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Bartram warf noch einen längeren besorgten Blick hinan-, ehe er fortfuhr: «Wie bereits bemerkt, ist alle- fertig. Den drit ten Tag, von heute an gerechnet, haben wir Neu mond, .und überdies wird da- Wetter aller Wahr scheinlichkeit nach dunkel und wolkig sein. Wir be dürfen der ganzen Nacht. Denn wenn die Morgen dämmerung uu« auf dem Wege überrascht, sind wir verloren. Punkt acht Uhr müssen wir aufbrechen. Jetzt sagt mir offen, wo sind die beiden unterirdischen AuSgänge? Ihr müßt es genau angeben, auf den Fall hin, daß wir uns verfehlen und andernfalls nutz los die ganze Zeit im Park umherstreichen müßten?" „Der eine geht auf die Landstraße, genau vier undsechzig Fuß östlich von dem EingangSthor, einer großen, alleinstehenden Pappel gegenüber. Der an dere — mein Later hat cS mir einst mitgetheilt, um eS in der Stunde der Noth einem erprobten Freunde anzuvertrauen — der andere steht mit einem niedri gen Gewölbe in Verbindung und endigt am Fluß ufer, einen Büchsenschuß oberhalb der letzten der drei Brücken. Er ist ein bis zwei Fuß über dem Wasser spiegel gelegen und bei Fluthzeiten des öfter halb überspült. Ein dichte- Hollundergebüsch verdeckt die bewußte Stelle, und —" »Still! Still! Hört Ihr?" unterbrach sie der Krämer, in seiner Spannung die rauhe Hand mit Nachdruck auf des Mädchens Arm legend. „Es geht Jemand behutsam die steinerne Mauer entlang!" Da- Geräusch wiederholte sich und die Zweige des Baumes zitterten, obschon kein Luftzug sie be wegen konnte. Schnell wie ein Gedanke sprang Bar tram vor, legte an und der Schuß krachte. Stärker rauschte das Laub, man hörte den schweren Fall eines Körpers auf den Kiesboden unten und im Anschluß daran ein Halbei stickkes Aechzen. „O guter Gott!" schrie Jane auf und schlug ver zweifelnd die Hände zusammen. „Bartram! Bar tram! Ihr habt einen Menschen getödtet, wie konn tet Ihr das?" „Ich hoffe, ich habe ihn zu Tode getroffen," ver setzte der Krämer ernst und nicht ohne eine gewisse Würde, in lauterm Ton als bisher. Es war ent weder ein Räuber oder ein Spion, und für beide ist eine Kugel das einzige, was frommt und sicherstellt. Hinwieder fürchte ich auch, ich habe den Schurken nicht unschädlich gemacht. Jedenfalls lebte er noch, als er hinabstürzte, denn er klammerte sich an die Zweige, um die Wucht des Falles zu mildern." „So ist er vielleicht gefährlich verwundet," rief Jane schaudernd, „und liegt nun auf dem kalten Bo den ohne Hilfe! Ich will Robert und Charles rufen, daß sie nach ihm sehen." Sie wollte zur Thür hin, doch hielt Bartram sie ebenso ehrerbietig wie fest zurück. „Laßt mich!" rief sie fast beleidigt. „Laßt mich! Ich muß ihm helfen!" „Nicht, wenn Euch an Eurem Leben etwas ge legen ist, Lady! Ja, Ihr setzt unser aller Wohl aufs Spiel! Ich bin alt, meine Lebenslage sind gezählt und fallen nicht ins Gewicht, aber — denkt an den armen Gefangenen und an Euren guten, greisen Vater! Nur noch ein paar Worte und dann eilt, so schnell Ihr könnt, ins Schloß. Ich werde alsbald nach dem Verwundeten sehen, so wahr ich auf Gott meine Hoffnung setze! Ich will, Lady." „Ich denke," fuhr Bartram in fliegender Eile fort, „von den beiden beschriebenen Ausgängen ist der zuerst genannte der sicherste. Diesen wollen wir wählen. Da er indes auf die große Landstraße führt, so könnte auch hierbei ein nicht vorher zu berechnen des Hinderniß dazwischen treten. Laßt deshalb den Flüchtling auf dieses Zeichen achten: wenn er in der Mitte deS ausgetrockneten Kanal«, etwa fünf DardS von der Mündung, einen Handschuh findet, so ist alles in Ordnung. Wo nicht; so muß er schleunigst umkehren. Er findet uns sodann an dem andern Punkt. Um sieben Uhr muß er an dem ersten Orte sein, um auf alle Fälle rechtzeitig zu uns stoßen zu können. Unter keinen Bedingungen aber darf er das schützende Obdach verlassen, bevor mein dreimaliges Pfeifen — er kennt dieses Zeichen — ihm sagt, daß der Weg frei sei. Hört Ihr, Lady? Unter keiner Bedingung! Habt Ihr alles verstanden?" „Ja, vollkommen! Aber —" „Kein Aber, theure Lady, kein Aber! wenn Ihr genau meinen Anordnungen folgt, so ist das Gelingen sicher. Und nun, Betty," rief er dieser zu, die wäh rend der ganzen Zeit draußen an der Stiege aufge paßt hatte, daß Niemand die Zusammenkunft störe, „leuchtet der Dame die Stiege hinunter. Gottes Segen über Euch! Er geleite Euch sicher heim wärts !" Er führte die Frauen zu der Thür, und als er den Abzug der Schloßherrin in Begleitung der bei den wohlbewaffneten Diener abgewartet, nahm er vom Tisch zwei doppelläufige Pistolen und ein Messer mit breiter Klinge, welche während der Unterredung dort bereit gelegen. Er prüfte die Schärfe der Schneide, untersuchte die Ladung der Schießwaffen, bestieg das Fensterbrett und ergriff, sich vorbeugend, «inen der starken Zweige de« Baume». Mit einer Behendigkeit, die man seinen Jahren nicht zugetraut hätte, schwang er sich hinaus, kletterte von Ast zu Ast den Baum hinab und gelangte jenseits der Park mauer zu Boden. Hier forschte er nach einer Spur des muthmaßlich Verwundeten. Vergeblich! Nicht- war zu entdecken, kein Blut auf dem moosigen Grunde, nicht einmal eine Aufwühlung veS Erdbodens! nur einige Zweige hingen gedrückt herab. XI. Drei Tage waren verflossen seit der nächtlichen Unterredung im WirthShause. Zum dritten Mal nach jenem Abend sank die Sonne. Die Abenvne- bel hüllten die liebliche Gegend von Eton in immer tieferes Dunkel. Begünstigt durch diesen Schleier, traten drei kräftige, reichlich bewaffnete Männer späh end unv lauschend aus dem Kieferholz, das den Park nach dem Flusse zu begrenzte. Leisen Schrittes, dop pelt wachsamen Auge- stahlen sie sich über den Ra senteppich, bis ein dichte- Hollundergebüsch, halb über das Wasser hängend, sie aufnahm und verbarg, un weit der Brücke, welche den Schauplatz von Sir Clistons Zweikampf mit den Räubern bildete. Die Schlsßuhr begann langsam den Anbruch der sieben ten Abendstunde zu verkünden. Ehe noch ihr letzter Ton verhalt war, trug der Nachtwind den Klang einer Kavallerietrompete au- der Ferne über die Fluren. Eine halbe Stunde später hielt eine Schaar Cromwellscher Reiter wenige Schritte vom Parkthor. Stumm und unbeweglich saßen die Kriegsleute auf ihren starken Gäulen, das breite Schlachtschwert blank gezogen in der Faust. Nur der Anführer nebst seinen Unterbefehlshabern waren abgesesfen und pflogen eifrige Unterhaltung, ohne dabei die Wachsamkeit aus den Augen zu lassen. „Ich für mein Theil," flüsterte der eine, „halte das Ganze für eine Falle oder einen Schabernack. Wofür, frage ich, wofür sollen wir hier stehen, wo jeder, der Lust oder Ursache hat, uns zu fürchten, auf fünfzig Schritt die Helme blinken sehen kann?" „Ich möchte Dir beipflichtcn," sagte ein anderer, „obgleich ich darauf schwören will, daß der Brief mit der Nachricht von Despard kam. Er war immer ein schlauer Strick und wie ein Bluthund sicher auf der Fährte eines Kavaliers. Zudem — wir haben unsere gemessene Ordre, und das Schlimmste ist ein umsonst gemachter Ritt — nicht der erste in diesem langen Feldzuge — daneben ein etwas kühler zwei stündiger Nachtdienst. Ich werde mich nicht vom Flecke rühren, bevor die Glocke neun brummt. Halt! das war einer der Posten, der da schoß!" Während er sprach, hatte, wie sich bald ergab, in der Thal einer der nach beiden Seiten hin vor geschobenen Wachtposten auf ein verdächtiges Geräusch hin seine Muskete abgefeuert. Man lauschte ange strengt, jedoch nichts ereignete sich, alles blieb still bis auf das leise gleichmäßige Rauschen der Bäume. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Vom Dorfschullehrer zum Regierungs und Schulrath. Lehrerkreise wird die Nachricht interessiren, daß der Seminardircctor Göbel zu Löbau in Westpreußen zum Regierungs- und Schulrath er nannt worden ist. Göbel ist das, was er ist, durch sich selbst geworden. Vom Dorfschullchrer wurde er zum Seminarhilfslehrer in Reichenbach berufen. Vom Seminarhilfslehrer stieg er bald zum ordentlichen Se- minarlehrcr auf. In letzter Stellung, zu welcher traditionell in Preußen nur ausnahmsweise nicht akademisch gebildete Lehrer gelangen können, erhielt er den Titel „Oberlehrer." Bei der Gründung des jüngsten Seminars der Provinz Westprcußen (1874 bis I87b) ward Göbel zum Seminardirector der neuen Anstalt ernannt, obwohl er weder Mittelschul- noch Rectorals-Examen abgelegt hatte. Nachdem er bereits vor einer Reihe von Jahren Titular-Schulrath wurde, erhielt er vor Kurzem das Patent als Re gierungs- und Schulrath. — DieZigeuner werden demnächst ihre eigene Zeitung haben. George Smith, der „König" der englischen Zigeuner, kündigt an, daß er vom 1. Ok tober d. unter dem Titel „Fahrendes Volk" eine in der Ziegcunersprache geschriebene Zeitung erschei nen lassen werde. Er rechnet auf 20,000 Abonnen ten unter seinen Stammesgenossen. Die Zeitung „Fahrendes Volk" soll eine Art offizieller Anzeiger des Zigeunerthums werden; sie wird die „berechtig ten Interessen" der Zigeuner vertreten und ausführlich über jedes Ercigniß berichten, welches diese „Parias der Gesellschaft" betrifft. Außerdem soll sie die wirk lichen Sitten und die einzig richtige Sprache der Zigeuner bekannt geben und dazu beitragen, die Vor- urtheile und die falschen Vorstellungen, welche über das Wesen dieses NomadenvolkeS selbst in den Krei sen der Gebildeten noch herrschen, zu zerstreuen. — Eine heitere Episode in ernster Zeit. AuS der für Sachsen so schweren KriegSzeit von 1866, an die uns die Tage des Juni jetzt wieder er innern, erzählte ein in Meißen wohnender ehemaliger „Struppener" dem „M. Tagebl." folgende heitere Episode: Ich war damals ein Knabe von ungefähr 12 Jahren und wurde, da ich keine Eltern mehr hatte, mein Vater aber Soldat gewesen war, in der Soldatenknabenerziehungsanstalt zu Kleinftruppen er zogen. Wir hatten wöchentlich zwei Mal Exerziren, und zwar Mittwochs und Sonnabends. Unser „Höchst- kommandirender" war der Anstaltsinspektor I. Hatte unser Exerziermeister gute Laune, so meinte er: „Jung'-, heute Feldmarsch und Felddienst!" Da- war uns das Liebste. Das Frühstücksbrol wurde als Fourage eingepackt, die Hosen wurden in die Gtiefelschäfte ge stopft, die Uniform wird angezogen (hellblaue Waffen röcke mit blanken Knöpfen, weiße Kragen und hell blaue Mützen) und zur Waffe gegriffen. Doch, was hatten wir denn für eine Waffe? Ein einfaches höl zernes Gewehr mit einem schwarz angestrichenen Lauf und Abzugsbügcl. So ausgerüstet, ging der Feldmarsch los und der Weg führte uns diesnial nach der kleinen Bastei bei Obervogelgesang. Da plötzlich bemerkten wir auf einer links von uns vielleicht 3000 in ent fernt liegenden Anhöhe eine preußische Ulanenpatrouille. Unser Aller Gedanke war auch der des uns kominan- direndcn Inspektors I. „Jung's, der Feind! — Schwärmen — in die Straßengräben — feuern!" Im Nu waren wir in Zügen auseinander, lagen in den Straßengräben und schossen mit einer wahren Todesverachtung aus unseren hölzernen Flinten nach der preußischen Ulanenpatrouille. Die Patrouille aber hatte uns bemerkt und auch das Ausschwärmen beobachtet — im nächsten Augenblick war sie hinter der Anhöhe verschwunden. Unser Kommandant aber ließ das Signal „Ruf"' geben — wir hatten ein eigenes Knabensignaliftenchor — und wieder in Front aufmarschiren. Alles freute sich, die preußischen Ulanen verjagt zu haben und wohlgemuth rückten wir nach dem Feldmarsch wieder in der Anstalt ein. Doch dieser Spaß sollte nicht ganz ohne Nachspiel bleiben. Am nächsten Morgen, ^furz nach 6 Uhr, wir saßen gerade noch im Speisesaale und verzehrten unsere Mchlsuppe, ertönte Trommelwirbel und durch das Dorf marschirte eine große Truppe preußische In fanterie direkt auf die Anstalt zu. Im Anstaltshof machte das Bataillon „Halt-Front!" und der finster blickende Bataillonscommandeur verlangte nach dem Anstaltschef. Sofort erschien unser damaliger Direktor B., um nach dem Begehr des Offiziers zu fragen. (Hier muß eingeschalteu werden, daß die Anstalt M66 nur einen Schuldirektor, der gleichzeitig Anstalts direktor war, sowie Lehrer und Aufseher hatte, also noch nicht ganz militärisch eingerichtet war.) Der Kommandant erklärte, es sei eine Meldung einge- gangcn, daß sächsische Truppen auf der kleinen Bastei bemerkt worden seien, die Sachsen hätten sogar auf preußische Reiter geschossen, der Anstaltsdirektor müsse also wissen, wo die Truppen stünden, denn die An stalt müsse von ihnen beim Marsche berührt worden fein. Unser Direktor wußte wohl von unferem Feld marsch, aber nichts von unserer Heldenthat und ver sicherte, von der Anwesenheit sächsischer Truppen keine Kcnntniß zu haben. Der Major aber glaubte seinen Worten nicht, und dadurch wurde die Sache unge- müthlich. Schließlich mußten alle Beamten vor dem Major antreten, und wir Jungen wurden in 2 Glie dern vor dem Bataillon aufgestellt. Unser Inspektor merkte jetzt erst, um was cS sich handele, meldete dem Major: „Herr Major, das sind meine Jungens ge wesen" und erzählte nun den Vorfall. Sofort mußten wir unter Aufsicht eines Offiziers unsere „Gewehre" holen, und der Major lachte schließlich hell auf, als er die Gefährlichkeit derselben sah. Unser Inspektor mußte uns nun einige militärifche Exerzitien machen lassen, der Major sprach uns seine Anerkennung für unsere Leistungen aus, der Jnfpektor kam mit einer Nase davon und das Bataillon rückte unter Trommel schlag wieder aus dem Hof hinaus. Das Beste'von der ganzen Geschichte aber war, daß unser Direktor vor Aufregung keine Schule halten konnte und die Anweisung gab: „Die Knaben sind im Garten zu beschäftigen". Noch lange besprachen wir unsere Heldenthat und mancher alte Struppener wird sich beim Lcfen dieser Zeilen des glorreichen Sieges er innern. Wailage. Es war um die Zeit, da der Flieder blüht, Durchduftend die sonnige Runde, Wie hat da Wange an Wange geglüht In köstlicher, minniger Stunde! Da klang's von den Lippen: Ich dein! Du mein! Und die Sonn- schaute so fröhlich darein. Das war ein seliger Maitag. Und wieder wollten die Sträucher blühn, Da klangen die festlichen Glocken, Da glänzte der Mhrthen verheißendes Grün In deinen goldenen Locken. Das ganze Kirchlein voll Sonnenschein Und Sonnenschein in den Augen dein! Das war ein seliger Maitag. Und wieder wurde des Lenzes Traum Lebendig im Anger und Haine, Wir saßen unter dem Fliederbaum, Doch nicht wir beiden alleine: ES hüpste und huschte der Sonnenschein In'- Körbchen zu unserm Kinde hinein. Das war ein seliger Maitag. Und wenn nun wieder bräutlich geschmückt Die blühenden Lande sich weiten. Dann denke ich gern und still beglückt Der sonnigen, wonnigen Zeiten. Da schleicht kein Sehnen m's Herz sich hinein: Mein Weid, mein Kind ist mein Sonnenschein Und ewig blühet der Maitag.