Volltext Seite (XML)
der Bestimmtheit auftretende Nachricht von einer Einberufung des Reichstages mit Vorsicht auszunehmen sei. Die Regierung habe noch keine Beschlüsse ge faßt, indeß sei die Entscheidung unmittelbar bevor stehend. — Ferner erfährt die „Köln. Zig." aus „gut unterrichteten RegierungSkrcisen", bis Montag werde die Staatsregierung eine Erklärung des Sinnes ab geben, daß die Herabsetzung oder Aufhebung der Getrcidezöllc vor dem Inkrafttreten des österreichischen Handelsvertrages nicht erfolge. Eine Reihe neuer Berichte seien eingelaufcn, welche die ursprünglichen Befürchtungen einer diesjährigen Mißernte beseitigten. Mehrfache Meldungen besagen, daß recht beträchtliche Weizen- und Roggenmengen sich zur Einfuhr nach Deutschland unterwegs befinden, wenngleich in Folge der Unklarbeit über die Zollherabsetzung die Grenzen gesperrt sind. — Dem BundcSrath ist ein Antrag zugegangen, welcher die Ausprägung der Silbermünzen betrifft. ES hat damit folgende Bewandtniß: Die am I. Dezember 1890 staltgehabte Volkszählung hat nach der bereits bewirkten vorläufigen Ermittelung eine Bevölkerung von 49,422,928 Köpfen ergeben. Die Kopfzahl der Bevölkerung ist mithin seit dem I. Dezember 1880 um 4,188,867 und seit dem 1. De zember 188b um 2,567,224 gestiegen. Dem gegen über beziffert sich die Gesammtsumme der bis Ende April 1891 ausgeprägten Reichssilbermünzen abzüg lich der wieder eingezogcnen Stücke auf 452,232,347,1» Akk., und zwar auf 74,096,390 Mk. in Fünfmark stücken, 104,955,898 'Mark in Zweimarkstücken, 178,982,228 Mk. in Einmarkstücken, 71,483,284,;° Mk. in Fllnfzigpfennigstücken und 22,714,546,o» Mk. in Zwanzigpfennigstücken. Bei Zugrundelegung des nach Artikel 4, Absatz 1 des Münzgesetzes vom 9. Juli 1873 zulässigen Betrages von 10 Mk. für den Kopf der Bevölkerung würde daher eine weitere Prägung von 41,996,932,so Mk. statthaft sein. Im Zusammen hänge mit dem Anwachsen der Bevölkerung ist im Verkehr eine Zunahme des Bedarfs an Reichssilber münzen hervorgctreten, welche sich in einer entsprech enden Verminderung des bei der Reichsbank befind lichen Vorrathö äußert. Angesichts dieser Sachlage empfiehlt es sich, mit der Herstellung von zunächst etwa 20 Millionen Mark in Reichsfilbermünzcn vor- zugehcn. Das Prägematerial wird aus dem im Be sitze der Reichsbank befindliche» Vorrathe von Tha- lern deutschen Gepräges zu entnehmen sein. ES wird daher beim Bundesrath beantragt: der BundeS- rath wolle sich damit einverstanden erklären, daß 1) etwa 7,000,000 Mk. in Fünsmarkstücken, etwa 7,000,000 Btt. in Zweimarkstücken und etiva 6,000,000 Mk. in Einmarkstücken geprägt, und 2) bei Vertheil- nng dieser Prägung auf die einzelnen Münzstätten die in dem Bundesrathsbeschlusse vom 21. Dezember 1888 bestimmten Prozentsätze zu Grunde gelegt werden. — In Bezug auf das Fortbestehen des Dreibundes will die „Post" erfahren hoben, daß in den letzten Tagen auch von italienischer Seite die Unterschrift zur Verlängerung des Dreibundes gegeben worden sei. An Versuchen, Italien vom mitteleuropäischen Friedensbündniß abzudrängen, ist nichts gespart worden. Die geschickte Haltung unserer und der österreichisch-ungarischen Diplomatie hat aber schließlich im Verein mit der Festigkeit Rudinis und der italienischen Botschafter in Berlin und Wien den Sieg über Schwierigkeiten davongetragen, die nach der „Schles. Ztg." zeitweise nicht ganz un erheblich waren und noch bis in die letzten Wochen manches Kopfzerbrechen verursachten, wenn auch nichts davon in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. — Zu der jetzt wieder auf der Tagesordnung befindlichen Frage eines einheitlichen Bußtages (zunächst für Preußen) schreibt man dem „B. T." aus Thüringen: Im Thüringerlande, in welchem staatliche Grenzen kreuz und quer und öfter sogar mitten durch Ortschaften laufen, hat die Feier des Bußtags, der in jedem der vielen Staaten auf einen anderen Tag fällt, von jeher zu den unglaublichsten Ungeheuerlichkeiten geführt. Man nehme z. B. das Torf Görsbach, Kreis Sangerhausen, das durch die Chaussee in eine altpreußische und eine hannöversche, also neuprcußische Hälfte geschieden wird. Dort feiert man zwei verschiedene Bußtage; auf der einen Seite der Straße ist Arbeit in der Oeffentlichkeit mit Po lizeistrafe bevroht und ist Gottesdienst, auf der anderen wird flott gearbeitet, auch wohl getanzt und musizirt. Und da« in ein und demselben Staate, in Preußen. — Rußland. Der Czar ist am Freitag mit seiner Gemahlin in Moskau zum Besuch der dortigen französischen Ausstellung eingetroffen. — AuS Petersburg wird mitgetheilt, daß der Czar mit dem Plane umgehe, seine Residenz nach Mos kau zu verlegen. Der Vater dieses Gedankens ist der Czar selbst; daß PobedonoSzew ihn unterstützt, ist selbstverständlich. Auch ist in Frage gekommen, die Residenz „auf ein Jahr" nach Moskau zu ver legen. Dann würden natürlich die Zentralbehörden de« Reiches und die fremden Missionen in Peters burg verbleiben, was viele Unzuträglichkeiten mit sich bringt. Locale u«d sLchstsche Nachrichten. — Dresden, 29. Mai. Es giebt jetzt nur eine wirklich brennende Frage, dieselbe ist aber so brennend, daß sie jedes andere Interesse in den Hin tergrund drängt: diese Frage dreht sich um das liebe tägliche Brod, die bestehende Theuerung. In allen Blättern wird sie erörtert, in Privatgesprächen ernster Männer bildet sie das Hauptthcma, und auch an offizieller Stelle, im preußischen Landtage, ist sie zum Gegenstand einer eingehenden Erörterung gemacht worden. Minister v. Bötticher hat in seiner Bankett rede zu Stralsund dieselbe drängende Angelegenheit gestreift, und am kommenden Sonntag wird sie vor aussichtlich auf dem in Berlin stattfindenden Partei tage der Nationalliberalen heftige Auseinandersetzun gen Hervorrufen. Daß ein ganz abnormer Zustand existirt, wird Niemand leugnen können. Eine Ver gleichung der Preise von 1887 und jetzt ergiebt ein deutliches Bild. Am 23. Mai 1887 notirte Weizen bis 185 M., Kor» 130 — 133 M., Kartoffeln waren erhältlich zu 3,»«—4,s° M. per Hektoliter; jetzt ist für Weizen 260—248 M., für Korn 195—208 M. zu zahlen, und Kartoffeln schwanken je nach Qualität zwischen 5,,» und 5,«° M. Fügen wir zur Illustra tion die Preise hinzu, welche sich für den gleichen Zeitpunkt der Jahre 1889 und 1890 ergeben. Im ersteren Jahre waren die Höchstpreise im Mai in der obigen Reihenfolge der Produkte 188, 153, 5 M., im Mai 1890 dagegen 200, 172, 4,°° M. Die im mense Steigerung des laufenden Jahres läßt sich durch einen einfachen Vergleich ersehe», und überdies spürt Jedermann die Thatsachc am eigenen Geld beutel. Niemals war die Steigerung so stark, wie jetzt, obwohl die Ernten der beiden Vorjahre auch schlecht waren. — Chemnitz. In nicht geringen Schrecken gc- rieth am Donnerstag früh ein hiesiges in der Zscho- pauer Vorstadt wohnhaftes 15-jähriges Mädchen, als cS merkte, daß sein schöner Haarzopf vollständig durchschnitten war. Der That dringend verdächtig erscheinen zwei halbwüchsige Burschen, die am Abend mit dem Mädchen zusammengewesen waren; in dem Jacket des.einen fand man ein Rasirmesser vor. — Ein Reisender, welcher vor einigen Tagen Nachts Zwickau erreichen wollte, aber die Station versah und weiter fuhr, ergriff in seiner Aufregung die Nothleine des Zuges und bewirkte das sofortige Anhalten desselben auf freier Strecke. Der erklärliche Schreck der Mitreisenden fand bald seine humoristische Dämpfung. Der Uebeltbäter mußte aber bis zur nächsten Station weiter fahren, das entsprechende Fahrgeld bezahlen und auch einer weiteren Buße seiner Eilfertigkeit wegen sich unterziehen. — In Wiesa hatte sich am Montag Abend der Fleischermeister B. aus seiner Wohnung entfernt unter Umständen, die auf einen Selbstmord schließen ließen. Am Dienstag Abend fand man am Rande des schwarzen Teiches zwischen Wies« und Schönfeld die Kleider und den Stock des Vermißten, während man den Leichnam erst am nächsten Morgen aus dem Wasser zog. Am Leibe fand man einen schweren Stein, den sich der Selbstmörder, um sicher den Tod zu finden, an seinem Körper befestigt hatte. — Am Donnerstag Nachmittag wollte der 13- jährige Sohn des Handelsmanns Mein hold in Zeughaus-Rautenkranz auS dem in der Nähe liegenden Walde mittelst Handwagen Streu holen, und hatte den großen Zughund (uneingeschirrt) mit einer Leine an den Wagen gebunden, mitgenommen; als beide noch nicht wett von der Wohnung entfernt, riß sich der Hund plötzlich los, wurde aber wieder gefangen und war Mcinhold im Begriff, das abge zogene Halsband wieder über den Kopf zu stecken. Hierbei biß aber der Hund demselben zuerst die rechte Backe heraus, warf ihn nieder und biß und riß dem armen Knaben die Kopfhaut vollständig herunter. Der BedauernSwerthe wurde in die elter liche Wohnung getragen, von dem herbeigerufenen Arzte verbunden und in das Kreiskrankenstift Zwickau überführt. Der Hund wurde Abends noch erschossen und andern Tages auf Anordnung der betreffenden Behörde thierärztlich untersucht. — Der im Herbst zusammentretende Landtag wird sich, wie mit Bestimmtheit verlautet, u. a. auch mit einer Vorlage über Errichtung zweier neuen Fachschulen zu befassen haben. Die erste ist eine Eisenbahn-Vorschule, die nach dem Musterder Post-Vorschulen eingerichtet werden soll. Mit den vorbereitenden Schritten ist bereits der Geh. Finanz rath Heydcnreich betraut worden. Die zweite ist eine Geometerschule zum Zweck der Ausbildung von VermessungSbeamtcn, die wahrscheinlich mit einer der bereits bestehenden sächsischen Baugewerkschulen ver einigt werden wird. — Hierzu wird weiter bemerkt: Wie aus zuverlässiger Quelle gemeldet wild, hegt die Generaldirektion der königl. sächs. StaatSeiscnbahnen keineswegs die Absicht, die Errichtung von Etsen- bahnvorschulen selbst -in die Hand zu nehmen, sie verfolgt aber mit Interesse die Bestrebungen der jetzt schon bestehenden Postvorschulen in Lommatzsch, Alten berg und Langebrück, welche die Erweiterung zu Eisen bahnvorschulen bezwecken. — Altenburg. Am 27. Mai hat bei einem starken Gewitter der Blitz in das herzogliche Schloß eingeschlagcn; er hat den auf einer Erhöhung im südlichen Theile de« Schloßhofes stehenven sogenannten Flaschenthurm getroffen, aber nicht gezündet; er ist an der Blitzableitung des Thurmes niedcrgegangen. Dieser Thurm, welcher in seiner bis zum First glatten Form etwas an die Nürnberger Dürer-Thürme an den Hauptthorcn erinnert, ist dadurch bemerkenSwerth, daß nickt eine Treppe in ihm hinaufführt, sondern ein gepflasterter bequemer Weg. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. Am 2. Juni 1882 stard auf Caprera der italienische Nationalheld Guifeppe Garibaldi, ein Mann, der sich einen Weltruf erworben, der zweifellos ein glühender, opferfreudiger, selbstloser Patriot, vielfach ein glücklicher Heerführer, keines falls aber ein Politiker und Diplomat war. Er war es, der sehr wesentlich zu der Einigung Italiens beigctragen hat und er hat 1880, nachdem er mit seinen 1000 Mann einen überaus glücklichen Kriegszug durchgesührt hatte, Viktor Emanuel in Neapel zum König ausgerufen. Mit der Eroberung des König reichs beider Sizilien steht Garibaldis Ruhm aus höchster Höhe. Dann folgen für ihn wiederholte Niederlagen, Gefangennahmen und Begnadigungen, bis er zuletzt als der „Einsiedler von Caprera" auf dieser Insel leben mußte. Seine letzte und traurige Rolle spielte Garibaldi im letzten deutsch-französischen Kriege. Er hatte der französischen Republik seine Dienste auf gedrängt, indeß zeigte sich feine Guerilla-Kriegskunst den deut schen Waffen keineswegs gewachsen und er hatte nun die Schmähungen der Besiegten zu erdulden. Zuletzt hat er noch schwülstige Romane geschrieben, die sehr schwach sind. Auf Caprera ist der italienische Nationalheld beigesetzt worden. 3. Juni. Vor 20 Jahren, am 3. Juni 1871, wurde vom deutschen Reichstag ein wichtiges Gesetz genehmigt, nämlich die Konsti- tuirung von Elsaß-Lothringen als deutsches Reichsland: es wurde bestimmt, daß dieses bis Anfang 1873 unter der Dik tatur des Kaisers und Bundesrathes stehen solle, später sollte dann auch im Reichslande die deutsche Reichsverfassung in Kraft treten. Man hatte jedenfalls bezüglich des zurückge wonnenen deutschen Landes das Richtigste gewählt; zwar hatten sich auch gewichtige Stimmen für die Einverleibung in Preußen erhoben, allein um allen inneren und äußeren Verwickelungen vorzubeugen, ward jener Beschluß gefaßt. Das anfänglich allzu milde Regiment im Reichslande wurde mit der Zeit strenger; man mußte allmählich verlangen, daß die Bewohner die Zugehörigkeit zu Deutschland als unabänderliche Thatsache binnähmen. Allerdings lassen sich die ini Laufe von Jahr hunderten in einem deutschen Lande geschaffenen französischen Eindrücke nicht in zwei Jahrzehnten verwischen; allein immer hin ist zu bemerken, daß man sich mit der Lage aussöhnt, ja diese als recht angenehm zu betrachten anfängt. Die Protestelei kommt nicht mehr recht von Herzen, sie fängt an, schon mehr Sport zu werden. Der Flüchtling. Historische Novelle von Aug. Northeim. (11. Fortsetzung.) So standen die Dinge in Eton, als eines Tages eine im Mittlern Alter stehende, aber noch beträcht lich jünger aussehende Frau in Trauerkleidern in Janes Zimmer trat. Wir erkennen in ihr die Wir- thin jener Waldschenke, in welcher Sir Francis Clif- ton ein Verbrechen verhinderte, die Mutter jenes be- klagenswerthen kranken Knaben, dessen Pflege die freundliche junge Schloßherrin sich besonders ange legen sein ließ. „Nun, Frau Betty, was giebt es, was führt Euch her?" rief letztere der Eintrctenden entgegen. „Ist der arme Martin wieder von einem seiner bö sen Anfälle heimgesucht, oder hat die alte Mutter Morris einen Rückfall des schleichenden Fiebers ge habt?" „Nichts von alledem, theure Herrin," entgegnete die hübsche Wittwe. „Die Alte ist Dank Eurer heil samen Kräuter und Mixturen auf dem besten Wege zur Genesung, und mein armer Junge ist so weit wohl, obgleich der plötzliche und gewaltsame Tod sei nes treuen Beschützers einen wunderbaren Einfluß auf sein Gemüth gehabt haben muß. Statt daß er sonst den ganzen Tag still auf seinem Stuhl kauerte oder langsam im Garten umherschlenderte, streift er jetzt stundenlang durch Wald und Feld, den Blick zu Boden gerichtet, al« suche er etwas. Anfänglich war ich besorgt seinetwegen und ich weiß auch noch nicht, was diese Aenderung in seinem Wesen bedeuten soll. Aber der alte Doktor Stephan, der schon so lange in nnserm Hanse aus- und eingeht, hat mich be ruhigt. Laßt ihn nur ungehindert seinen Weg ver folgen, sagte er in seiner gutmüthigen Weise; er steht in des Herrn Hand und nur ein gänzlich roher Mensch könnte einem solchen Unglücklichen ein Leid anthun. Und so ist es auch, theuerste Lady, mein ar mer Knabe wird nicht untergehen. — Doch ich kam, Euch eine Botschaft von Wichtigkeit zu bringen. Der Krämer Bartram, von welchem Ihr öfter Maaren gekauft, ist seit gestern in unserm Hause und in seinem Auftrage stehe ich hier." „An mich? Eine Botschaft von Meister Bartram an mich? Wie und was denn, meine gute Frau Betty?" fragte Jane, tief erröthend das Haupt zur Seite wendend, sie wußte selbst nicht, weshalb. „O Ihr dürft mir vertrauen, gewiß, Ihr könnt nicht daran zweifeln! Ich würde mein Leben wagen, um den schönen jungen Kavalier zu retten — ich würde es gewiß wagen, wenn eS nicht andern so sehr nöthig wäre. Nein, nein! ich will mich um alle Welt nicht in Euer Geheimniß eindrängen, ich zeige Euch nur mein Inneres, damit Ihr Euch vertrauensvoll an mich wendet. Hört doch, Lady, ich will Euch ja auch nur gleich meinen Auftrag sagen. Bartram