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Elektrotechnische Rundschau — Polytechnische Rundschau — Beilage zu Heft 19 vom 1. Juli 1904. 12. Jahresversammlung des Verbandes Deutscher Elektrotechniker. E. V. (Spezialbericht für die „Elektrotechnische Rundschau“). Kassel, 26. Juni. Die 12. Jahresversammlung des Verbandes deutscher Elektrotechniker wurde am 23. d. Mts. durch Vorstands und Aussehußsitzungen und durch einen von der Stadt Kassel ver anstalteten Begrüßungsabend eingeleitet. Zu der Hauptversammlung, welche am folgenden Tage begann, hatten sich ca. 250 Teilnehmer aus allen Gegenden Deutschlands eingefunden. Als Ehrengäste wohnten bei: Oberpräsidentv. Windheim, Oberbürgermeister Müller, Oberpostdirektor Geh. Rat Hoffmann, ferner als Vertreter der Universitäten.])!ar burg und Göttingen die Professoren Ri cha r tz und Nernst. Die Verhandlungen leitete der Vorsitzende Geh. Rat Dr. Ulbricht-Dresden, welcher in seiner Eröffnungsansprache einen Rückblick auf die gewaltige Entwicklung der Elektrotechnik und die Tätigkeit des Verbandes warf. Man sei jetzt in eine Periode des inneren Ausbaues getreten und in diesem Sinne wolle man in Kassel an die Arbeit gehen. Nach Begrüßungsansprachen der genannten staatlichen, städtischen und Universitätsvertreter erstattete General sekretär Kapp-Berlin den Jahresbericht. Danach gehören dem Verbände an: Eigene Mitglieder 166, Elektro technischer Verein 1691, Elektrotechnischer Verein Aachen 34, Dresdener Elektrotechnischer Verein 156, Elektrotechnische Gesell schaft zu Frankfurt a. M. 178, Hannoverscher Elektrotechniker- Verein 170, Elektrotechnischer Verein Karlsruhe 140, Elektrotech nischer Verein Kiel 32, Elektrotechnische Gesellschaft Leipzig 108, Elektrotechnischer Verein Leipzig 103, Elektrotechnischer Verein Magdeburg 24, Elektrotechnischer Verein Mannheim-Ludwigshafen 57, Elektrotechnischer Verein München 117, Elektrotechnischer Verein des Rheinisch-Westfälischen Industriebezirks 223, Württembergischer Elektrotechnischer Verein 123, zusammen 3421 Mitglieder gegen 3258 im Vorjahre. Das Verzeichnis der Aktiven und Passiven zeigt einen Bar bestand von 3073,82 M.; der Utensilienbuchwert ist 1481 M., der Kurswert der Effekten war am 14. Juni 134 889,90 M. und 1847 M. sind Außenstände. Die aus Gutachten der Verbandskasse zugeflossenen Einnahmen betragen 20 412 M. und der aus dem Reingewinn der „E. T. Z. u dem Verbände zukommende Anteil beträgt 16 923,38 M. Außer dieser Einnahmequelle ist der Verband auch an dem Rein gewinn einiger anderer, bei der Firma Julius Springer erscheinenden Veröffentlichungen beteiligt. Die Einnahme daraus beträgt 2404,74 M. Im Vergleich mit dem Vorjahre hat sich das Vermögen des Ver bandes um 6131,56 M. vermehrt. Die Si eher heits komm i ss i o n des Verbandes hat alle bis zum letzten Jahre vom Verbände aufgestellten Vorschriften, Normalien und Leitsätze in einem Bande zusammengefaßt herausgegeben, Bahn vorschriften ausgearbeitet und die Hoeh- und Niederspannungsvor schriften einer Revision unterzogen. Die Hyst er e s i skom mi ss i o n hat sich mit der Frage des Alterns beschäftigt, die s. Zt. in tech nischen Kreisen so viel Besorgnis erregt hat. Nachdem Berichte dieser Kommission besteht diese Besorgnis bei den heutigen Fabrikations methoden der Bleche kaum mehr. Die Kommission für In stallationsmaterial hat Normalien für Stöpselsicherungen unter Beibehaltung der Längenabstufung von 2 zu 2 Millimeter ausgearbeitet. Die Draht und Kabelkommission hat sich gemeinschaftlich mit der Vereinigung der Elektrizitätswerke mit der Frage der Belastungs grenze von im Erdboden verlegten Kabeln beschäftigt. Zur Frage einer behördlicherseits vorgeschriebenen Revision elektrischer Anlagen hat die Sicherheitskommission an die XII. Kommission des Abgeordnetenhauses eine Eingabe gerichtet, in welcher ausgeführt wurde, daß 1. die Sicherheitsvorschriften des Verbandes als Grund lage für die Ueberwachung zu nehmen seien und 2. die Ueberwaehung selbst nicht von beliebigen Polizeiorganen, sondern von sachverständigen Elektrotechnikern auszuüben ist. Eine Umfrage bei Vereinen und Firmen zur Sammlung von Material für eine elektrische Unfallstatistik hat ergeben, daß im Vergleiche mit der enormen Ausdehnung der elek trischen Betriebe im Deutschen Reiche die Anzahl der Unfälle eine äußerst geringe ist. Nach einer amtlichen Statistik des Rheinisch- Westfälischen Industriebezirks ergaben sich für den Zeitraum von 1895—1900 insgesamt nur 53, wovon 23 tötlich waren. Einer Einladung des Präsidenten des internationalen Elektriker kongresses in St. Louis, der Verband möge Vertreter zu diesem Kongresse entsenden ist nicht Folge gegeben worden. Die deutschen Elektrotechniker können den wahrscheinlich in St. Louis zur An nahme kommenden Vorschlägen über Festsetzung neuer Einheiten und Benennungen nicht zustimmen, deren Annahme aber auch nicht verhindern und bleiben daher ganz fern. Die Berichte und Beschlüsse der Kommissionen wurden der Versammlung zur Kenntnisnahme bezw. Genehmigung unterbreitet und nach kurzer Debatte beschlossen, das Mandat der Kommissionen um ein Jahr zu verlängern. In der Nachmittagssitzung folgte ein Vortrag des Herrn Dr. F i ck - Berlin über: „Die Notwendigkeit eines Starkstromwegegesetzes.“ Redner führte aus: Die deutsche Gesetzgebung hat den neuen Erscheinungen gegenüber, die die wachsende Bedeutung der Elek trizität auf fast allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens hervor gerufen hat, eine weise Zurückhaltung beobachtet und es ist nicht mit Unrecht hervorgehoben worden, daß die deutsche elektrische Industrie gerade infolge dieser Reserve sich frei und ungehindert entfalten konnte. Für die Starkstromanlagen aber verlange die Elektrotechnik diejenige Freizügigkeit, die nicht nur im Interesse der Entwickelung der Elektrizitätsindustrie, sondern im Interesse des Gemeinwohls gefordert werden muß, wenn die großen Errungen schaften der Neuzeit, die Uebertragung von Energie durch den elektrischen Strom zum Gemeingut werden und das ganze wirt schaftliche Leben befruchten soll. Analog wie im Telegraphen- wegegesetz für die staatlichen Telegraphenanlagen, bei denen die Energieübertragung nur Mittel zum Zwecke ist, die Freizügigkeit gewährleistet wird, ist diese auch für die Starkstromanlagen zu fordern, wo die Energie nur um ihrer selbst Willen transportiert wird, als eines der wichtigsten Verkehrsgüter, das durch die moderne Entwickelung immer mehr wirtschaftliche Selbständigkeit gewinnt. Es ist doch geradezu ein unhaltbarer Zustand, daß bei der heutigen Rechtslage es unter Umständen von der Laune eines einzigen, eigensinnigen Grundbesitzers abhängt, ob eine Gemeinde mit elek trischer Energie von einer Zentrale aus versorgt werden kann. Zum Nachteil der Verkehrssicherheit werden die Ortsstraßen nur spärlich von trübem Oellicht erhellt; Schmiede, Schreiner, Schlosser, Glaser kommen durch den Mangel einer geeigneten Betriebskraft in ihren Verhältnissen zurück. Hunderte behelfen sich mit Kerzen und Lampen, wo elektrische Beleuchtung schon heute vorhanden sein könnte, wenn nicht — irgendwo die projektierte Leitung auf den Widerspruch eines halsstarrigen Grundbesitzers stieße, der entweder den Durchgang überhaupt verbietet, oder exorbitante Forderungen stellt, an denen die ganze Saehe scheitert. Erst wenn die Frei zügigkeit der elektrischen Leitungen von der Gesetzgebung im Prinzip anerkannt ist, kann sich der Unternehmungsgeist der elektrischen Industrie im Ausbau großer Werke für ganze Distrikte frei entfalten, erst dann findet der Gemeinsinn von Ortschaften und Korporationen freie Bahn für die Erstellung von Werken, bei denen die Energie nicht künstlich durch eine unnatürliche Hinaufschraubung der Anlagekosten verteuert wird. Es wird Niemand bestreiten, so schloß der Redner, daß die Beseitigung der jetzt vorhandenen Schranken der Industrie einen mächtigen Impuls geben müßte und ich hoffe, daß der einflußreiche Verband deutscher Elektrotechniker in jeder Weise versuchen wird, den Erlaß eines Starkstromweg gesetzes zu fördern. In der Sonnabendsitzung wurden Statutenänderungen genehmigt und zum Vorsitzenden für die nächsten zwei Jahre