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Das K'lOste Weit und breit gibt es nichts, das in seiner Eigenart und mit seiner Grab Entstehn,Igsgeschickte so fesselnd in die Gegenwart Hinei,wagt wie das Heilige Grab zu Görlitz — nickt bloß als eine Schöpfung aus dem Ende des ,-z. Jahrhunderts, sondern als getreue Nachbildung eines Banes, den die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon in, Jahre 1099 mit erscküttcrter Andackt betraten. Georg Emerick war's, der nackmalige hockgcacktete Bürgermeister, der „König von Görlitz", wie ibn Luther genannt haben foll, der den Bau mit seiner ganzen Anlage schuf. Schwer belastet durch die Schwängerung der Tochter eines hoch angesehenen Görlitzer Bürgers und bedroht vom unvermeidlichen Kirchenbann,', erschien ihm als die einzige Rettung seiner Stellung und wohl auch seines Gewissens eine Bnßfahrt nach Jerusalem, die stets ein überaus reicher Ablaß lohnte. Aber nickt nur befreit im Innern und gelöst vom drohenden Banne wollte er znrückkehren, sondern befähigt, in jeder Weise die Nolle zu spielen, die dann wirklich sein Leben erfüllte — als Sohn eines Vaters, den 1464, im Jahre jenes Fehltritts, seine Mitbürger zum fünften Male zum regierenden Bürgermeister der Stadt Görlitz gewählt hatten. Als er im Dezember 1465 aus Jerusalem heimkebrtc, besaß er nicht nur die volle Absolution der Kirche, sondern war auch zum Nitter des Heiligen Grabes geschlagen worden. Das schnf ihm wohl innere «nd äußere Verzeihung, nicht aber den Grad von Anerkennung «nd Hoch- sckätzung der Persönlichkeit, deren er zum ersehnten Aufstiege zur Höhe des väterlichen Ansehens und seiner Machtstellung bedurfte. Es mußte mehr geschehen. Nichts konnte dankbarer sein als etwas zu schaffen, das die Menge des Volkes wie die Geistlichkeit in gleicher Weife gewann — das Volk durch ein öffentliches Schauspiel, das erfreute und reizte, und die Geistlichkeit durch die Einführung weihevoller Passionsumzüge aus großartigstem Hintergründe, die ihr Ansehen nur stärken konnten. — Vielleicht war es auch dem reichen Patriziersohne eine Ge nugtuung, das in seiner Heimat schaffen zu können, wovon ihm in Jerusalem die ersten christlichen Kreise rühmend erzählt haben mögen: die getreue Nachbildung der Stätte des Heiligen Grabes in der Heimat, wie ste bisher nur so berühmte Städte wieRom, Venedig, Antwerpen „nd in Deutschland das mächtige Nürnberg besaß, zu dem Görlitz seit alten Zeiten in engen Handelsbeziehungen stand. Sage auf Sage hat sich um die Reise und das Werk des Georg Enrerich gerankt, und Kritik aller Art hat sie beleuchtet. Eins aber steht fest: das nach dem Muster von Jerusalem genau in Görlitz nackgebildcte Heilige Grab, das in der Zeit von ,481 bis 1489 von Georg Emerich erbaut wurde. Ein altes Bild von 1719 will uns seine Schöpfung, belebt durch den „Kreuzweg", vorführen: die Peterskirche als das Richthaus des Pilatus, die Hilfe des Simon von Cyrene, die Vertreibung des ruhebcdürftigen Heilandes durch Ahasverns, das Zusammenbrecken Ehristi unter dem Kreuze, und am zweiten Bildstocke vor dem Aus gange nach Golgatha die Wiederaufnahme des Kreuzes, schließlich die Grablegung. Die von Emerich geschaffene Stätte erscheint im Hintergründe: die drei Linden an Stelle der drei Kreuze, die Kalvarienkapelle, hier Kirchlein zum Heiligen Kreuz benannt, die Salbungskapellc, und endlich das Heilige Grab selbst. Zur Rechten trennt der „Bach Kidron" die Stätte Golgatha von Gethsemane, wo der Herr eines SteinwnrfeS weit von feinen schlafenden Jüngern am Hlberge betet und ihm der Engel mit dem Kelcke erscheint. Die wachsende Stadt hat diesen anscrfehenen Platz des Emerich mit neuen Banken umringt — aber rmangetastet und treu gehütet steht das alte Heilige Grab wie einst. —