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246 Der amtliche Bericht zeigt ferner, daß die Aerzte in ganz ungenügender Weise zur Gewerbeaufsicht herangezogen werden. Es gibt außerordentlich viele Mißstände auf dem Gebiete des Gesundheitsschutzes, welche der medizinische Laie einwandfrei festzustellen garnicht in der Lage ist. Es wird denn auch in dem Bericht eine lange Reihe von Fällen aufgezählt, in denen der revidierende Beamte die Hilfe der Kreisärzte in Anspruch nahm oder für sehr erwünscht bezeichnte. Dem Kreisarzt mit seinem jetzigen Tätigkeitsgebiet ist die Beteiligung an der Gewerbe aufsicht in ausreichendem Maße unmöglich. Daher ist die An stellung von Aerzten als Aufsichtsbeamte, und zwar für jeden Bezirk einer, unbedingt erforderlich. Bemerkenswert an den Ergebnissen des Berichts ist ferner die Tatsache, daß die einzelnen Arbeitnehmer sich sehr viel seltener persönlich an die Aufsichtsbeamlen wenden als die Arbeitgeber, mit Ausnahme des Reg.-Bez. Oppeln, wo seit Jahren das Umgekehrte stattfindet. Ganz besonders auffällig ist dieser Unter schied in den Nordöstlichen und östlichen Bezirken. Als Grund dafür wird angegeben, daß in jenen Gegenden sehr viel russische, galizische, polnische etc. Arbeiter beschäftigt werden, die der deutschen Sprache wenig oder garnicht mächtig und über die Rechte der Arbeiter etc. völlig im Unklaren sind, das gilt aber auch für viele Arbeiter deutscher Nationalität. Solange eine derartige Unklarheit tatsächlich besteht, ist besonders, da der Aufsichtsbeamte bei dem großen Umfange seines Tätigkeitsgebietes unmöglich alles selbst kennen lernen kann, die Wirkung der Aufsicht zum großen Teil illusorisch. Es muß daher weiter gefordert werden, daß den Arbeitern in Kursen, Vorträgen etc. die notwendige Belehrung zu Teil wird. Bei nicht deutscher Arbeiterbevölker ung wird diese Aufklärung in ihrer Muttersprache zu geschehen haben. Alle diese Mißstände können jedoch nur gehoben werden, wenn die Regierung das Auffichtspersonal ganz bedeutend ver mehrt und in geeigneter Weise zusammensetzt. Anmerk. d. Red.: Das, was in diesem Bericht über die Hinzuziehung von Aerzten gesagt ist, läßt sich ebenfalls von der Verwendung von dazu befähigten Arbeitern annehmen. Die Arbeiter- und Privatbeamten-Versicherung. s. r. Aus Privatbeamten-Kreisen wird uns geschrieben: Die deutsche Arbeiterschaft hat sich bisher um die große Bewegung der Privatbeamten zur Schaffung einer staatlichen Pensions- und Hinterbliebenenversorgung wenig bekümmert. Im Reichstage hat die sozialdemokratische Partei es bis vor kurzem vermieden, sich über die Bestrebungen der Privatangestellten zu äußern. Erst am 14. März 1907 hat gelegentlich der nationalliberalen Interpellation über die amtliche Denkschrift der Abgeordnete Heine erklärt, daß seine Fraktion dem Grundgedanken zustimmt. Auch in den anderen Parteien sind nicht die Arbeitervertreter irgendwie in der Erörterung der Pensionsfrage hervorgetreten. Ebenso ist es in der gewerkschaftlichen Bewegung. Soweit es sich nicht um die den Gewerkschaftsverbänden angeschlossenen Handlungsgehilfen und Bureanangestellte handelt, haben die Arbeiterzeitungen und die Arbeitervereine wenig Notiz genommen. Diese Nichtbeachtung einer großen neuen Bewegung entspricht offenbar nicht den Interessen der Arbeiterschaft. Denn nachdem ungefähr eine halbe Million organisierter Privatbeamte sich seit 5 Jahren eifrig bemüht, nachdem der Reichstag die Forderung einstimmig befürwortet und der Vertreter der Verbündeten Re gierungen ihre Verwirklichung eingeleitet hat, ist es so gut wie sicher, daß das Ziel erreicht wird. Ebenso sicher ist es, daß die Durchführung der Privatbeamtenversicherung von erheblichen Einfluß auch auf che Arbeiterversicherung sein wird. Gerade der jetzt schwebende Meinungsstreit unter den Angestellten über die beste Art der Verwirklichung der Privatbeamtenversicherung erfordert die höchste Anteilnahme der Arbeiterschaft. Die eine Hälfte der Angestelltenverbände wünscht eine völlige Loslösung der Privatbeamten von der allgemeinen Versicherung und die Begründung einer selbständigen Privatbeamtenkasse. Diese Art der Lösung würde nicht nur der jetzigen Invalidenversicherung einen erheblichen Teil ihrer Mitglieder, und zwar vorwiegend Mitglieder der leistungsfähigsten V. Lohnklasse entziehen, sondern er würde auch die bevorstehende Reform der sozialen Versicher ung durch Komplizierung erschweren; er würde vor allem das Interesse der Gesetzgeber von der Reform ablenken und die Be reitwilligkeit zur Verbesserung der Arbeiterversicherung hemmen durch die Aussicht auf die neuen erheblichen Lasten, die eine besondere Beamtenverstcherung bringen müßte. Umgekehrt will die zweite Hälfte der Beamtenvereine das Ziel erreichen, durch eine wesentliche Erweiterung und Verbesser ung des bestehenden Jnvalidengesetzes. Diesem sollen verschiedene neue Lohnklassen zugefügt und dann der Versicherungszwang auf die Beamten mindestens bis 5000 Mk. Jahresgehalt aus gedehnt werden. Die Invalidenrente soll auf 50 o/g des Durch schnittsgehaltes erhöht, der Begriff der Berufsinvalidität in der Auslegung des Z 5 des Gesetzes mehr berücksichtigt, die Alters rente von 65 Jahren an gezahlt und auch die Hinterbliebenen fürsorge wesentlich über dasjenige Maß hinaus gesteigert werden, das aus den Zollerträgen und aus sonstigen Reichs mitteln gewährt werden kann. Dafür wollen die Angestellten gern Prämien von 4 oder 5<Vo ihres Einkommens zahlen, während ihre Beiträge in der V. Lohnklaffe heute zwischen 0,3 und 0,8 o/g des Einkommens schwanken. Selbstverständlich würden die Veränderungen des Gesetzes sich nicht auf die Privat beamten beschränken, sondern alle Versicherten der betreffenden Lohnklasse umfassen. Es würden also auch die hochbezahlten Arbeiter zu höheren Beiträgen als früher herangezogen, dafür ihnen aber auch eine wesentlich bessere Versorgung in Aussicht gestellt werden. Es ist klar, daß der zweite Vorschlag vom Standpunkte der Allgemeinheit aus den Vorzug verdient, daß aber auch die gesamte Arbeiterschaft an diesem Vorschläge lebhaft interessiert ist. Man sollte deswegen erwarten, daß die organisierte Arbeiter schaft diesen Vorschlag unterstützte und namentlich ihre Vertreter im Reichstag dazu drängte, ihm zur Anerkennung in der Ge setzgebung zu verhelfen. Kranken-Unterstützung. (Von Arthur Lukaschewitz, Dresden.) (Schluß.) An der Hand dieser Berechnungstabelle will ich nun durch einige Beispiele versuchen, dieselbe verständlich zu machen. Der Uebersichtlichkeit halber habe ich als wöchentliches Krankengeld glatte Summen gewählt, als 3, 6, 9 und 12 Mark. Nehmen wir nun z. B. an, wir würden bei einen 4v/o Krankenbestand im Jahre, daß sind 200 Personen, dieselben die ersten 13 Wochen, pro Woche mit 12 Mark, die nächsten 13 Wochen pro Woche mit 6 Mark unterstützen, so würde sich dies um eine Ausgabe von 46 800 Mark handeln, zu deren Deckung die Bundessteuer pro Kopf und Monat um 78 Pfennige erhöht werden mußte. Unter den gleichen Bedingungen bei einem Krankenbestand von 5«/o, das sind 250 Personen, wären 58500 Mark erforder lich mit einer Neuerhöhung von 97,5 Pfennig. Bei einem Krankenbestand von 60/g, das sind 300 Personen, sind 70200 Mark erforderlich und eine Neuerhöhung von 1l7 Pfennige rc. Daß in Wirklichkeit der Krankenbestand ein stetig wechselnder, ein vom Durchschnitt der 60/g auf und absteigender sein wird, wird in den meisten Fällen von der Praxis der vielen Zuschuß kassen bestätigt. Dieses eventuell mehr als der Durchschnitt wird aber dadurch wesentlich abgeschwächt, durch die ebenfalls sehr verschiedene und schwankende Krankheitsdauer des Einzelnen. Es ist deshalb auch kaum anzunehmen, mit wenig Ausnahmen, daß alle Kranken in die Lage kommen, die volle Höhe und Dauer der Unterstützung, daß sind 156 Tage im Jahre, in An spruch nehmen müssen. Jedenfalls muß auch hier, wie bei jeder anderen Unter stützungsart, eine scharfe Kontrolle der Kranken einsetzen, welche ausgeübt von den zuständigen Vereinen des Bundes unter An lehnung an die der zuständigen Zwangskasse, schon dafür sorgen werden, daß diese Unterstützung nicht unrechtmäßig und leicht sinnig in Anspruch genommen wird. Ferner verbürgt nach folgender Entwurf eine zweckdienliche Wahrung unserer Bundes interessen.