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Der Milhlweg im Zzahre 1824 Reich und arm will nach des Tages Arbeit frische Lust genießen. !Wie gut haben es heute die meisten Städter, die aus ihrer Dehnung aus Vor- und Hintergärten mit ihrem saftigen Grün zu blicken ver mögen oder doch wenigstens freie Plätze und sonnige Promenaden leicht erreichen können. Wie anders war's doch vor hundert Jahren, wo ein hoher, fester Mauergürtel die engen Straßen umschloß, die ohne Gärten, ja zum Teil an ungepflasterten, unsauberen Straßen gelegen, den Winter zur Ode, den Sommer gar oft zur Qual machten. Und der Weg ins Freie durch die meist sehr entlegenen wenigen Tore war mühsam und unerfreulich. Während heute viele Bürger vor der Stadt ihren Schrebergarten baben, war früher die nächste Umgebung der Stadt zum großen Teil im Besitze der Wohlhabenderen, die sich hier ihre mehr oder weniger köstlichen Zier- und Gebrauchsgärten anlegten. All diese Stadtgärten und Sommersitze, die Rasenplätze, Weiden und Landwege haben neuzeitlichen Straßen Platz machen müssen, deren Aussehen nicht im entferntesten ahnen läßt, welche ländlichen Eindrücke hier einst der alte Görlitzer cmpsing. Zwei Bilder mögen ein Beispiel für diese frühere ländliche Bcsiede- lungsform geben, Bilder, die man recht selten findet, und die oft nur ein glücklicher Zufall dec Vernichtung entriß, weil sie etwas früher Alltägliches, Einfaches und nicht Ungewöhnliches darstellten. Da lag, wenn man vom Frauentore nm die Kirche herum links ab bog, der „Mühlweg", der seinen alten Namen auch heute noch trägt, der sich in Windungen, dem Gelände anpassend, nach der Obermühle hinschlängelte. An ihm lag „Kähligs Garten", ein Grundstück, auf dem heute das Handelskammerhans steht. Von diesem Garten aus hatte der alte Görlitzer Bürger einen schönen Rückblick ans seine Stadt: Hinter Obstbäumen schauten Turm und Dachreiter der Frauenkirche hervor. Daneben sah man die fein geschwungenen Kuppeln zweier Türme, des Reichenbacher und des Dicken Turmes. Das Haus selbst zeigte die schlichten und biederen Formen des beginnenden 19. Jahrhunderts, dessen hohes Satteldach init Krüppelwalm zwei Böden barg. Mehrere Lindenbäume an der „Straße" spendeten wohltuenden Schatten. Von bier aus schweifte der Blick über die fast kable Fläche der Viehweide, die nur ein ein samer Baum ziert, bis hin auf das östliche Ufer der Neiße, das Rabenberggelände. Go sah es hier aus vor rund roo Jahren, als der Zeichenlehrer am Gymnasium, Hortzschanski, im Jahre 1822 und 1824 diese beiden Blätter schuf. Die „gute, alte, schöne Zeit"! — War sie wirklich schöner, genuß reicher, fröhlicher als die unsere? — Wir blicken in sie hinein wie in einen trüben Spiegel, der uns nur die schärfsten, äußeren Umrisse zeigt, doch den Hanch des Lebens nicht wiederzugeben vermag, der die Zeit als belebender Frühlingsodem oder als verheerender Sturm durchwehte. Wir freuen uns bei dem Anblick dieser herrlichen, alten, malerischen Bilder des Gewesenen von ganzem Herzen, und doch nicht bloß um dieses Gewesenen willen, sondern in der Freude darüber, was aus ihnen ward in» Kampfe mit der Zeit und ihren oft unbarm herzigen Forderungen. Wir fühlen den Pulsschlag des Willens, die Vaterstadt auszugestalten nach einem Ziele hin, das Glück, Zu friedenheit und Freude bringen — sollte. Ist es erreicht? Wird es je erreicht werden? Der weltbeherrschende Römer sagt: In rekus Maonis et volnisse snt est.— In freier deutscher Über setzung: „Der Wille adelt großes Ziel!" MO