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Beilage zu Rr. 72 des „Amts- und Ameigeblattes". Eibcnstolk, den 20. Ium 1891. Die Jüdin von Heidelberg. Rach historischen Quellen erzählt von Fr. E. von Wickede. (4. Fortsetzung.» „Holde Jungfrau, gebietet Eurem Jammer — nicht weil er ein Jude, sondern weil er reich war, siel er dem SchreckenSgcricht zum Opfer. Fällt aber seine Tochter in die Hände seiner Feinde, so wird ihr Loos ein anderes sein — man wird ihr Leben schonen, um —" „Und warum mich nicht wie ihn tödten?" „Um Euch einem schlimmeren Loose zu erhalte», — das Schloß des Markgrafen ist Euch zum Asyl bestimmt." „Großer Gott!" jammerte das Mädchen, anfs Höchste erschrocken. „Berthold von Baden hat sein Auge auf Euch geworfen, und was er will, muß geschehen, dazu hilft ihm Konrad von Marburg. Aber — beim Himmel, da sind seine Diener schon!" Die Jüdin wandte sich nm und erblickte zwei das Thor öffnende dunkle Gestalten, ans deren Brust mail, als sie die Hand zum Schließen des ThoreS erhoben, deutlich das rothe Kreuz erblickte. Sie kannte dies Zeichen zu gut aus den Schilder ungen ihres Vater. Int nächsten Augenblick hatten die Männer das Haus betreten. Eleonore aber flüchtete sich auf die Seite des Ritters. . Sechstes Kapitel. Der Kampf um die Jüdin. Martin Wilsdorf war peinlich überrascht, diesen Gegnern gegenüber zu stehen, denn ein Kampf mit denselben tonnte die Sache noch verwickelter machen und Allen Gefahr bringen. Die Zeit zur Ueberlegung war indessen kurz und er mußte schnell einen Ent schluß fassen. Er hatte geschworen, das Mädchen zu retten, wenn es in seiner Macht lag, und für ihn fragte es sich nur, wie er dies bewerkstelligen sollte. Handelte er recht, wenn er den offenen Kampf für die Jüdin gegen die Inquisition unternahm? War nicht solch' Unternehmen gegen die Interessen der Brüderschaft? Als aber das geänstigte Mädchen flehend nm seinen Schutz bat, war sein Entschluß ein schneller, — ihr widerstehen war ihm unmöglich, und einer ganzen Armee mit dem Großinquisitor au der Spitze würde er Trotz geboren haben, um diese bitten den Augen in Schutz nehmen zu können. „So lange Blut in meinen Adern fließt, — seid Ihr unter meinem Schutz — diese Männer sollen Euch kein Leid zufügen." Die Vertrauten des peinlichen Gerichts sahen mehr mit Neugierde als mit Besorgniß auf den kecken Ritter, der es wagte, so zu reden. Unzweifelhaft mußte ihm ihr Amt bekannt sein, dann wußte er aber auch, daß ihre Autorität eine unbedingte war. „Wir haben eine Botschaft an Euch, Eleonore Olsheim," begann der eine, sich ihr nähernd. „Ich stehe hier für sie und will für sie antworten," entgegnete Martin. „Ihr antwortet, wenn man Euch fragt, und dies könnte eher der Fall sein, als Ihr vermuthet. Ihr seid uns wohl bekannt, Ritter Wilsdorf, und wenn nur innerhalb der Manern unseres Tribunals Euren Namen nennen, wird die Hilfe, welche jenes Mäd chen bei Euch suchte, nicht von viel Nutzen sein. Stehet zur Seite und laßt das Mädchen für sich selbst sprechen." „Ehe Ihr Euch auf weiteres einlaßt, merket wohl, daß ich Euch sage, diese Jungfrau steht unter meinem Schutz und mit meinem Leben stehe ich für sic ein." Die Männer sahen einander lächelnd an und blickten dann mit Mitleid auf den Sprecher, dessen Rede sic in der That in Erstaunen setzen mußte. „Wisset Ihr denn auch mit wem Ihr redet, Ritter Martin?" fragte einer derselben. „Wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr Diener des blutigen Konrad!" entgegnete er. „Der Sache nach seid Ihr recht berathcn, für die nähere Bezeichnung werdet Ihr an geeigneter Stelle antworten. Euch wollen wir heute unge hindert gehen lassen, morgen dürftet Ihr aber weise handeln, unsere Rache zu meiden." „Ihr Leute scheint zu glauben, als ob ich Euch fürchte," entgegnete Martin spöttisch lachend. „Für- wahr, ich sage Euch, wagt eS nickt, Eure Haud gegen das Mädchen auSzustrcckcn, denn seit ich weiß, daß ihr Vater ein Opfer —" „Was, woher wisset Ihr davon?" „Wenn ich es nicht schon vorher gcwnßt hätte," erwiderte Martin, „würde ich an Eurem Erstaunen erkennen, daß er ein Opfer Eurer Sippschaft geworden ist und deshalb verweigere ich Euch das Recht, Euch an seiner Tochter zu vergreifen." Plötzlich wie ans ein verabredetes Zeichen zogen die beiden geheiinnißvollcn Diener der Vchme unter ihrem langen Mantel blitzende Dolche hervor. „Martin Wilsdorf," sagte der eine auf ihn zu- chrcitcnd, „Ihr habt Euer eigenes Ilrtheil gesprochen, die Exekution wird vor der Untersuchung vor sich gehen müssen. Dies ist das Loos aller derer, welche es wagen, sich unserer Autorität zu widersetzen." Ehe der Mann sich ihm aber nähern konnte, fuhr Wilsdorfs gute Klinge aus der Scheide, denn er Ivar nicht gewillt, nur mit Worten auf die Gegner einzuwirken. „Gerechter Gott, nicht um meinetwillen!" rief Eleonore, zwischen die Beiden tretend. „Zurück, Jungfrau," entgegnete der Ritter, sich hastig von ihr losmachend," besser Ihr sterbet hier zur Stelle, als Ihr fallet diesen Ungeheuern in die Hände. Jetzt heran mit Euch, wcun Ihr den Muth habt; Gott und seine Gerechtigkeit wird meine Klinge uhren, Ihr seid keine Beamte eines gerechten Ge richtes, und kein christliches Gericht steht hinter Euch, Dämoneu der Hölle seid Ihr uud Mord und Raub ist Eure Losung! Der Racheengel hat sein Schwert gezogen und furchtlos nehme ich eö in meine Hand!" Auch jetzt uoch schiene» die Diener der Vehme an keinen ernstlichen Widerstand zu glaube» uud wähnten unfern Helden durch eine List fangen zu können. Mit einem dreisten Sprung drang der eine ans ihn ein, während der andere ihn von hinten an griff. Aber sie hatten auf die Wirkung des Namens, den sie trugen, zu viel Gewicht gelegt, denn Martin hatte neben der Rettung der Jüdin auch die eigene Sicherheit im Auge und die Folgen im voraus be rechnet. Mit einem Hiebe, wie er ihn nie gegen das Haupt eines Sarazenen geführt hatte, traf er den Schädel des ersten, der sich ihm genähert hatte, und gewandt parirte er den Stoß des andern, nachfahrend mit dem Schwert, daß der Dolch klirrend der zer hauenen Hand entfiel. Aber Schonung selbst dem unbewaffneten Feinde durfte er hier nicht üben, und ein zweiter mächtiger Stoß warf den andern Gegner entseelt zu Bodeu. Das Ganze schien nur ein Kinderspiel gewesen zu sein und ohne Zittern steckte der Ritter das Schwert in die Scheide. Er zögerte auch nicht lange, um über sein Rachcwcrk nachzu denken, sondern eilte in das Nebengcmach, wohin sich die geängstigte Jüdin geflüchtet hatte. „Jetzt vorwärts, Jungfrau, denn Ihr seid keine Sekunde mehr in diesem Hause sicher; raffet schleunigst das Nöthigste zusammen und folget mir." „Wohin sind die beiden Männer gekommen, ich hörte einen schweren Fall — ein Röcheln —" „Sehet nicht dorthin, ihnen ist die Macht uns zu schaden, genommen; aber Andere werden an ihre Stelle treten und wir müssen gewärtig sein, sie bald hier zu sehen." „Ja — ja — darf Kalypso, unsere alte treue Dienerin, mich begleiten?" „Wenn sie sich beeilen kann, gerne; sie wird Euch von Nutzen sein." Eleonore lief eilig davon, um die Alte anzutreiben, und Martin überzeugte sich inzwischen, daß seine beiden Gegner verschieden waren. „Ich that, was ich thun mußte," sagte er sich selbst, „und eher würde ich mein Schwert mit dem Blute des ganzen Tribunals röthen, als dulden, daß diesem Wesen ein Haar gekrümmt wird. Stur dann wird da« Vaterland den ersehnten Frieden finden, wenn der letzte dieser Schurken am Boden liegt!" Dann verließ er das Zimmer uud binnen Kurzem waren die Jüdin und die mit einem Kleidcrbündel beladene Dienerin bei ihm. Ein dichter Schleier bedeckte Eleonorens Gesicht, um sie unkenntlich zu machen. In der äußersten Halle hingen nachlässig über einen Sessel geworfen die grauen Obcrmäutel der beiden Gctödteten und auf Martins Anregung mußten die Frauen sich mit denselben bekleiden und die Hüte derselben tief ins Gesicht drücken. So ein gehüllt und durchaus unkenntlich gemacht, empfahl Martin denselben vorauszugehen und folgte ihnen in kurzer Entfernung in der angegebenen Richtung nach, nachdem er das Thor sorgfältig verschlossen hatte. Durch die engen, wenig belebten Straßen führte er sie sicher in seine Behausung, wo Bardolf und Katharina ängstlich ihrer harrten. Er geleitete Eleo nore in seinen Waffcnsaal und entkleidete sie ihrer Vermummung. „Jungfrau," sagte er zu derselbe«, „betrachtet dies Haus einstweilen als das Eurige. Ihr habt einen schweren Verlust erlitten, den ich schmerzlich mit Euch empfinde, aber Ihr müsset Trost in der Gewißheit finden, einem schlimmeren Schicksal entgangen zu sein, von dem Euch Euere Freunde hefreit haben. Vor der Hand seid Ihr sicher — Eure Wünsche sollen uns Befehl sein." „Und muß ich auch das Haus meines Retters wieder verlassen?" fragte sie, mit Thräncn in den schönen Augen zu ihm aufschend. Im nächsten Augen blick aber fühlte sie, daß diese Frage eine übereilte war und erröthend senkte sie die dunkle Wimper, während die ihm gereichte Hand in der seinen zitterte. Wie ein Blitzstrahl durchzuckte eS Martins Herz und kaum wissend was er that, drückte er die Haud an seine Lippen. „Mein vornehmstes und höchstes Ziel ist Eure Sicherheit, theurc Jungfrau, aber ob Ihr bei mir weilet oder au einem andern Ort, stets werde ich für Eure Wohlfahrt bedacht sein. Dort meine alte Katharine wird nach besten Kräften für Euch sorgen." Herzlich reichte die alte Frau ihrem jungen Schützling, dessen trauriges Loos sie bereits aus Bardolss Mittheilungen kannte, die Hand und ge leitete sie in das für sie bereitete Gemach. Wilsdorf folgte mit den Augen jeder ihrer Be wegungen, und als sie seinen Blicken entschwand, legte er die Arme in einander und neigte das Haupi. Er Ivar ein Mann von tiefem Gefühl, trotz seines Handwerks, das so oft den Mann rauh und gefühl los für bessere Empfindungen macht. Er fühlte eine seltsame Veränderung mit sich Vorgehen, die er nie zuvor erfahren hatte. Er empfand, daß er die schöne Jüdin liebte. Aber durfte er — ein Ritter — je daran denken, einer Jüdin die Hand am Altar zu reichen? 'Nein, nein, der Gedanke war albern unv kindisch. Während er so mit sich rechtete, trat Bardels zu ihm ein, um zu erfahren, was sich zugetragen habe. „Ich will Euch Alles genau erzählen, Bardolf," entgegnete Martin auf die verschiedenen Fragen und theilte die uns bekannten Begebenheiten mit. „Großer Gott!" sagte der Knappe, nachdem sein Herr geendet hatte, „ich hoffe nur, daß Euch Nie mand bemerkte, denn sonst wäre Euer Leben nicht mehr viel Werth!" „Ich bekenne, daß cs so sein würde," erwiderte Martin, „wenn ich der Inquisition in die Hände fiele, aber ich hoffe nicht, daß es der Fall sein wird. Jetzt aber, Bardolf, müsset Ihr Euch in eines Eurer schlechtesten Gewänder werfen und in der 'Nähe des Olsheimschen Hauses aufpassen, was sich zuträgt." In wenigen Minuten stellte sich der Knappe in Tracht eines Zimmermanns seinem Herrn vor und hatte die Gcnugthuung, selbst von diesem nicht er kannt zu werden. Daun eilte er in die bekannte Straße, wo des Juden Haus stand. Inzwischen hatte der Markgraf Berthold in dem 'Nebenzimmer des Tribunals ungeduldig der Rückkehr der beiden auSgesandtcn Diener geharrt. Seid einer Stunde schon ging er ungeduldig auf und ab und im Begriff seiner Ruhelosigkeit Worte zu leihen, trat der Oberinquisitor zu ihm eiu. „Nuu, Konrad — sind Eure Diener noch nicht zurückgckehrt?" „'Nein, lieber Markgraf, und ich weiß mir die Verzögerung nicht zu erklären." „Wenn das Mädchen nur nicht entkommen ist", meinte Berthold, „ich würde lieber die Hälfte meines Lebens einbüßcn, als sie verlieren. Ich habe all' meine Hoffnung auf sie gesetzt und willig überlasse ich Euch ihres Vaters Schätze, wenn Ihr sie uuir ins Schloß führen laßt. Ich würde Euch dankbar sein, wenn Ihr noch andere Boten aussendc» wolltet!" „Ihr sollt sie haben, hoher Herr," lachte Konrad verschmitzt, „auch will ich andere Vertraute nach ihrem Hause senden, um nach der Ursache der Verzögerung zu forschen." Zwei weitere Männer wurden ausgesandt, die in kaum einer halben Stunde in großer Aufregung zurückkehrten. „Was giebt es?" rief sie der Markgraf an, „wo ist das Mädchen?" „O, Herr," entgegnete der Angercdctc, „Gott schütze uns Alle, denn der Satan hat sich gegen uns erhoben." „Sprecht, wo sind die Anderen?" sagte Konrad von Marburg unwillig, „was hält sie zurück?" „Wir gingen zu dem Hause des Juden und fanden keine lebende Seele darin, wohl aber unsere zwei Brüder in ihrem Blut!" „Was — todt!" riefen die beiden Männer, in tiefer Entrüstung aufspringend. „Kalt und todt! — Der eine mit zerspaltenem Schädel und der andere durch das Herz gestoßen, da müssen kräftige Arme thätig gewesen sein." Fragend sah Konrad den Markgrafen an. „Was nun?" fragte er denselben, und zu den Dienern gewendet, sagte er: „Meint Ihr, daß Beide ermordet wurden." „Dem Anschein nach können wir nicht anders denken, jedoch hoben wir eS vermieden, 'Nachforsch ungen anzustellen." „So wollen wir zunächst mit hinreichender Manu schäft in das Haus gehen — ick selbst will mich dahin aufmachcn, um die Durchsuchung zu leiten. Ich zweifle nicht, daß »vir, außer seinem Gold, auch einen Schlüssel zu dem Verbrechen finden werden."