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210 als bisher Kapitalabfindung statt Rente gewährt würde, wozu allerdings eine Aenderung der gesetzlichen Vorschriften erforder lich wäre. Ferner müßten häufige ärztliche Untersuchungen ver mieden werden, da sie den Kranken aufregten und der verschieden artige Ausfall der Begutachtungen leicht zu Verstimmung, Wider spruch und unrichtigen Vorstellungen führe. Weiter erscheine es geboten, mit der Bewilligung einer zu hohen Rente gleich im Anfänge vorsichtig zu sein, wenn es auch freilich eine große Zahl von Unfallnervenkranken gebe, denen zuerst eine sehr hohe Rente, oft sogar die Vollrente gewährt werden müsse. Bei der Behandlung, für die im allgemeinen dieselben be kannten und bewährten Mittel in Betracht kommen wie für die unabhängig von einem Unfall entstandenen Erkrankungen an Hysterie und Neurasthenie, sei namentlich ein Zuviel zu ver meiden. Die Anwendung vieler verschiedener Behandlungs methoden vermehre in der Regel die Selbstbeobachtung, die gerade verringert werden müsse. Die Behandlung in einer geschlossenen Anstalt dürfe nicht zu lange ausgedehnt werden. Vielfach genüge es überhaupt, wenn die Kranken unter der Kontrolle eines Arztes — und zwar immer desselben Arztes — blieben, dem sie sich in gewissen Zwischenräumen vorzustellen hätten. An der Spitze aller Mittel zur Behandlung von Unfallnervenkranken stehe aber die Arbeit. Der Vortragende legte eingehend dar, welche Bedeutung er diesem Heilfaktor beimesse, und führte aus, die Kranken müßten, sobald sie nur imstande wären, irgend etwas zu leisten, an die Aufnahme der Arbeit erinnert, und auch später auf jede nur zulässige Weise zu immer weiterer Ausnutzung ihrer Kräfte angehalten werden. Freilich werde man dazu auch be strebt sein müssen, ihnen geeignete Gelegenheit zur Betätigung zu verschaffen. Entsprechend dem allmähligen Fortschreiten der Gewöhnung an die Arbeit und der damit verbundenen Hebung der Arbeitsfähigkeit dürfe auch die Minderung der Renten in der Regel nur in mäßigen Abstufungen erfolgen. (Aus den „Monatsblättern für Arbeiterversicherung" Heft 5 vom 15. 5. 07.) Leichtsinniges Unterzeichnen von Schriftstücken (Nachdruck verboten) ist eine von denjenigen Quellen, aus denen große Nachteile, Ver legenheiten oder doch jedenfalls unliebsame Streitigkeiten in einem außerordentlich reichen Maße fließen. Wer nach dieser Richtung hin das tägliche Leben beobachtet, muß geradezu staunen, mit welcher Gedankenlosigkeit und Vertrauensseligkeit viele Leute, auch solcher, die sich zu den gebildeten Ständen zählen, ihren Namen unter Schriftstücke setzen, ohne vorher ge prüft zu haben, ob das, wozu sie auf diese Weise sich bekennen, auch wirklich ihrem Willen entspricht und ob sie es zu halten imstande sind. Später stellt sich dann gar häufig heraus, daß die wirklich getroffenen Vereinbarungen mit dem Gegner in der Urkunde nicht korrekt wiedergegeben sind, daß letztere manche Zu sätze enthält, über die man sich gar nicht verständigt hat, daß anderes wiederum, worauf großes Gewicht gelegt wurde, einfach übergangen worden ist. Man hat unbedenklich seinen Namen unterschrieben, indem man einfach darauf vertraute, es werde schon alles in Ordnung sein. Noch schlimmer aber ist es, wenn man vorgedruckte Formulare durch solche Namensunterschrift ge nehmigt, ohne überhaupt nach dem Inhalte näher gefragt zu haben. Es mietet jemand eine Wohnung und verständigt sich mit dem Eigentümer darüber, wie viel Räumlichkeiten ihm zur Verfügung gestellt werden sollen und welchen Mietzins er dafür zu entrichten hat. Nun wird ihm ein Kontrakt vorgelegt, der mehrere Druckseiten umfaßt, in welchem sich Bestimmungen vor finden über die Kündigung, über die Pflichten des Mieters nach der Kündigung, über die Frage, wer die Reparaturkosten zu tragen hat, über die Folgen, die sich an unpünktliche Zahlung der Miete knüpfen sollen usw. — aber der Mieter wirft auch nicht einen einzigen Blick auf alle diese Sätze, die für ihn doch von so großer Wichtigkeit sind, er fürchtet, hierdurch ein Miß trauen zu erkennen zu geben und dadurch seinen Hauswirt zu beleidigen oder er ist einfach viel zu bequem, um sich mit dem Durchlesen eines so langen und langweiligen Textes zu befassen — er unterschreibt alles und ist dann natürlich nicht wenig er staunt, wenn man ihn dazu anhält, auch das, wovon er keine Ahnung besitzt, was er aber undurchgesehen genehmigt hat, nun zu erfüllen. Ganz ebenso verhält es sich bei Bestellscheinen. In den Formularen, deren sich hierzu manche Geschäftsleute im Verkehr mit dem Publikum bedienen, liegen zweifellos Fallen und der Leichtgläubige geht einfach darauf ein. Er verzichtet durch seine Namensunterschrift darauf, Einwände wegen mangel hafter Beschaffenheit der ihm noch erst zu liefernden Ware zu machen, er entsagt dem Rechte, entdeckte Fehler binnen sechs Monaten geltend zu machen, willigt darein, daß die Erfüllung nicht an seinem Wohnsitze, sondern am Orte des Verkäufers zu erfolgen habe und dergleichen mehr, er gibt mit einem Worte alle möglichen Rechte Preis und unterwirft sich allen nur denkbaren Erschwerungen, Vertragsbedingungen, auf die er nie eingegangen wäre, die er nun aber doch erfüllen muß, weil er sie unter schrieben hat. Es kann sich nämlich niemand ohne weiteres darauf be rufen, daß er die Vertragsurkunde, aus der er in Anspruch ge nommen wird, vor dem Unterzeichnen nicht gelesen habe, sondern er muß alles, was in dem Formulare steht, gegen sich gelten lassen, wenn er dieses letztere unterschrieben hat, nachdem ihm die Gelegenheit geboten war, den Inhalt zu prüfen. In diesem Sinne hat unter anderem das Oberlandesgericht zu Dresden in zwei Erkenntnissen, deren eine am 4. Februar 1902, das andere am 13. Oktober desselben Jahres ergangen ist, sich folgender maßen geäußert: „Unterzeichnet jemand eine Urkunde rechtsgeschäftlichen Inhaltes, obwohl ihm dieser unbekannt ist, so kann er sich auf diese Unkenntnis der Regel nach nicht berufen", und ebenso erklärt das Oberlandesgericht zu Jena in einem Urteile vom 14. Januar 1903: „Die Behauptung, einen schriftlichen, von vorherigen mündlichen Verabredungen abweichenden Vertrag nur aus Versehen unterschrieben zu haben, genügt nicht, um eine aus Irrtum über den Inhalt abgegebene Willenserklärung annehmen zu können." Es kann sich also niemand damit entschuldigen, daß er sich in dem irrigen Glauben befunden habe, die von ihm Unter zeichnete Urkunde enthalte etwas anderes, als wirklich darin steht. Der Geschäftsverkehr verlangt von jedem Menschen Vor sicht, Aufmerksamkeit und verständiges Verhalten bei allen seinen Maßnahmen, und eben deshalb sind ja unerwachsene Personen, die noch nicht die nötige Reife besitzen oder diejenigen, deren Geisteszustand kein normaler ist, von der Handlungsfähigkeit ausgeschlossen. Wem aber diese letztere vom Gesetze zugestanden worden ist, der muß prüfen, bevor er sich bindet. Die Verkehrs sicherheit fordert es, daß man zu dem stehe, wozu man sich durch Namensunterschrift bekannt hat und es würde weitaus die größte Zahl der zustande gekommenen Abschlüsse wieder ins Wanken geraten, wenn der Richter Einwendungen des Inhalts, man habe Ungelesenes unterschrieben, Gehör schenken müßte. vr. U. Rechts- und Gesetzeskunde, tzntscliei-ling des obenlandesgericdts ffaelserilie. rcl. Abgelehnter Rentenansxruch wegen Tötung des Lrnährers. Ein Arbeiter hatte einem anderen gelegent lich eines Streites mit der flachen Hand einen mäßig starken Schlag ins Gesicht versetzt. Der Getroffene stürzte zu Boden und zog sich dabei eine Verletzung zu, an deren Folgen er starb. Infolge dieser Tat wurde der Unvorsichtige vor den Strafrichter zitiert und gemäß § 223 des Strafgesetzbuches wegen Körper verletzung bestraft. — Nun strengten aber weiterhin die Hinter bliebenen des Getöteten gegen den Täter eine Schadenersatzklage gemäß K 844 des Bürgerlichen Gesetzbuches an, wonach im Falle der Tötung der Ersatzpflichtige einmal die Kosten der Beerdigung zu tragen und ferner denen, welche der Getötete zu unterhalten verpflichtet war, eine Geldrente so lange zu zahlen hat, als der Getötete voraussichtlich gelebt haben würde, wenn die schadenstiftende Handlung nicht stattgefunden hätte. Indessen ist diese Forderung vom Oberlandesgerichte Karlsruhe nicht für berechtigt erachtet worden. Der Täter hat erklärt — und das ist sogar vom Strafrichter auf Grund des stattgefundenen Beweisverfahrens für wahr angenommen worden — daß er nicht