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Die Aniienkapelle Die Annenkapelle bat stets durch ibre Gründungsgeschichte das größte Interesse erweckt, das sich naturgemäß steigerte, wenn inan den präch tigen Schmuck betrachtete, den der Stifter ihrer Außenseite verlieh. Hans Frenzel hieß allgemein „der Reiche". Und das mit Recht. Als er 1489 mit 26 Jahren heiratete, war er bereits ein Großkaufmann nach dem Muster Georg Emerichs. Die ganze Südseite der heutigen Nonnenstraße war sein Eigen. Dort baute er sich dein Kloster gegen über den großen berühmten Bierhof, „die drei Eichen", mit seinen ge räumigen Höfen, dort schuf er sich bis ans Franentor hin fünf Ver kaufsläden, die sich hinten bis an die Stadtmauer, die heutige Elisabeth- straße, erstreckten, für seinen gewaltigen Handel. — Die Zahl seiner Güter, die er in der Umgegend von Görlitz befaß, betrug zeitweise 12 und mehr; unter ihnen Schönberg. Und im Jahre i.-zoo baute er sich den großen Bierbof am Untermarkt, neben dem Schönhofe, zu einem Palaste ans, mit ungeheuren Kellern für seine Lager. Aber ein Glück war ibm versagt. Zn vierzehnjähriger Ehe blieb er kinderlos. Da tat der fromme Mann mit feinem Weibe ein Gelübde zur heiligen Anna, der „Kindermutter", der Namenspatronin seiner Frau, und schuf ihr eine Kirche mit einer Hingebung und frommen Be geisterung, wie man kaum etwas Zweites fand. Alle Schwierigkeiten wurden überwunden: er kaufte einen Platz am Zwinger des Frauen tores, wo der Topfmarkt war. 14 Ellen tief mußte der Grund ge graben werden — aber am Gt.-Annen-Tage 1308 wurde derGrund- stein gelegt, und an, Freitage vor Pfingsten 1512 fand die feierliche Weibe statt. Es ward „ein Gebäude und Gestifte, mehr eines Fürsten, denn eines Bürgers". Die Überlieferung erzählt, daß Frau Frenzel, als man an, Chor die erste Messe feierte, sich schwanger fühlte. Jbren Sobn nannte sie dann nach dem Namen des Mannes der St. Anna Joachim. Hans Frenzel stattete das Innere wie das Äußere glänzend aus: Glocken auf das Türmchen, das früher vorhanden war, drei Altäre mit zwei Priestern, und den Hochaltar batte er von Hans Olmützer, dem berühmten Schöpfer der Goldnen Maria, errichten lassen — und für alles und jedes — Meßgerät und Meßgewand — sorgte er mit Eifer. Daß das Portal mit einer Verkündigung geschmückt wurde, ist selbst verständlich, und ihre Figuren — verschieden von der Gestaltung an der Frauenkirche — gehen in Haltung und Ausdruck weit über den Durchschnitt hinaus. — Den schönsten Schmuck aber hat der Chor an seiner Außenseite erhalten, die der Steinstraße zugekehrt ist: prächtige schlankeSpindelsäulen, auf deren jeder auf sinnvoll verziertemKapitäle eine fast lebensgroße Heiligenfigur unter reichgeschmücktem, gotischem Baldachin-Türmchen steht, neben andern an hervorragender Stelle St. Anna selbdritt (mit Maria und dem Jesuskind auf dem Arme), ihr Gemahl Joachim, Maria und Joseph. Das Kapitäl unter der St.-Anna-Figur bildet — wie fein gedacht! — ein reizender Engel, der ein Schild mit dem Namenszuge des Hans Frenzel trägt, und das unter St. Joseph mit dem Zimmermannsbeil über der Schulter das Brustbild eines Mannes in ergreifender Dar stellung. Man darf in ihm den Baumeister — es war wohl Albrecht Stieglitzer — erkennen, der sinnend der Morgensonne entgegenschaut. Kaum 20 Jabre hat das reiche und sinnige Gestift im Sinne seines Stifters gedient. Frenzel starb 1526, und sein Sobn Joachim über gab es 1531 der Stadt, die — nach der Reformation — den gottes dienstlichen Gebrauch aufhob. Der Altar des Hans Olmützer kam in die Peterskirche und ver brannte, die Glocken auf die Türme der Stadt, und den Turm riß der Sturm im Jahre 1562 herab!