Volltext Seite (XML)
Reichenbacher Turm und Kaisertrutz Kaum eine andre Stadt nnsres Vaterlandes vermag ein solches Bild aufzuweisen wie das unsrer alten Görlitzer Waffenbrüder, des Reichenbacher Torturins mit seiner alten „Pastei", dem Kaisertrutz. Der eine in seinen Abstufungen und blinkränzungen mit Pecknasen und Webrgängen, mit seiner zwar jüngeren, aber dock anmutigen Haube eine scklank aufragende berrlicke Gestalt, der andre in seiner massigen Anlage wie eine gepanzerte drobende staust, die fick aus dein Mauerringe heraus dem Feinde trotzig entgegenstreckt. Beide baben die Anfänge unsrer Stadt nickt geseben. Erst die Stadt erweiterung unter Otto III. von Brandenburg um 125.-; hat die „Neustadt", deren Mittelpunkt der Obermarkt bildete, und für ibren Schutz im Westen das Reichenbacher Tor neu geschaffen. Sein Turm, der bereits 154.5 im Görlitzer Stadtbucke erwäbnt wird, war zuerst niedriger, wurde aber — wie vieles andere an dem Mauer ring — der Hussitengefahr wegen 1419 und 1452 stärker befestigt und 148.5 in dec Weise böber und ansebnlicker anSgebaut, wie wir ibn im wesentlicken bcnte vor uns baben: „die Perle der scklesifcken Türme und einen der prächtigsten in Deutschland überhaupt." Ans der Außenseite batte er ein Fallgatter, das zwar beute vermauert, aber an seiner von Sandsteinqnadern eingefaßten Rundbogemüscke nock erkennbar ist. Oer Turm selbst ist unten geviertförmig. Am Ilbergange zum oberen Rundbau befindet fick in ungefährer Acktecks- form ein mannshober Wehrgang, dessen Auskragung in der Mitte der Hauptfeiten durck dreifache Steinbalken erfolgt ist. Dieser Wehr gang ist, ivie die obere scköne Gürtung, von einem wirkungsvollen, nack unten offenen Rundbogensriese abgescklofsen. Aus den Luken des Webrganges konnte gesckofsen und siedendes Peck (daker der Name „Pecknasen") ans die Angreifer geschüttet werden. Der oberste Teil batte früber ein anderes Ausseben. Sein Dach bildete ein kohes, spitziges, pvramidenäbnlickes Sparrwerk, das mit Kupfer gedeckt war. Zwischen ihm und dem Pultdacke des obere« erkerartigeu Umganges war eine Laterne, die oben mit „sieben Türm lein" verziert war, eine Gestalt, die uns Metzker-Scharfenberg 156-5 im Bilde klar erbalten hat (Seite 45). Bei der Belagerung der Schweden in Görlitz im Zabre 1641 batte der Kurfürst Zobann Georg von Sacksen die Absicht, den Turm zu fällen und mit seinem Schutt den Graben für den Sturm auszufülleu. Er wurde daber stark durcklöckert. Der Sturm unterblieb, aber der Turm stand mit seinen sckweren Wunden bis zur Ausbesserung im Iabre 1652, bei der freilich die „sieben Türmlein" weggenommeu und der Erker mit Ziegeln gedeckt wurde. 1781 wurde die Bekrönung wegen Bau fälligkeit abgetragen und dnrck die jetzige Haube ersetzt. Sein 1856 zmn Tode verurteilter Kriegskamerad, der Neißturm, vermackte unserm Turme feinen Turmknopf, feine Wetterfabne und seine 10 Zentner sckwere Glocke, welcke die ältere vom Türmcken der Annenkapelle stammende Glocke ablöste (vgl. G. 57). Da Görlitz bier auf feiner Westseite durck das Gelände weniger als im Osten und Norden gesckützt war, entfckloß man srck unter dem Drucke der steten Kriegsgefahren, Mauern und Stadt nock durck ein gewaltiges Bollwerk zu schützen, an dem mit Unterbrechungen von i4t)" bis 154 r gebaut wurde. Auf dem Platze, der früber so tief ivie die untern Radeläuben war, standen etliche Scheunen, die mau abbrack, den Graben zuerst eintiefte, ibn mit einer runden Maner stützte und diese von außen dnrck Anschüttungen vcrdämmte. Dann begann der eigentliche Ban. Alle nnd jeder Bürger der Stadt ivie die Bauern aus den Stadt dörfern mußten mindestens einen Tag dabei helfen, wobei die Rat mannen den Anfang machten. Wie groß mußten die Gefahren sein, die den Görlitzern drohten, wie groß aber auch der kühne Abwebreutsebluß und die Mittel der Stadt!