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5)er spanisch-amerikanische Krieg und seine Einwirkung auf den Welthandel. t A ls vor wenigen Monaten der ernste Weckruf von Wien ausging, vom österreichischen Minister des Auswärtigen, gerichtet an die europäischen Völker, zusammenzustehen in gemeinsamer Abwehr der immer mehr anwachsenden überseeischen Konkurrenz im Welt handel, vor allem aber gegen die nordamerikanische Arroganz auf handelspolitischem Gebiete, da ahnte wohl noch niemand die folgen schweren Ereignisse, welche sich in den wenigen letzten Wochen voll zogen haben. — Der Ausbruch des spanisch-amerikanischen Krieges war nicht zu verhindern. — Der Krieg war seitens Amerikas eine beschlossene Sache, und alles wurde überrannt, was vielleicht geeignet gewesen wäre, den Krieg zu vermeiden. Inzwischen hat das Ver hängnis seinen Lauf genommen, und wenn auch Amerika — aufser eines leicht errungenen Sieges über ein schwaches spanisches Ge schwader — noch keine Grofsthaten zu verzeichnen hat, so ist doch nicht daran zu zweifeln, dafs es in diesem Kriege die Oberhand be hält und Spanien aus den Reihen der Kolonialmächte hinausgedrängt wird. Die Vereinigten Slaaten von Nordamerika treten dagegen in Zukunft als Kolonialmacht auf und zwar in einer für die gedeihliche Entwickelung der volkswirtschaftlichen Interessen der europäischen Industriestaaten sehr bedrohlichen Weise. — Während wir dieses schreiben, geht die Nachricht ein, dafs Nordamerika als Entschädigung für die cubanische Intervention die Philippinen und Porto Rico, zwei blühende spanische Kolonieen, zu occupieren und zu behalten ge denkt. —- In beiden Kolonieen sind die deutschen Interessen stark vertreten, und es bleibt abzuwarten, in welcher Weise die Vereinigten Staaten gerechten deutschen Ansprüchen entgegenkommen werden. Auch andere europäische Staaten sind in den beiden genannten Ko lonieen (vgl. die Artikel der heutigen Nummer über Philippinen und Porto Rico) stark interessiert, so dafs die Befürchtungen der Nord amerikaner vor internationalen Verwickelungen nicht ganz unbegründet sind. Die Zeit scheint nicht mehr ferne zu sein, in welcher die euro päischen Industriestaaten, England mit seiner krummen Handelspolitik vielleicht ausgenommen, zusammenstehen werden, um in Verteidigung ihrer gemeinschaftlichen Interessen den Vereinigten Staaten ein ener gisches „Stop!“ zu gebieten. — Wir haben von Nordamerika auch in Zukunft nichts anderes zu erwarten als Rücksichtslosigkeiten. Rücksichtslos, um nicht zu sagen brutal, ist seine ganze Handels- und Zollpolitik seit 1893 , welche in ihrer Hauptschärfe gegen den deut schen Exporthandel gerichtet ist und den Zweck hat, der deutschen Industrie die Vereinigten Staaten als Absatzgebiet auf die Dauer ganz zu verschliefsen, während schon jetzt mit anderen europäischen Staaten Verhandlungen im Gange sind, um gegenseitige Erleichterungen im Warenaustausch anzubahnen; — rücksichtslos wurde der spanisch amerikanische Krieg vom Zaune gebrochen und dadurch den euro päischen Staaten schwere Schäden und Verlegenheiten zugefügt; — rücksichtslos sind die Ausfälle und Schmähungen, welche sich die Presse der Vereinigten Staaten — die deutsch-amerikanische mit ein begriffen — seit Ausbruch des Krieges gegen Deutschland leistet, weil das deutsche Volk andere Begriffe hat von Ehre und Gerechtigkeit und sich nicht hineindenken kann in die Auffassung der Nordameri kaner, dafs der Krieg mit Spanien ein gerechter, ja — im Sinne der Menschlichkeit — ein heiliger Krieg sei und dafs in der Vernichtung der Macht Spaniens die Vereinigten Staaten eine Aufgabe lösen, wel cher sie sich im Namen der Gerechtigkeit und Humanität nicht ent ziehen konnten. — Kein europäischer Staat ist den Rücksichtslosig keiten dieser Yankees in dem Mafse ausgesetzt wie Deutschland, und es ist tief bedauerlich, dafs die Deutsch-Amerikaner so emsig bereit- sind, den Deutschenhafs mit ihrer eigenen Presse noch schüren zu helfen. Rücksichtslos ist das Gebahren der Nordamerikaner gegen Deutschland auf allen Gebieten des Handels und des Ver kehrs und nimmt an Schärfe zu, je länger die stets entgegen kommenden Verhandlungen seitens Deutschlands andauern. Deutsch land hat erst dann auf einen Umschwung in seinen handelspolitischen Verhältnissen mit den Vereinigten Staaten zu hoffen, wenn es anfängt, den Yankees mit gleicher Münze heimzuzahlen und in seinen Zoll verhältnissen gegen Nordamerika mit derselben Rücksichtslosigkeit zu verfahren. — Wir sind weit davon entfernt, einem Zollkriege zwi schen Deutschland und Nordamerika das Wort zu reden, sind dagegen aber fest überzeugt, dafs mit nachgiebigen Verhandlungen in der bis herigen Weise nichts erreicht wird, wohl aber dafs das von den Ver. Staaten in Scene gesetzte Zerstörungswerk gegen den deutschen Aus fuhrhandel nach Nordamerika mit jedem Monate ein schnelleres Tempo annimmt. Gewifs ist, dafs der ganze Markt der Vereinigten Staaten für die deutschen Industrieerzeugnisse binnen kurzer Frist verloren und verschlossen sein wird, wenn in der Handelspolitik Deutschlands gegen Nordamerika keine andere und zwar schroffere Saiten auf gezogen werden. Während die Amerikaner das Zerstörungswerk gegen unseren Ausfuhrhandel mit System und Raffinement betreiben, wächst die Überflutung Deutschlands mit amerikanischen Industrieerzeugnissen mit jedem Tage. Eine grofse Anzahl deutscher Gewerbszweige hat schon heute alle Ursache, mit Sorge in die Zukunft zu blicken, und es giebt kaum eine Branche unserer deutschen Industrie, welche nicht durch den amerikanischen Mitbewerb auf unserem eigenen deutschen Markte empfindlich geschädigt wird. Dabei kann man den Ameri kanern eine Berechtigung nicht absprechen, über unsere Zollverhält nisse zu höhnen und über unsere eigene Industrie in unserem eigenen deutschen Vaterlande zu triumphieren, wenn man berücksichtigt, dafs unseren deutschen Erzeugnissen der Eingang in den nordamerikanischen Markt infolge eines Hochschutzzolles von durchschnittlich 55 °/o vom Wert unmöglich gemacht wird, während der deutsche Markt die amerikanischen Erzeugnisse mit einem Durchschnittszoll von 7—8 % vom Werte über sich hinfluten lassen mufs. — In diesem Mifsver- hältnisse der gegenseitigen Eingangszölle zwischen Deutschland und Nordamerika liegt eine ernste Gefahr für unsere deutsche Industrie 230