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Das Rathaus Gotische Tür Renaissance-Tür von 4566 Schaut ma» sich im Innern des alten Ratbauses um, so entdeckt man dort nocb allerlei kostbare Architekturstücke, z. B. Türen aus Stein und Holz mit Bildbauerarbeiteu, scböne Treppenaufgänge, prächtige Decken mit wertvoller Einlegearbeit. Zwei Türen sind es, die uns be sonders ins Auge fallen, und die wegen ibres reichlichen Schmuckes verdienen besichtigt zu werden. Im Ratssitzungssaale vermittelt eine schlanke Tür den Ausgang zum Dorraum. Die in balber Höbe beginnenden Stäbe durchbrechen den wagerechten Türsiurz, nm sich über ibm im Spitzbogen zu schließen; sie lassen in ibrer Formengebung das endende iZ. Jahrhundert als Zeit ibres Entstehens erkennen. Über dem Türstnrz sieben in den beiden Winkeln zwei kleine Figürchen: Zur Linken eine Frau mit einem Buche an einem erböbt angebrachten Betpult, zur Rechten ein Engel, der auf einer Orgel spielt, wozu er sich mittels eines Blase balges selbst Wind zubläst. Also wird es wobl die Verkündigung des Engels an Maria sein. Darüber seben wir zwei Engel, wie wir ähn lichen schon einmal begegnet sind. Es war am Portal der Frauen kirche (Abbildung aus Seite 27), wo sie in gleicher Weise ans den Vertiefungen zwischen den Rippen beransragen. An der höchsten Stelle des Spitzbogens bält ein Engel das Schwcißtucb der Veronika mit dem Antlitz Christi. Auch dieses batten wir gleich den Engel» schon an dem Portal der Frauenkirche geseken. Ob vielleicht derselbe Künstler an beiden Portalen gearbeitet bat? — Unter dem Türsiurz schauen noch drei kleine Engel dem Anstretenden entgegen, der mittelste mit einem Spruchband, die beiden andern mit Gitarre und Roscnzweig. Später wurde in den freien Ranm unter dein Spitzbogen ein ge rahmter Spruch gehängt, dessen Inhalt in deutscher Übersetzung lautet: „Wer du auch immer als Ratsberr des Amtes wegen zum Ratssaale einschreitcsi, wirs ab vor diesem Eingänge alle eigenen Reigungeu, Zorn, Gewalt, Haß, Freundschaft, Schmeichelei nsw., denn wie du andern ein billiger oder unbilliger Richter gewesen, also wirst dl« auch Gottes Richterspruch zu erwarten und ertragen haben." Wie ganz anders siebt die zweite Tür ans! Drückte die erste Be scheidenbeit und Frömmigkeit aus, so ist es bicr Pracht und Reichtum. Der neue Stil der Renaissance, der sich vor 40 Iabren zum ersten Male am Schönhof zeigte, hat bier beinabe seinen Höbepunkt er reicht. Im Ratssaale, an seiner Westseite, ist sie eingelassen und nimmt die ganze Höhe der Wand bis zur getäfelten Decke ein. Je drei straff kannelierte Säulen fassen die Tür ein; aus den Kapitälcn der vorderen Säulen sieben zwei kleinere, die zusammen mit den hinter ihnen stehenden Pfosten die wuchtige Verdachung tragen. Über ihr erbebt sich ein kleiner Aufbau, dessen schlanken Säulen ein weitvor- kragendcr Giebel aufgesetzt ist. Zwei Türniscben entbalten in Kar tuschen die Buchstaben 1^ iVI und die Icchrcszahl i.z66, durch die der Schreiner Franz Margnirt als Hersteller bestimmt ist. Das Nuudbogenfeld über der Tür trägt das farbige Görlitzer Wappen, das von zwei Putten in Rankenwcrk gehalten wird; in den seitlichen Halbgiebeln sitzen kleine Chronosknaben. Zu beiden Seiten des Portals tragen bohe, schlanke Säulen mit korintbiscben Kapitälen die Statuen der Gerechtigkeit mit dem Schwert und der Wage, die aber ans unserm Bilde fehlt, und der Religion mit dem Kreuz und der die Weltkugel umwindenden Schlange. Die Füllungen der zum da- hinterliegcnden Archiv fübrenden Tür baben eingelegte Arbeit aus verschiedenen Hölzern und stellen beide Male eine mittelalterliche Architektur dar, wie wir sie ähnlich auf Holzschnitten Dürers und anderer Meister finden. Figuren fehlen völlig, doch sind im Hinter gründe vier Kircken sichtbar.