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Zwischen den Toren Die Tore haben zu allen Zeiten ein großes baukünstlerisches Interesse llervorgerusen. Ihre Anlage geht auf uralte Anfänge zurück, hat aber erst in der römischen Kaiferzeit eine kunstvolle Ausbildung er fahren. Am bekanntesten ist die Aurelianische Mauer in Rom aus dem dritten Jahrhundert, die in Abständen von 25 bis 30 Meter durch Türme verstärkt war, auf der Innenseite einen gewölbten Webrgang hatte und von 14 Toren durchbrochen wurde. Diese römi schen Tore bestanden ans einem äußern durcb ein Fallgatter, und einem innern durcb eine eisenbeschlagene Tür verscblossenen Torwege, der ins Innere führte. Die Toröffnungen wurden von zwei im Halbkreise hervorragenden Türmen flankiert, Anlagen, wie sie uns ans Deutsch land besonders von der ?oi tu ni^ru in Trier bekannt sind. Das deutsche Mittelalter hat sich im ganzen und im einzelnen die römischen Vorbilder zmn Muster genommen, und das so bekannte Holstentoc in Lübeck von 1376 gibt ihren Stil in klarer Weise wieder. Die näbere Betracbtung unsrer Görlitzer Tore führt zu ähnlichen Vergleichen, und, ganz abgeseben von der Einteilung der Tore in äußeres und inneres und ihren Fallgatterverschlnß, sehen wir mm auch an unserm Frauentore ganz ausfällig und deutlich das Bestreben, die alten zwei im Halbkreise bervorragenden Türme in die Erscheinung treten zu lassen — hier wenigstens rechts und links des Eingangstores fast bis zur Dachhöhe (S. 51). Diese Form war uicht vereinzelt, und das Stadttor in Hainburg (Niederösterreich) gleicht in dieser Be ziehung neben andern dem unsrigen aufs Haar. Die Anlage zweier Tore sollte natürlich die Festigkeit erhöhen, und der Raum zwischen beiden wurde, wie wir das bereits bei den Flügel mauern des Kaisertrutzes fallen, durch Wehrgänge für zäheste Ver teidigung des zweiten Tores vorbereitet. Ein Musterbild solcher starken Zwischenbesestignng zwischen den Toren sehen wir hier an unserm Frauentore vor uns — zwar in Kleinig keiten, dem Durchbruch einer neuen Pforte und Anbau von Häusern im Zwinger, geändert, im ganzen aber gewiß ein getreues Abbild ältester Zeit. Von der Steinstraße aus öffnet sich das einst mit eisenbescklagenem Flügel stark bewehrte Innentor, durch das wir die Ecke des Nagel- schmiedhäuschens, den untersten Teil des Ehors der Annenkapelle und das Röslersche Haus erblicken. Die mächtige Innenmauer zeigt über dem Tore Schießscharten, um auch von hier aus in der Stunde der Gefallr jeden cindringenden Feind im Bunde mit den Verteidigern der Wehrgänge von drei Seiten unter wirksamstes Feuer zu nehmen. Der Webrgang selbst, in Holzbau mit Ziegeldach auf der massiven Untermauer hergestellt, bietet ausgiebigen Raum in acht großen Fensterluken für eine Menge von Kämpfern. Ein gewaltiges abgestuftes Tor öffnet sich nach dem Zwinger, meist ebenfalls wohlverwahrt, aber zur Stunde der Not zu Ausfällen der Belagerten geeignet. Die neuere friedliche Zeit hat daneben ein ver schwiegenes Pförtcheu in das dahinter angebautc Halis gebrochen. Ein Schild, ans dem Flaschen und Gläser in typischer Form zum Ge brauche im Innern einladen, trägt den Namen G. Brander. Und dieser Brander war der glückliclleInhaber eines „öffentlichen Brandt- Wein-Schenk-Hauses". — Zwischen der Annenkapelle, deren Dach sich über Innenmaner und Branntweinschank erhebt, und dem Graben, also dort, wo jetzt der Vorgarten der Annenkapelle und der anstoßenden Scllule liegt, stand in den letzten Lebensjahren des Tores auch eine Sckmle, zu der das kleine Pförtcheu im großen Tore nach den» Zwinger den Eingang bildete. Ihr Giebel schaut links über die Mauer. — Unser Bild ent stammt dem Jahre 1830.