Dann verlief der Vormittag auf dem Bahnhof Leisnig ruhig bis um 10 Uhr. Die Züge trafen fast pünktlich ein, Reisende und Zugpersonal brachten die Bestätigung, daß die Revolutionäre über Nacht in den Großstädten von den Bahnhöfen und anderen öffentlichen Gebäuden Besitz ergriffen hätten. Kurz nach 10 Uhr traf eine größere Anzahl revolutionärer Soldaten der Garnison Leisnig, bewaffnet mit mehreren Maschinengewehren, auf dem Bahnhof ein. Die Maschinengewehre wurden sofort auf den Bahnsteigen aufgestellt und schußfertig gemacht. Jetzt verlangte der Führer dieses Trupps, daß keine Zufahrt ohne seine Zustimmung stattfinden dürfe. Als der ’/«11 Uhr fällige Personenzug Dresden — Leipzig einfuhr, starrten ihn mehrere schußfertige Maschinengewehre entgegen. Ein Teil der Revolu tionäre durchsuchte während des kurzen Aufenthaltes den Zug nach Mili tärpersonen und Waffen. Letztere wurden größtenteils ohne Weigerung ab gegeben und aus manchen Abteilen auch ohne besonders nachdrückliche Aufforderung ohne weiteres herausgeworfen. Inzwischen war der Umsturz in der Garnison selbst zur Durchführung ge kommen. Den Offizieren und Mannschaften wurden von den Soldaten die Achselstücke abgeschnitten, die Degen weggenommen und die Kokarden abgerissen. Anstelle der abgesetzten Offiziere wurde der Soldatenrat ge wählt. Er erhielt die Macht und ordnete die Dinge. Die revolutionären süd deutschen Lazarettkranken wurden mittels Sonderzuges von Leisnig ab transportiert. Jetzt war der Soldatenrat Herr der Lage und hatte die Kom mandogewalt übernommen. Ohne Achselklappen, ohne Kokarden, versehen mit roten Abzeichen, führt von jetzt an das Militär seine Verordnungen aus. Post, Bahnhof, Rathaus und die Druckerei des „Leisniger Tageblattes" wur den im Laufe des Vormittags besetzt. Auf den Marktplatz zog ein Trupp und verlas eine Proklamation. Auf den Straßen patroullierten Posten mit Gewehr, die für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung Sorge tragen sollten.“ Wie verlief der Nachmittag? Darüber liegt uns ein ausführlicher Augenzeugenbericht von dem Genossen Erich Koch vor: „Ich war damals 15 Jahre alt. Da ich eine Lehre antreten wollte, die seiner zeit bezahlt werden mußte, mein Vater verstorben war, und die Mutter kein Geld besaß, war ich bei einem Bauer in Minkwitz als Landarbeiter beschäf tigt. Gegen Mittag sagte ein bei dem Bauer im Quartier liegender Soldat, daß die Revolution ausgebrochen wäre. Ich schob die Holzpantoffeln bei seite und zog die Stiefeln an, die mit einer dicken Holzsohle versehen waren. Nun machte ich mich mit dem Soldaten auf den Weg nach Leisnig. An der Friedhofsecke stand ein ganzer Trupp bewaffneter Soldaten. Sie