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Leilaae ru Ur. 66 des „Amts- und Ameiaeblattes". Eibcnstolk, den 6. Juni 1891. Die Jüdin von Heidelberg. Nach historische» Quellen erzählt von Fr. E. von Wickede. <2. Fortsetzung.) „Weil ich wußte, daß Du nicht zur Ruhe ge- gangen bist; Bater, was drückt Dich?" „Woraus schließest Du, liebe Eleonore, daß mir etwas fehlt?" „Ich sehe eS mit dem Ange der Liebe, ich sehe es schon seit mehreren Tagen in Deinem ruhelosen Blick und in Deiner ungewöhnlichen Schweigsamkeit." „Du hast ein scharfes Ange, mein Herzchen." „Nun," fuhr Eleonore fort, „Du hast Deine Jnwelen zusammengcpackt und ließest alle die schweren Kisten ins Gewölbe bringen." „Grüble Dn nicht über diese Dinge nach, mein Kind. Du kennst nicht alle Unannehmlichkeiten meines Geschäftes, und brauchst sic auch nicht zu kennen." „Theurer Vater," sagte das Mädchen, ihre Arme um den Hals des Alten schlingend nnd ihn ernsthaft anschauend, „Du mißkennst mich ganz; ich bin nicht das schwache Mädchen, für welches Du mich hältst. Droht Dir Gefahr, so laß mich sic theilen." „Gott unserer Väter!" entgegnete Jakob, „Du weißt nur wenig von den Gefahren, denen der Mensch auf der Erde ausgesetzt ist. ES gicbt deren so schreck' liche, daß selbst der stärkste Mann in ihrer Gegen wart znm schwachen Kinde wird." „Ach Vater," sagte Eleonore, in Thränen auS- brechend, „täusche mich nicht, denn ich empfinde die nahende Gefahr. Ungewißheit aber drückt schwerer als alles andere — sprich, ich bitte Dich, was haben wir zu fürchten?" Olsheim machte sich sanft von ihr los nnd schritt nachdenklich im Zimmer auf und ab. „Eleonore," begann er dann, „hast Du schon den Xiamen des Markgrafen Berthold gehört?" Das Mädchen erblaßte. „Ja," entgegnete sie fast atheniloS, „er ist der Herr in Baden." „DaS ist er und mächtiger ist er in seinem kleinen Lande als selbst der Kaiser," sagte Jakob und fügte dann hinzu: „weißt Du auch, was für ein Manu er ist?" „Ich habe gehört, daß er ein böser Mann sei." „Dann hast Du die Wahrheit vernommen, mein Kind. Er ist ein gar schlimmer und tollkühner Fürst, der vor nichts zurückschreckt, wenn er dadurch seine Zwecke erreichen kann. Hast Du aber auch schon von Konrad von Marburg gehört?" „Gütiger Gott!" rief das Mädchen aus, „laß mich hoffen, daß dieser schreckliche Mensch sein Auge nicht ans uns gerichtet hat." „Mein Kind, ich kann Dir noch nicht sagen, ob er eS hat; ich fühle mich aber nicht mehr sicher in Heidelberg." „Ist nicht der Kaiser Dein Freund?" „Er ist es, — er vermag aber nichts in Baden und würde es ebensowenig wagen, den Richtern der Inquisition entgegen zu treten, als dem Zorn des Himmels selbst." „Und warum fürchtest Du das heimliche Gericht, Bater?" „Mein Kind," sagte der Greis, sic an sich ziehend, „ich habe allen Grund, seine Macht zu fürchten, denn die heilige Vehnie ist nicht allein zur Bestrafung der Ketzer eingesetzt worden, sonder» ihre Obern be dienen sich ihrer, um zu plündern und zu rauben. Ich bin ihnen in doppelter Hinsicht verfallen. Erstens, weil ich ein Jude bin, nnd dann, weil ich Schätze besitze, welche Konrad sowohl wie der Markgraf in Händen haben möchten. Wir müssen deshalb Baden verlassen — ich habe bereits den größten Thcil meines Goldes in Juwelen umgesetzt, und sobald ich mich mit meinen Freunden abfinden kann, gehen wir aus Heidelberg fort. Keimst Du die reichen Juwelen händler MoseS und Anselm?" „Ja, Vater." „Sie sind bereits als Opfer der Habgier der In quisition gefallen." „Sind sie verbrannt worden?" „Nicht alle, welche das heimliche Gericht vor sich ruft, werden verbrannt, eS giebt noch andere TodeS- arten, bei denen man kein anderes Licht mehr sieht, als das, mit dem man Folterbänke, Ketten und andere Marterwerkzeuge beleuchtet." „O Gott Israels! sollen wir solchen Qualen unter worfen werden?" „Mein Kind, Gottes Wege sind uncrforschlich, unser Volk hat in allen Landen dulden müssen, nnd wir können nicht wissen, was uns noch beschicken ist." „O Vater verbirg mir nichts," jammerte das ge ängstigte Mädchen, „sage niir alles was Du weißt." „Sei ruhig, mein Kind, vielleicht sehe ich zu schwarz in die Zukunft; wenn Gefahr vorhanden ist, müssen wir suchen dieselbe zu vermeiden. Gehe jetzt zur Ruhe, mein Herz, wir wollen zunächst auf unsere Freunde bauen, und ich habe deren mächtige in der Stadt." Aber Eleonore ließ sich nicht so leicht beruhige», denn in ihres Vaters Blick lag etwas, das sie Schlimmes ahnen ließ. Im Begriff ihn weiter zu fragen, legte er sanft seine Hand auf ihren Mund. „Sprechen wir heute Abend nicht weiter darüber, mein gutes Mädchen; ich habe noch vor Schlafen gehen mancherlei zu thun. Naht sich uns Gefahr, so sollst Du sie kennen lernen. Jetzt nmarme mich und Gott gebe Dir süße Ruhe." Ungern nur folgte sie und zog sich zurück. „Armes Kind," murmelte Jakob vor sich hin, „sie sieht noch nicht die gewitterschwere Wolke, die über diesem Lande hängt; noch ahnt sie nicht, zu welchen« Fluche der Reichthum werden kann, und wie gefährlich es ist, so schön zu sein." Ein banger Seufzer stahl sich über die Lippen des Alten und lange saß er zusammengekauert auf dem Stuhle. Aber ein plötzlicher Gedanke riß ihn aus seiner Lethargie und er sprang auf. „Ich muß das Beste hoffen," sagte er „mich aber auf das Schlimmste vorzubereiten erfordert die Klugheit. Daß die Augen des heimlichen Gerichts aus mich gerichtet sind, weiß ich und vcrmuthe auch, daß der Markgraf mit im Bunde steht. Werde ich vor dasselbe gezogen, so ist mein LooS entschieden, denn so viel Rcichthümer lassen diese Dämonen sich nicht durch die Finger schlüpfe», wenn nur das Leben eines Juden zwischen ihnen und dem Besitz steht. Aber es giebt auch Täuschungen in dieser Welt nnd vielleicht gelingt cs mir, ihnen den Raub zn verbergen." Mit diesen Worten ging Jakob Olsheim an die schwere eichene Lade, aus der er ein starkes, mit Silber beschlagenes Ebenholzkästchcn nahm, nnd ein Druck seiner Hand öffnete den Deckel, unter dem sich beim Scheine der über ihm hängenden Lampe auf sammtner Grundlage viele hundert edle Steine in tausendfält igen! Glanz dem Auge darboten. „WerthloseS Zeug," murmelte der Greis vor sich hin, „was der trügerische Apfel unserer Stammmutter war, bist Du für alle Geschlechter gewesen, und das Ende ist noch nicht erreicht! Noch mehr Blut muß fließen, noch niehr Herzen müssen gebrochen werden und manche Krone muß noch fallen, ehe die Habsucht der Menschen versiegt! Aber Dank sei dem Gott meiner Väter, Du hast mich noch nie auf den falschen Weg geführt, wenngleich Du inir Gefahr brachtest." Er verschloß das Kästchen sorgfältig und nahm es unter den Arin, zündete eine kleine Lampe an und verließ das Zimmer. „Ich muß mich dieser aufregenden Gedanken cnt- schlagcn," sagte er im Selbstgespräch. „Wenn ich nur noch einige Nächte unter diesem Dache schlafen kann, mag alles recht werden. Gott wird mir beistehen, meinen Feinden zu entgehen." Langsamen Schrittes schlug er die Richtung nach seinem Schlafzimmer ein, ehe er aber eintrat, blieb er aber nachdenklich stehen. „Ich darf so nicht zur Ruhe gehen, denn der nächste Tag schon kann Gefahr bringen und Gott allein weiß es. wenn der Sturm losbricht; ich will doch lieber meine Papiere in Sicherheit bringen." Er ging nochmals in das Zimmer zurück, das er soeben verlassen hatte, nnd holte ans dem festen Schrank ein Packet sorgfältig geordneter Papiere, die er mit sich nahm. Nach einer halben Stunde kehrte er zurück und ward wie vom Schlage getroffen, als er vier Männer in seinem Zimmer vorfand. Es waren kräftige Ge stalten in großen schwarzen Röcken, alle trugen schwarze HalSmasken von Seidenstoff vor dem Gesicht imd auf der linken Brust ein blutrothes Kreuz. „Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?" brachte der Jude nur mühsam heraus, indem er die finsteren Männer betrachtete. „Wir sind die Freunde der Gerechten nnd die Feinde der Ungerechten," entgegnete einer derselben, auf ihn zuschrcitend. „Und wie kommt ihr hier herein?" fragte Jakob, der sicher war, daß Thür und Thor verschlossen wurden. „Schlösser und Riegel halten uns nicht auf," entgegnete der frühere Sprecher, „jedes Haus in Heidelberg steht uns offen. Jakob Olsheim, Ihr seid vor ein Tribunal geladen, in dem die Gerecht igkeit über die Interessen der Erde nnd des Himmels thront. Seid Ihr bereit zu erscheinen?" „Jni Namen Gottes," rief der Jude heftig zitternd, „schont meiner bis morgen." „Wir haben nur unfern Obern zu gehorchen." „Aber ich kann Euch jetzt nicht folgen." Auf ein Zeichen de« Sprechers bemächtigten sich dessen drei Begleiter des alten Mannes, zogen ihm einen dichten Sack über den Kopf und banden ihm die Hände. Sein Sträuben war fruchtlos; er ward au« dem Hause getragen und außerhalb de« ThorS von zwei Anderen, die Wache gestanden hatten, in Empfang genommen. AnS dem Gespräch seiner Be gleiter mußte er schließe«, daß einer derseben sich schon während des Tages im Hause verborgen ge halten habe. Olsheim wußte zu gut, das ihm alle Hilfe abge schnitten war und gab die Hoffnung auf dieselbe ganz auf; selbst seine Stimme verhallte unter dem dicken Stoff, der seinen Kopf nmgab. Vorwärts ging cs mit eilenden Schritten und er ward mehr getragen wie geführt, bis seine Führer endlich inne hielten. Bald vernahm er auch, wie sich eine schwere Thür in den Angeln drehte, nnd er fühlte sich in einen unterirdischen Raum geführt. Dort entledigte man ihn seiner Bande, aber als er auch deu Sack von sich warf, war finstere Nacht, um ih» her. Das Schließen von Thüren und das Borschieben von Riegeln klang an sein Ohr und eine moderige Atmosphäre beschwerte ihm den Athem. Er tastete sich vorwärts und seine Hand fühlte die nasse Stein wand. Dann stieß er auf ein Strohlager und stolperte. Abgeinattet wie er war, blieb er liegen und begrub sein Gesicht in beide Hände. „O Gott, mein Gott," jammerte er, „soll ich Hier enden? Will man mich Hungers sterben lassen? Hätte ich weniger an meine Schätze gedacht, ich hätte mich nnd mein Kind retten können — jetzt ist es zu spät, und ich habe selbst alles verschuldet. — O mein armes, armes Kind!" Er ließ seinen Schmerzen freien Lauf und bat auf den Knieen den Gott seiner Väter, er möge sein Kind erretten. Nach und nach wurde er ruhiger und suchte die Standhaftigkeit zu gewinnen, welche ihm angesichts der bevorstehenden Qualen nöthig war. Endlich schlief er ein, und als er erwachte, fiel ein schwacher Schimmer der Tageshellc durch ein im Gewölbe befindliches Gitter in seine Zelle. Der Ort, in dem er sich befand, hatte außer dem Strohlager keinerlei Gegenstände, um ihn für Menschen wohnlich zu machen, nur ein großes eichenes Kreuz, mit eisernen Speichen befestigt, fiel ihm ins Auge. Der Gefangene glaubte am Ende des Qucrarms Nägellöcher zu ent decken und die Farbe des Holzes auf diesen Stellen schien ihm eine dnnklere zu sein. Im Begriff dasselbe näher zu untersuchen, hörte er wie die Riegel seiner Zelle geöffnet wurden und zwei Männer zu ihm ein traten, von denen der eine eine Laterne trug. Aehnlich denen, welche ihn in der Nacht verhaftet hatten, trugen sie lange schwarze Röcke und Masken vor dem Gesicht. „Jakob Olsheim, folget uns," redete ihn der eine an. Sie banden seine Arme aufs Neue und führten ihn, nachdem ihm auch die Augen verbunden waren, durch einen engen Gang eine steinerne Treppe hinan. Nach weiterem Kreuz- und Querführen hielten sie endlich vor einer Thüre, welche sich auf ein besonderes Zeichen vor ihnen öffnete. Dann ward ihm die Binde abgenommen und Jakob fand sich in einem schwach erleuchteten Zimmer vor einer etwas erhabenen Tribüne, auf der zwei Männer saßen, von denen der eine mit einem rothen, der andere mit einem schwarzen Mantel bekleidet war. Der mit dem schwarzen Mantel trug eine Bischofsmütze auf dem Haupt nnd das rothe Kreuz auf der linken Brust. Ihnen zur Rechten stand ein Tisch, an dem zwei Schreiber vor großen Folianten saßen. Auf der anderen Seite saß ein Mann im dunklen Rock, dessen blitzendes Auge fest auf den Juden gerichtet war. Auch er trug eine Maske, aber seine ganze Haltung verrieth nicht den Priester, und an der auf dem Tische ruhenden Hand funkelte ein köstlicher Edelstein. Hinter ihm, seines Winkes gewärtig, standen andere Männer und weiter hinter diesen zeigte der matte Lichtschein die gefürchteten Maschinen Jakob war sich bewußt, daß er in der Folter kammer stand, und der Gedanke lag nahe, daß der Mann mit der Bischofsmütze der schreckliche Konrad von Marburg, und der mit den« Brillantring Mark graf Berthold war. Der Vehmrichtcr und der Fürst! was konnte ihre Absicht sein? Werden sie den reichen Juden lebend aus diesen Räumen entlassen! — Jakob wußte, daß Andere vor ihm an diesen Ort gerufen und nie wieder znm Vorschein gekommen waren. Ucberzcugt, daß die ihm zur Last gelegte Sünde keine andere war, als der Besitz von Schätzen, nach denen die Inquisition lüstern war, durfte er hoffen, daß man ihm das Leben ließ, wenn er ihnen dieselben übergab? — Nein, nein! sagte ihm sein eigenes Gefühl und nach den selbst gemachten Gesetzen durften sie sein Besitzthum erst nach seiner Vcrnrtheilung antasten; und Berurtheilung hieß so viel wie Tod! DaS Haupt sank ihm auf die Brust und in Demuth wartete er der Dinge, die da kommen sollten. Und während er darum bat, daß der Gott Israels eS gnädig mit ihm machen möge, vergaß er nicht sein leibliches Kind, da« jetzt, nachdem es ihm entrissen, einem noch schrecklicheren Schicksal verfallen sein mochte, als der Tod war, der ihn bedrohte.