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188 — Polen hatten sich Napoleon angeschlossen, weil sie hofften, daß er ihr Vater land wieder befreien werde. Am 14. trafen die ersten dieser Truppen vor dem Böhmischen Tore ein, Ulanen, Jäger mit großen Bärmühen und Infanterie. Mit Ianitscharenmusik zogen sie durch die Stadt. Immer mehr folgten nun in den nächsten Tagen, atle Dörfer ringsum wurden mit Soldaten belegt. Am 1b. kam der Oberbefehlshaber Fürst Poniatowski mit Gefolge hier an. Er nahm seine Wohnung in der Webergasse (Nr. 12). Der Anblick der prächtig rot gekleideten polnischen Magnaten wie der vielen Soldaten verschiedenster Gattung in bunten und oft seltsamen Uniformen lockte zahlreiche Zuschauer an. Besonders fesselnde Schauspiele aber boten von nun an die Paraden (z. B. am 31. 6. bei der Reisigmühle), die Manöver der Kavallerie bei Kleinschönau und die Massenspeisungen von Soldaten auf der Schießwiese. Bei einer solchen (am 30. Juni) ward in 28 Kesseln gekocht, und es wurden 15 Kühe vertilgt. Außerdem gab es bisweilen noch besondere Festlichkeiten. So veranstaltete Poniatowski am 1. Juli in der „Sonne" einen Ball mit echter Polonaise, am 4. in der Klosterkirche eine feierliche Messe mit Gebet für Napoleon und den „Kerzog" August, am 1. August ein großes Schießwiesen- fest (wobei die besten Schützen an 6 Tafeln bewirket wurden) mit Tanz unter freiem Kimmel und am 10. eine Geburtstagsvorfeier für Napoleon mit Koch amt, Kanonenschießen (101 Schuß), Speisung der Offiziere und Stadtvertreter, Illumination und Musik (vom Iohannisturm i). Weitaus das wichtigste Ereignis jener Tage aber war das Eintreffen des Kaisers Napoleon in Zittau. In der Nacht vom 10. zum 11. August trugen von Berg zu Berg auf lohende Flammenzeichen ins Kauptquartier der Verbündeten in Schlesien die Kunde, daß Österreich auf ihre Seite getreten sei. Jetzt glaubte der Kaiser, daß die österreichische Kauptarmee über Gabel nach Zittau vordringen wolle, um ihm in Schlesien in den Rücken zu fallen. Um das zu verhindern, wollte er ihr in unserer Gegend eine große Schlacht liefern, zu welchem Zweck die Polen hierher vorausgeschickt worden waren. Diese hatten am 17. August bei Eckartsberg ein Lager bezogen und ihr Führer im Milchgut Quartier genommen. Napoleon plante nun einen Einfall in Böhmen und wollte zugleich dabei zu erfahren suchen, ob seine Vermutungen sich bestätigten. Am 19. August 1813, vormittags 10 Uhr, erschien er deshalb plötzlich in Zittau. In aller Eile hatte man am Frauentor eine Ehrenpforte errichtet mit der Inschrift „Ialve Laebar (Sei gegrüßt, Kaiser)!" Dort empfingen ihn die Stadtbehörden und die Bürgerwehr. Vom Johannisturm herab ertönte feierlicher Schall der Trompeten und Pauken. Unter dem Geläute aller Glocken hielt der berühmte Mann in Zittau seinen Einzug. Er fuhr in einem von 6 Pferden gezogenen Wagen. Sein Schwager, der König Murat von Neapel, sowie viele hohe Offiziere begleiteten ihn. In der Wohnung des Bürgermeisters Just (Nr. 13 am Markts kehrte der Kaiser ein. Eine neugierige Menge sammelte sich sogleich vor dem Kaufe an und sah ihn wiederholt am Fenster stehen. >) Die noch nicht vollendete Iohanniskirche wurde in jener Zeit öfters als Pferde- ftall benutzt. Napoleons Geburtslag feierte man 5 Tage früher, weil der Ausbruch von Feindseligkeiten nahe beoorstand. 2) In demselben Kaufe hatten auch einmal Wohnung genommen die Kaiser Maximilian II., Rudolf II., Ferdinand II. sowie der Kurfürst August der Starke.