Damen mußten ziiqesrehen, daß eS das Beste sei, Erich glauben zu lassen, Froysberg komme zufällig. Ein schroffes Ab lehnen des verwandtschaftlichen Besuches, der immer hin nach der jahrelangen Entfremdung nicht thunlich gewesen, wenn man nicht von Neuem den Leuten zu reden geben wollte. Als sich vor sieben Jahren die Erbschaftsgeschichte abspielte und sogar in den Zeitungen besprochen wurde, batten sie alle dieses Hereinziehen ihres Namens in die Oeffentlichkeit sehr peinlich empfunden, wiewohl es Froysberg war, der getadelt wurde. Dann, als man einig darüber geworden, vor Allem auch dem General zunächst nichts zu sagen, nahm Graf Kyburg den Arm seiner Gemahlin und ging mit ihr nach Hause. Sein ganzes Aussehen war das eines Mannes, welcher sich mit Befriedigung bewußt ist, ein ganz vortrefflicher Mensch und ein angenehmer Kerl zu sein. „Er hat gut lächeln! Sein Majorat kann ihm kein Mensch antasten, und hat er denn wohl mit einer Silbe davon geredet, daß er uns Entschädigung geben wolle?" klagte Emma hinter ihm her. „Als wenn er nicht schon so viel Abzüge für seine Gläubiger machen lassen müßte, daß man überhaupt nicht begreift, wovon sie existiren?" seufzte die Gene ralin. „Und deSbalb spielt er an der Börse und speku- lirt! Ter arme, arme Erich!" schluchzte händeringend jetzt Theodora ans. „Der arme, unglückliche Erich! Er muß den Dienst quittiren! Kein Gedanke daran, Offizier zu bleiben!" Sie weinten jetzt alle drei aus vollem Herzen. — Theo wußte nicht, wen sie mehr beklagen sollte, sich selbst und Diringer, oder Erich. — III. Als der Letztere später nach Hause ging, jetzt voll kommen mit sich darüber im Klaren, daß er sein Lebens schiff unrettbar selbst zum Stranden gebracht, fuhr eine elegante Equipage an ihm vorüber. Er würde dieselbe ebenso wenig bemerkt haben wie alle die andern Wagen und Menschen, die ihm begegneten, hätte nicht eine der beiden darin sitzenden Damen sich mit einer besonderen Hast nach ihm um gesehen. Er grüßte mechanisch. Sicher eine Dame seiner Bekanntschaft, erkannt hatte er sie nicht und in der nächsten Minute mar er auch schon wieder in seine peinlichen Gedanken vertieft. Sein Bursche überreichte ihm, al« er zu Hause anlangte, ein für ihn angekommenes Briefchen mit Geld beschwert. „Wer brachte es?" fragte er mechanisch. „Ein Diener! Ich kannte die Livree nicht," ant wortete der Bursche. Das Eouvert war von einer Männerhand geschrie ben. Er öffnete es. Richtig, das Geld von dem kleinen Mädchen. — Und der Herr Papa schickte es. Erich sah nach der Unterschrift: „Robert Kaland" — ein gänzlich unbekannter Name. Der Mann schrieb aber durchaus angemessen; mit möglichster Kürze dankte er verbindlichst in seinem und seiner Tochter Namen für den der Letzteren ge leisteten Dienst und schickte den Betrag zurück. Wieder stand das junge Mädchen vor seiner Phan tasie, deutlich, bis auf den kleinsten Zug ihm erinnerlich. Wer sie wohl sein mochte? Ein Diener brachte den Bries? War er der ihres Vaters — ihrer Herrin? Aber dann verschwand das Bild und der Gedanke wieder in dem düsteren Gewölk, in dem er sich wie verirrt vorkam. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Berlin. Auf der SanitätSwache in der Jn- validenstraße erschien Freitag Nachmittag der zwanzig jährige Kaufmann Reinert, um ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Al« der Patient ein um den Kopf geschlungenes Tuch, welche« als Nothverband diente, abnahm, zeigte sich, daß die Nase, nur noch durch einen Hautzipfel mit dem Gesicht verbunden, über den Mund hinweg hing. Reinert war in der Friedrichstraße auf eine achtlos weggeworfene Kirsche getreten, auSgeglitten und so unglücklich in das Schaufenster eines Wäschegeschäftes gefallen, daß er sich dabei die geschilderte Verletzung zuzog. Er mußte, nachdem er in der Sanitätswache, den ersten Verband erhalten, in die Klinik in der Ziegel straße ausgenommen werden, wo es hoffentlich der ärztlichen Kunst gelingen dürfte, die "Nase des Patienten anzuheilen. Die Urheberin jenes Unglücks war ein junges Mädchen, die Tochter eines Hausbesitzers in der Karlstraße, sie hatte die Kirsche aus einer Düte achtlos auf den Straßendamm geworfen. Nun haben die Eltern sowohl für die zertrümmerte Fensterscheibe, welche einen Werth von 450 Mark rcpräsentirt, als auch für die erheblichen Kurkosten des verunglückten Kaufmanns Reinert aufzukommen. — Beim Impfen ist einem Arzt im Centrum Berlins vor einigen Tagen ein seltenes Mißgeschick passirt. Derselbe war eben dabei, einem kleinen Mädchen die Lymphe bcizubringen, als dasselbe mit dem Aermchen eine plötzliche Bewegung machte. Dabei gerieth die Spitze der Pincette in die linke Backe des Kindes. Dagegen war sofort nichts zu machen, das Kind ist nnn einmal im Gesicht geimpft, und die eine Pocke auf der Wange ist besser entwickelt, als die Ucbrigen auf dem Oberarm. Ob die "Narbe mit der Zeit verschwinden oder ob das Mädchen dieselbe zeitlebens als Schönheitspflaster wird tragen müssen, muß eben abgewartet werden. — Die Sprache der Affen. „Der New-Dork Herald" vom 8. Juni 1801 bringt eine interessante Abhandlung über die Frage, ob sich die Affen in Worten ausdrücken. Wir wollen hiervon nur einige Thatsachen hervorhebcn. R. L. Garner machte in den zoologischen Gärten von Rew-L)ork, Philadelphia, Cin cinnati und Chicago Jahre lang Versuche, die von den Assen ansgestoßenen Laute zu deuten, diese selbst auSzusprcchen, zu lernen und zu wiederholen. Da dies mit großen Schwierigkeiten verbunden war, na mentlich der Aussprache halber, kam Garner auf die Idee, den Phonographen zu Hülfe zu nehmen. Er brachte zwei Affen, die er vorher in einem Käfige gehalten hatte, in zwei fern von einander stehende Käfige. Dann stellte er den Phonograph vor dem Käfig des Weibchens so auf, daß dessen ausgestoßene Laute von dem Apparate ausgenommen wurden. Als er darauf den Phonograph vor dem Käfige des Männchens diese Laute wiederholen ließ, da zeigte dieses eine wahre „Affenfrende". Da sein erstanntes Gesicht, trotz Be sichtigung des Apparates von allen Seiten, das ver meintliche Weibchen nicht entdecken konnte, steckte der Affe Hand und Arm in den Schalltrichter des Pho nographen, worauf er dann wieder ganz erfreut den wohlbekannten Lanten horchte. Auch das Weibchen erkannte die Lante ihres Gefährten durch den Phono graph, zeigte sich jedoch weniger gerührt dadurch. Garner fühlte sich durch dieses "Resultat crmuthigt. Sein Streben war, die ansgestoßenen Laute zu inter- pretiren. Er wollte sich davon überzeugen, ob der Affe ein ihm vorgesagtes Wort der Asfensprache verstehe und dessen Meinung und Bedeutung erfasse. Der Erfolg blieb nicht aus. "Nach langer Uebung mit Hülfe des Phonographen machte Garner Fortschritte in der Aussprache. Er beschreibt selbst ausführlich, >vie er dazu gekommen, einen gewissen Laut der Affen als „Hunger" oder „Essen" zu deuten; ein anderes „Wort" kann nach seinen Versuchen nichts Anderes bedeuten als „Durst" oder „Trinken". Auch „Sturm", „Gefahr" und andere Worte fand Garner aus und sagt, daß all' diese Laute von einander vollständig ver schieden und von den Assen immer nur in einer und derselben Weise und sehr anschaulich gedeutet werden. Im Februar machte Garner Bekanntschaft mit einem Kapuzineraffen in Charleston, S. C. Das Thier zeigte sich außerordentlich freundlich und fraß aus seiner Hand. Als aber Garner den von ihm selbst als „Gefahr" übersetzten Laut ausstieß, zog sich das vorher zutrauliche Thier erschreckt in die hinterste Ecke des Käfigs und will seither nichts mehr mit Garner zu thun haben. Diese und andere Versuche sind nur die ersten Anfänge des Studiums der Affen sprache. So viel ist erwiesen, daß die Affen, wie die Menschen, die Lippen auch zum Sprechen gebrauchen, dagegen, im Gegensatz zu vielen Menschen, sprechen die Affen nur wenn's nöthig ist. — Ein neues Wundheilmittel, welches das Jodoform ersetzen soll, ist von zwei Breslauer Forschern, I)r. Liebrecht und Heinz, vor Kurzem ent deckt worden: das Dermatol. Es ist ein wismuth- haltigcr Körper, welcher wie das Jodoform, in Form eines feinen gelben Pulvers hergestellt wird. Im Gegensatz zu dem Jodoform ist das Dermatol völlig geruchlos und durchaus giftfrei; dabei wirkt es stark antiseptisch (fäulnißwivrigt), und ist wegen seiner gleich zeitig austrocknenden Wirkung auch in allen Fällen, wo es sich um nässende Ausschläge, Brandwunden, Geschwürchen und dergleichen handelt, zu verwenden. — Tanz und Touristik. Der „Tourist" be rechnet, daß eine Dame in einer Ballnacht bei den jetzt gebräuchlichen Tänzen, wenn sie dieselben alle mittanzt, nach Schritten gerechnet, einen Weg von etwa 30 Kilometern zurllcklegt und zwar auf den