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ordnung die Genehmigung versagt, indem sie sich von der Meinung leiten ließen, daß darin eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit, ja sogar ein Verstoß gegen die guten Sitten zu erblicken sei. Wie wenig haltbar diese Auffassung ist, ist in früheren Aus führungen bereits wiederholt dargetan worden und auch nicht ohne Erfolg, denn an einzelnen Stellen hat sich die Behörde nachträglich zu einer besseren Ueberzeugung bekannt und ein der artiges Verbot als gültig behandelt. Aber auch die Gerichte sind vielfach in die Lage gekommen, sich mit dieser Frage abzufinden. Ganz unlängst erst hat eine Entscheidung, die in Chemnitz gefällt worden ist, ein wenig er freuliches Aufsehen erregt. Die Sache lag, wie man sich erinnern wolle, in Kürze folgendermaßen. Ein Fabrikant hatte einem Arbeiter, der sich bei ihm um Beschäftigung bewarb, die Frage vorgelegt, ob er einem gewissen Verbände angehöre und hinzugefügt, daß, wenn dies der Fall wäre, er ihn nicht brauchen könne. Jener hatte darauf, obwohl er Mitglied der betreffenden Organisation war, dennoch steif und fest erklärt, er habe mit ihr nichts zu tun. Dadurch hatte sich der Arbeitgeber täuschen lassen und ihn in seinen Betrieb eingestellt, um ihn später, nachdem er über den wahren Sachverhalt zufällig aufgeklärt worden war, sofort zu entlassen. Der Gemaßregelte glaubte, daß ihm Unrecht geschehen sei, klagte auf Schadenersatz wegen vorzeitiger Lösung des Arbeitsverhältniffes und — siegte ob. Das Gericht hat in der Lüge, die der Kläger vorgebracht und durch die er sich in den Betrieb des Beklagten eingeschlichen hatte, etwas Anstößiges oder gar eine arglistige Täuschung nicht erblickt, vielmehr gemeint, daß der Beklagte seinerseits sich einer unzulässigen Beeinflussung der Willensfreiheit des anderen, einer verbotswidrigen Beein trächtigung seiner Personenrechte schuldig gemacht habe, indem er jene Bedingung überhaupt stellte. Jedem Arbeiter müsse es überlassen bleiben, sich derjenigen Organisation anzuschließen, von der er sich die meisten Vorteile verspreche, und wer ihn daran hindere, der kürze ihm die feierlichst vom Gesetze gewährleistete Koalitionsfreiheit. So das Chemnitzer Gericht. Ihm verdient nun gegenübergehalten zu werden ein Urteil des Gewerbegerichts zu Solingen vom 7. Dezember 1905, das sich fast mit demselben Tatbestände beschäftigt, mit einem Sachverhalte, dessen unter scheidende Merkmale im Gegensätze zu dem soeben besprochenen nur mit einer gewissen Mühe und Spitzfindigkeit sich erkennen lassen. Hier lag die Sache so: Eines Tages sprach der Kläger bei der beklagten Firma um Arbeit vor. Der Geschäftsführer, bei dem er sich melden ließ, fragte ihn sofort, ob er Mitglied des Metallarbeiter verbandes sei, und als jener bejahte, bekam er den Bescheid, daß man in diesem Falle von seinem Angebote keinen Gebrauch machen könne. Der Kläger, dem augenscheinlich sehr daran lag, Unterkommen und Verdienst zu finden, stellte nun seinerseits die Frage, ob man ihn, wenn er aus dem Verbände anstreten würde, annehmen wolle, und darauf antwortete der Vertreter der be klagten Firma in bejahendem Sinne. Mit diesem Bescheide entfernte sich der Kläger zunächst, um nach einigen Tagen wieder zu kommen mit der Erklärung, er habe inzwischen seinen Austritt aus dem Metallarbeiterv"r- bande bewirkt und bäte nunmehr, da dieses Hindernis aus dem Wege geräumt sei, ihn zu beschäftigen. Das ist auch geschehen; am 15. November 1905 trat der Kläger bei dem Beklagten ein und blieb dort bis zum 24. desselben Monats. An diesem Tage nämlich hatte die beklagte Firma in Erfahrung gebracht, daß der Kläger noch immer dem Verbände angehöre und sie hatte ihn daraufhin ohne Kündigung entlasfen. Auch er fordert, wie sein Chemnitzer Berufsgenoffe, im gegenwärtigen Prozesse Schaden ersatz wegen Kontraktbruches; er ist aber rechtskräftig mit dieser Forderung abgewiesen worden. Die Erwägungen, von welchen dieses Urteil getragen wird, sind nun in mehr als einer Hinsicht von großem Interesse. Man würde eine Enttäuschung erfahren, wollte man annehmen, daß hier nun endlich einmal der Grund satz, daß es dem Arbeitgeber wohl zustehe, den Leuten, denen er Beschäftigung und Lohn gewährt, die Zugehörigkeit zu einem ihm selbst feindseligen Verbände zu untersagen — zu dieser Auffassung hat sich auch das Gewerbegericht zu Solingen nicht aufzuschwingen vermocht, es ist aber offenbar von dem Empfinden beseelt gewesen, daß einer Klage, wie der hier angebrachten, billigerweise nicht stattgegeben werden könne, und da sucht es denn den Kampf, den diese zwei Seelen in seiner Brust führen, in ganz eigenartiger Weise zu schlichten. Die Verhandlungen, die der Anstellung des Klägers im Dienste der Beklagten vorauf gingen, sollen nicht eine Vertragsbedingung darsteüen, sondern die Voraussetzung für einen Vertragsschluß überhaupt. Was dieser feine Unterschied besagen will, erhellt am besten aus den Urteilsgründen selbst, die hier in kurzer Zusammenfassung dar gelegt werden sollen. Da heißt es denn etwa folgendermaßen: Aus den Verhandlungen, die zwischen den Parteien geführt worden sind, bevor es zum Abschlüsse des Arbeitsvertrages kam und bevor auch nur über die Arbeitsbedingungen selbst eine Erörterung angestellt wurde, ergibt sich unzweifelhaft, daß die Firma besonderen Wert darauf legte, daß Kläger dem Metall- arbeiterverbande nicht angehörte und daß sie seinen Austritt aus dem Verbände als Vorbedingung erachte für das Eingehen eines Arbeitsverhältniffes mit dem Kläger. Zur Erreichung dieses Zieles hat sie aber keineswegs irgend welchen Zwang auf den Kläger ausgeübt; sie hat im Gegenteil dem Kläger die Ent scheidung über ihr Verlangen vollständig überlassen, sie hat ihm durch Gewährung einer Frist Gelegenheit gegeben, sich die Sache zu überlegen. Kläger hat sich dann freiwillig wieder gemeldet und er wußte, als er die Erklärung unterschrieb, sehr wohl, daß er nur durch die Abgabe dieser Erklärung seinen Eintritt bei der Firma erreichen, die gewünschte Stelle erhalten konnte. Von einer Beschränkung des Koalitionsrechtes, wie Kläger meint, kann hiernach gar keine Rede sein. Das könnte vielleicht zu erwägen gewesen sein, wenn der Austritt aus dem Verbände während des Arbeitsverhältnisses unter Anwendung eines Zwanges, z. B. unter Drohung mit der Kündigung verlangt worden wäre. Hier hatte die Firma dem Kläger die Entschließung seiner freien Willensäußerung überlassen. Kläger ist nun trotz der abgegebenen Erklärung aus dem Metallarbeiterverbande nicht ausgetreten. Als die Firma am 24. November hiervon Kenntnis erhielt, hat sie ihn sofort ohne Kündigung entlassen. Der Austritt aus dem Verbände war die Vorbedingung für das Eingehen des Arbeits verhältnisses. Da Kläger diese Vorbedingung nicht erfüllte, kann er auch keinen Anspruch auf die von der Firma auf Grund dieser Vorbedingung übernommenen Verbindlichkeiten machen. Kläger hat gegen die Vorschrift des 8 325 B. G.-B. verstoßen, indem er das weitere Bestehen des Arbeitsverhältnisses mit der beklagten Firma unmöglich machte durch den von ihm ver schuldeten Umstand, daß er die übernommene Verbindlichkeit des Austritts aus dem Verbände nicht erfüllte. Die Firma hatte daher das Recht des Zurücktritts vom Arbeitsvertrage. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt auch nicht in dem Vor gehen der beklagten Firma mit Rücksicht auf das vollkommen freie Entschließungsrecht des Klägers. Wenn Kläger schließlich eingewandt hat, daß es ihm mit Rücksicht auf die statutarischen Bestimmungen des Verbandes nicht möglich gewesen sei, vor dem 1. Dezember seine Mitgliedschaft zu lösen, so ändert dies an der Beurteilung des vorliegenden Falles nichts. Kläger hätte dann wenigstens die Pflicht gehabt, hiervon die Firma unverzüglich, jedenfalls bis zum 15. November in Kenntnis zu setzen. Das hat er anerkanntermaßen nicht getan. vr. jnr. Biberfeld. Volkswirtschaftliches. Der Arbeitsmarkt im Monat März 1907. Aus dem Aprilheft des „Reichs-Arbeitsblattes". Der Monat März pflegt infolge der in ihm stattfindenden völligen Wiederaufnahme der Arbeiten im Baugewerbe und der sonstigen auf die Arbeit im Freien angewiesenen Gewerbe, des Beginns der Arbeiten in der Landwirtschaft und der Wiederauf nahme der Binnen-Schiffahrt, alljährlich ein Monat steigender Beschäftigung zu sein. Auch in diesem Jahre war die Be schäftigungsgelegenheit sowohl auf dem gewerblichen wie auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt im allgemeinen günstig. Der frühe Termin des Osterfestes trug zu einer stärkeren Anspannung der Beschäftigung einer Reihe von Gewerben auch noch bei. Im Kohlenbergbau hielt die günstige Arbeitsgelegenheit auch im März an, Arbeitskräfte waren gesucht, der Wagenmangel noch nicht beseitigt. Unverändert günstig lauten im allgemeinen die Berichte aus der Eisen-, Metall- und Maschinenindustrie; desgleichen ist die allgemeine Konjunktur in der elektrischen Industrie als gut