Volltext Seite (XML)
Das,viiistertor Ein altes malerisches Tor in wunderbarer Stimmung »nd Um gebung siebt vor uns. iUicbt ein gewaltiges Stadttor ist es, durch das der gotische Zogen führt, — nur ein Vorstadttor, das die O^ord- siadt oderiUiedersiadt, wie man sie nannte, den Bereich des ebemaligen Dorfes Görlitz, nach nutzen abschloß. Das älteste, schöne Bild unsres Tores zeigte sich uns bereits aus einem Bilde von 1565 (Seite 44) rechts der si^ikolaikircke — damals mit rundem Turme an der Dsiseite bewebrt, aber auch damals schon um schattet vor» boben Zäumen, die ihm ihren Reiz bis heute nickt versagt baben. War's dieselbe bobe Linde vomJabre 1565, die unser Zild umrabmt und bis vor kurzem die Freude aller Freunde dieses romantischen Tores »nd seiner Umgebung bedeutete? — Die 1606 ge pflanzte Mollcrlinde im benachbarten Friedbofe trotzt beute noch mit ihrer letzten, freilich schwächer werdenden Kraft Zeit und Sturm. Der alte webrbaste Turm ist dabitt, aber der srübere Zau ist dock iu seinem gotischen Tore geblieben, durch den manch ein ernster Zug sich nach grausiger Stätte von der Stadt ber bewegte. Es war das Geleite der „Armen Sünder", das hier seinen Weg zum Galgen nahm — in früherer Zeit nach der Höbe über der „Goldgrube" an der jetzigen Rotbenbnrger Straße, die den bezeichnende»» Rainen „Galgengasse" trug, — später bis «ach dem Acker rechts hinter ihren letzten Häusern. Die „Arme-Günder-Gasse", wie sie noch bis in die Neuzeit hinein zum Leidwesen ihrer Zewobner geheißen bat, führte diese schauder erregende»» Züge, die doch damals dem daran gewöhnte»» Görlitzer Abwechselung und gruseligenSinnenkitzel boten, durchs düstre Finster tor dem Galgen mit seiner wilden mittelalterlichen Poesie entgegen. Angelehnt ans Finstertor war die „Scharsrichterei", die den» Galgen- und Folterkundigen, dein Herrn über Henker, Folterknechte, Kerker meister und Abdecker, in seinem äußerst einträglichen Zeruse ein stilles Heim gab. Schon 1397 wird in Görlitz an einer Schars richterei gebaut, die im Jahre 1571 nach den, damals neu errichteten Gebäude am Finstertore verlegt wurde.—Der Besitzer dieses Grund stückes hat das Reckt, alles in der Stadt und der Stadt Dörfern ge fallene Rindvieh und Pferde an sich zu nehmen und zu seinem Vorteile zn verwenden. Das wurde landesherrlich anerkannt »rnd mit den» Grundstücke zugleich im Hypotbekenbncbe eingetragen. Auch diese Scharsrichterei bat mit der Zeit ihr Antlitz geändert. Ihr alter Dberban mit dein überhängenden Schindeldache ist einem freund licheren, wenn auch sicher nicht mehr so stimmungsvott düsteren Bilde gewichen, und der alte, schöne Zaum ist dahin. Ernst blicken seit etwa 18^0 die Mauer»» des neuen Friedhofes mit seinen Grüsten ans das alte Arme-Sünder-Gäßchen, das Galgentor, wie es zeitweise hieß, und die Sckarsrickterei herab und erhöben den eigenartigen Reiz, den unser freilich den» Verkehr völlig entlegenes Finstertor noch ans jeden ausgeübt bat, der seine düstere Wölbung durchschritt. Und seinen Ernst füllt mit Weihe die überragende sckicksalsreickc üUkolaikirche mit ihre»»» freundlichen Türmchen. So sind sie denn alle verschwunden, die stattlichen Tore, die einst der stolzen Stadt zur Wehr und zmn Schutze dienten, bis auf dies eine. Ist es nickt eigentümlich, daß grade das Tor, das bei den» letzten Gange zmn Galgen benutzt und daher sicherlich meistens gemieden wurde, jetzt als einzigstes der ehemals so großen Zahl geblieben ist? Allerdings habe»» »vir auch eine Erklärung dafür: Alle übrigen Tore lagen in belebterer Gegend, nnd dem wachsenden Verkehr sind sie ein Hindernis gewesen. i)rur dem Umstande, daß selten ein Wagen die schmale Straße bemrtzte und daß es so abgelegen von allem Leben nnd Treiben der erwachenden Stadt in stiller Einsamkeit dalag, hatte es das alte Tor zu verdanken, wenn es bei dem allgemeinen Abbruch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, bei dem so viel des Schönen oft nutz- und zwecklos verschwand, vergesse»» wnrdc.