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Die Kapelle an der Galgengasse von 1 842 An dem steilen Ufer der Neiße unter der Rothenburger Straße, der ebemaligen Galgengasse, wo die Goldgrube lag, stand oberhalb der Straße unweit dieser Stelle eine alte Kapelle, die ancb aus der vor- seitigen Abbildung sicbtbar ist. An sie knüpfen sieb mebrere Sagen, von denen die folgende die bekannteste ist: Als George Emcrich aus dem beiligen Lande zurückkehrte, sandte er zwei seiner Diener voraus, seine Ankunft in Görlitz zu melden. Einer der Diener war ein böser Mensch und fing mit dem andern, der die Kostbarkeiten seines Herrn trug, Händel an. Da er aber nichts aus richten konnte, ritt er nach Görlitz voraus, wo er sich vor dem Tore Gesicht und Hände zerkratzte, so daß er aussah, als sei er unter Mördern gewesen. In dieser Gestalt ging er znm Ratbaus und gab an, der andre Diener habe seinen Herrn erschlagen, er selbst sei von ihm blutig geschlagen und wie tot niedergefallen. Er babe sich jcdocb wieder erbolt und sei aus Umwegen in die Stadt gekommen. Ans diese Erzählung bin sandte der Rat Gericbtsdiener aus, die dcu unschuldigen Diener singen nnd zur Stadt sübrtcn. Da er vor Gericht sebr erschrak und auch die Kleinodien bei sich batte, glaubte man dem falschen Knechte und machte dem Unschuldigen kurzen Prozeß, wonach er an der, Galgen gehängt werden sollte. Am folgenden Tage ivnrde er srübmorgens binans nach dem Galgen gesübrt. Herr Emcrich war indessen auch berangekommen, und als er ans die Höhe hinter Reichenbach kam, börtc er das Geläute der Görlitzer Glocken. Als er nun nach der Ursache fragte und die ganze Geschichte vernabm, gab er seinem Pferde die Sporen und jagte so schnell er konnte auf Görlitz zu. Auf der Galgengassc angekommen, wo heute die Kapelle stebt, brach ibm sein Pferd unter dem Leibe zusammen. Der totgeglaubte Emericb wurde erkannt, der unschuldige Diener, der den Strick schon um den Hals batte, sreigegeben, «nd der falsche An kläger statt seiner an den Galgen gehängt. Emcrich aber ließ an dieser Stelle eine Kapelle errichten, auch diese Geschichte auf Leinwand malen und in der Klosterkirche ausbängen. Das Bild war dort an geblich noch im Jahre 1832 zu sehen. Eine andre Sage erzählt von zwei Handwerksbttrscben ans Görlitz, der eine reich, der andre arm, aber beide gute Freunde, die ans die Wanderschaft zogen. Nach vielen Jahren kommt vom Rheine die Nachricht, daß dort ein Handwerksbnrscbe erschlagen sei, den die Be- scbreibnng als den reichen erkennen läßt. Gleichzeitig sei ein andrer Görlitzer Handwerksbursche schnell fortgewandert. Ans diesen lenkte sich der Verdacht. Da dieser nun vorzeitig znriickkommt, auch die Ubr des Freundes bei sich trägt, wird er als Mörder angeseben und ibm durch die Folter ein Geständnis erpreßt. Als der Verurteilte nun zur Richtstätte gesübrt wird, kommt auf eilendem Pferde der reiche freund, der unterwegs die Kunde von dem Unglück gehört batte, an gesprengt und rettet so im letzten Augenblicke den vermeintlichen Mörder vor dem Tode. Zur Erinnerung an diese Gegebenheit und als Dankopfer für Gottes Fügung wurde dann diese Kapelle errichtet. Noch zwei weitere Berichte, der eine vom Iabre 1589, der andere vom Jahre 1678, geben andere Ursachen ihrer Errichtung an. Ver schwunden ist jene alte Kapelle, als der Straßenbau das Gelände änderte. Das Bild selbst, die KreuzignngSgruppe, ist im Iabre 1852 der Kapelle entnommen nnd an ihre jetzige Stelle, in die Nische der Futtermauer unter dem Hanse Rothenburger Straße 18 versetzt. Heute läuft alt und jung, arm und reich an diesem Orte vorbei, wo nur noch das alte Krcuzignngsbild daran erinnert, daß hier Unzählige, Schuldige «nd Unschuldige, ihr Ende am naben Galgen sanden. 116