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.VOLLDAMPF“, DEUTSCHE MONATSSCHRIFT FUER HANDEL UND INDUSTRIE. No. 9. VI. Jahrg. China ist ein grofses Gemengsel verbündeter Staaten, gleichsam ein vereinigtes Kaiserreich, zusammengeschweifst zu einem harmonischen Gan zen. — Die Verschiedenheit in Sprache, Gewohnheiten und Kleidung zwi schen den einzelnen Provinzen und die lange Dauer der Periode lokaler Selbständigkeit läfst es ratsam erscheinen, hei der Einführung nützlicher Reformen mit der gröfsten Vorsicht vorzugehen. — Jetzt, wo die Einkünfte der Provinzen Liang-chiang und Che-chiang unter die Verwaltung des Marine-Zoll-Departements gestellt sind, als Deckung für die 16-Millionen- Anleihe, welche China durch die Hongkong- und Shangai-Bank und die deutsch-asiatische Bank gemacht hat, scheint es nun für die Provinzialbehör den hohe Zeit zu sein, sich selbst des Beistandes der fremden offiziellen Zölle zu vergewissern, indem auch andere Reformen als nur solche rein fiskalischer Art angenommen werden. — Das Zoll-Departement, an dessen Spitze Sir Robert Hart steht, mag wohl nicht nur als ein Hauptstützpunkt Chinas in dessen Unruhen angesehen sein, sondern auch als ein genü gendes Mittel zur Einführung von Exekutive, Gesetzgeber- und Verwal tungs-Reformen. —• (Auf diesem Gebiete scheinen die Engländer sich einen grofsen Einflufs sichern zu wollen; immer aufs neue wird den Chinesen vorgepredigt, dafs nirgend in der Welt bessere Gesetze gemacht werden als in England.) — Das dringendste Gesetz ist nunmehr ein Gesetz über Presse und Zei tungen. Es ist bekannt, dafs im Westen die Presse die siebente Grofs- macht bedeutet und ihr Einflufs auf die Berater des Volkes ein gewaltiger ist. Es ist allerdings richtig, dafs Zeitungen und Bücher als Auge, Ohr und Herz eines Volkes betrachtet werden dürfen; durch sie kann die Regierung den Pulsschlag des Volkes fühlen. In Shangai und anderswo giebt es chine sische Zeitungen, deren Herausgeber aber nur wenig den edlen Charakter ihres Berufes kennen und weiter nichts verstehen als Mandarinen und ehrbare Kaufleute anzuschwärzen und durch ihre Veröffentlichungen zu schaden. —- Nur durch die Gesetzgebung kann einem solchen Unwesen gesteuert werden, dann wird auch gleichzeitig das nationale Streben in ein richtiges Fahrwasser geleitet und dasselbe in ruhiger Weise seiner Ver wirklichung zugeführt. — Im allgemeinen ist es richtig, dafs die Provinzialbohörden sehr strenge sind, während die Zentralregierung in Peking sehr lasch ist. Es wäre zu wünschen, dafs die Beziehungen dieser beiden Behörden zueinander klarer bestimmt würden, namentlich hinsichtlich der von jeder Provinz in den kaiserlichen Befehlen gezahlten Geldbeträge. — Wenn man glaubt, sich durch die Heranziehung erfahrener indischer Beamte zur Mithilfe an der Reformierung der inneren Verwaltung Chinas etwas zu vergeben, so dürfte es ratsam sein, eine Kommission nach In dien zu senden, um die Art und Weise der dortigen Verwaltung zu stu dieren und darüber zu berichten. Vor wenigen Jahren sandte Rufsland eine ähnliche Kommission nach Indien, um den Betrieb der indischen Postanstalten kennen zu lernen,'und Australien sandte eine Abordnung zur Berichterstattung über indische Bewässerungsanlagen. — Betreffs der Ausführung gemeinnützlicher Werke, wie Strafsenbau, Telegraphen, Post, Eisenbahnen, Bewässerungsanlagen u. s. w. bildet Indien ein grofsartiges Beobachtungsfeld. — Die Regulierungsfrage bezüglich des Flusses Huang Ho, des chinesischen Schmerzenreich, kann nur durch die Heranziehung indischer Ingenieure, welche mit den indischen Methoden völlig vertraut sind, gelöst werden. — Was nun die Schaffung eines gesetzgebenden Rates für das Kaiser reich anbetrifft, so mag die Beibehaltung des Tsungli Yamen, welcher alle Gesetzesvorlagen und Jahresbudgets diskutiert, wohl erwogen werden. Die Mitglieder des Yamen sind alle hochgestellte und mit wichtigen Verwal tungsposten betraute Leute, denen auch das Recht des persönlichen Zu tritts zum Kaiser zusteht. Von allen Mandarinen sind sie am meisten mit den Ideeen und Absichten des Westens vertraut. — Es dürfte also wohl ratsam sein, jedem Vizekönig einen besonderen Provinzialgesetzgeben den Rat beizuordnen. — Das Heil Chinas und die Fortdauer seines Da seins als unabhängiger Staat hängt von der Umbildung aller seiner Ein richtungen ab, seiner gesetzgeberischen und finanziellen Verwaltungsmethoden, von der Art und Weise, in welcher die männliche Intelligenz und die allgemeine Klugheit des Volkes, wie sie nach der Wiedergeburt der Presse sich zeigen wird, die Politik der Regierung leitet und sie in ihrem neuen Verwaltungswerk unterstützen wird. Wenn nicht das Gefühl der Ehre, des Patriotismus, der guten Sitte und Mäfsigung zur Überzeugung wird für beide, für Mandarinen wie für die Schriftsteller und Zeitungsheraus geber, so kann und wird die Zukunft Chinas nur düster und traurig sein, und seine Gönner haben dann alle Ursache, mit angstvollen Ahnungen er füllt zu sein. — Da alles, was in den Zeitungen und Journalen über China veröffent licht wird, mit einem gewissen Hauch von Pessimismus überzogen ist, so ist es interessant, einen Bericht des englischen Konsuls Jamieson durch zublättern, über die Einkünfte und Ausgaben des chinesischen Kaiser reiches. — Die jährlichen Einkünfte Chinas belaufen sich auf 88 979000 taels, von denen 25 088 000 taels auf Landessteuern und 13 592 000 taels auf Salzsteuer entfallen. — Verglichen mit den Einkünften Indiens (beide Län der. sind an Flächeninhalt und Bevölkerung ziemlich gleich, obgleich das Klima und die Hilfsquellen Chinas günstiger sind), miifsto die Landes steuer 100 Millionen und die Salzsteuer 33 Millionen taels einbringen, wenn hinreichende Kontrolle da wäre und die Steuererhebung durch Gesetz und Recht geordnet wäre. — Die Steuer auf einheimisches Opium, welche heute bereits 2 229 000 taels übersteigt, ist einer sehr bedeutenden Steigerung fällig, in Anbetracht der Zunahme der Mohn kultur und der Thatsache, dafs China bereits begonnen hat, Opium zu exportieren. Die Berichte über die jährlichen Ausgaben sind unvollstän dig und nur soweit festgestellt, dafs sie mit den Einkünften balancieren. — Diese Ausgaben verteilen sich: Auf die Admiralitätsbehörde (nörd liches Geschwader) 5 000000 taels, für Eisenbahnbauten 500 000 taels, für öffentliche Arbeiten, Yellow River - Eindämmung, Seeufer etc. 1 500000 taels. Seit der Zerstörung des nördlichen Geschwaders durch die Japaner 1894/95 ist der erste Posten eine Ersparnis, der zweite würde sich soviel als möglich vergröfsern, weil Eisenbahnbau produktive Arbeiten sind, und der dritte Posten würde einer Untersuchung durch geschickte Ingenieure zu unterwerfen sein. — Die jährlichen Kosten der Hauptverwaltung, der Manchu-Besatzung und des kaiserlichen Haushaltes betragen 19 478 000 taels. Es ist bekannt, dafs die Ausgaben für den Hof ganz aufsergewöhnlicli hohe sind. Man behauptet, dafs Eier und Blumen mit 1 tael pro Stück berechnet werden u. s. w. Kurz gesagt, eine sorgfältige Prüfung wird ohne ZweifeL^die sämtlichen Ausgaben wesentlich reduzieren. Im ganzen ist wohl anzunehmen, dafs unter einem geeigneten System von Kontrolle und Prüfungen die finanzielle Zukunft Chinas eine glänzende ist und dafs mehr wie genug Geld flüssig sein wird für Strafsen- und Eisen bahnbauten, für Telegraphen, Bewässerungsanlagen, öffentliche Gebäude, Schulen, Universitäten etc. — Jetzt werden viele unnütze Ausgaben ver- anlafst durch die alte Finanzverwaltung, durch die Besetzung kostspieliger Ämter, durch das veraltete System der Erhebung der Steuern und Durch gangszölle, in dem Transport von Reis und Spezereiwaren nach Peking. Betreffs des letzteren Punktes dürfte sich der Privatunternehmung ein weites Feld eröffnen. — Das Fehlen jeglichen Nachweises über Ausgaben und Einnahmen des kaiserlichen und der Provinzial-Budgets trägt viel dazu bei, das Vertrauen des Volkes zur Regierung zu untergraben und den Kredit Chinas auf den ausländischen Geldmärkten zu entwerten. — Wenn das allgemeine Publi kum nicht weifs, wieviel Geld seitens der Regierung erhoben wurde und wie viel verwendet wurde für rechtliche und nützliche Zwecke, wenn keinerlei Sicherheit geboten ist für die sorgfältige Verwertung der öffentlichen Fonds, so wird das chinesische Volk sowohl wie das ausländische Kapital sich wohl hüten, mit der chinesischen Regierung in irgendwelche finanzielle Verbindung zu treten. — Die chinesische Zivilisation ebenso wie seine massige Litteratur sind Selbstentwickelungon und haben — wenn überhaupt — dann nur weniges Nachgeahmtes von anderen Ländern. Die der Familienbande und der gegenseitigen Hilfe beigelegte Bedeutung machte Notgesetze entbehrlich, und die der Nation eingeimpfte Verpflichtung bezüglich des Gehorsams und der Loyalität gegenüber den eingesetzten Behörden ersparten dem Kaiserreich Rebellion und Blutvergiefsen. — Dafs dieses System seine Fehler in sich hat, läfst sich nicht leugnen, dafs es aber auch seine hohen Verdienste hat, das beweist das durch Jahrtausende dauernde Be stehen der Chinesen als eine Nation. — Nur wenige Bewohner des We stens wissen dieses System der altersgrauen Zivilisation zu würdigen, weil die meisten von ihnen nicht im stände sind, ein Volk zu verstehen, wel ches ganz aufserhalb der Schranken europäischer Zivilisation steht, einer Zivilisation, die doch hauptsächlich nur durch den Glauben von Palästina, durch die Dichter und Philosophen Griechenlands und durch das römische Recht bis zu ihrer heutigen Verfassung herangebildet wurde. — Es ist beobachtet worden, dafs chinesische Auswanderer, welche sich unter europäischer Flagge in Hongkong, Tonking, den Straits-Settlements und in holländisch Indien niederliefsen, eine sehr bemerkenswerte Neigung haben, ihre geistigen und sozialen Gewohnheiten zu bewahren. — Ihre Kombinationsgabe, ihre angeborene Fähigkeit für den Handel, ihre Energie und Ausdauer und vor allem — das europäische Gesetzsystem, welches ihnen Sicherheit für Leben und Eigentum und die Freiheit der Gedanken und der Sprache bewilligt, welches den Individualismus mehr fördert als den Kommunismus, ermöglichen es ihnen immer, sich eine bevorzugte Stel lung gegenüber den Eingeborenen des Landes zu erringen; — und diese auf solche Weise mit Geist und Mut errungene Position bleibt ein stän diges Wunder für alle europäischen Reisenden. —• Die bemerkenswerte Verschiedenheit der Stellung zwischen den Chinesen zuhause und ihren im Auslande befindlichen Brüdern mag wohl hauptsächlich verursacht wer- 371