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elektrotechnische Rundschau Zeitschrift für Abonnements werden von allen Buchhandlungen und Postanstalten zum Preise von Mk. 4.— halbjährl., Mk. 8 — ganzjährl., angenommen. — Polytechnische Rundschau — die Gesamt=Interessen der elektrischen Industrie. Verlag von: G. L. DAUBE & Co., Frankfurt a. M. Expedition: Frankfurt a. M., Kaiserstrasse 10. Fernsprechstelle No. 586. Redaktion: Fr. Liebetanz, Düsseldorf, Herderstr. 10. Erscheint am 1. und 15. jeden Monats. — Inserate nehmen ausser der Expedition in Frank furt a. M. sämtliche Annoncen-Expe ditionen und Buchhandlungen entgegen. Insertions-Preis: pro 4-gespaltene Petitzeile 30 ^. Berechnung für V,, */,, V 4 und '/ 8 Seite nach Spezialtarii. XXI. Jahrgang. Frankfurt a. M., den 15. April 1904. Heft 14 Alle für die Redaktion bestimmten Zuschriften werden erbeten unter der Adresse: Redaktion der ,,Elektrotechnischen Rundschau“, Düsseldorf, Herderstr. IO Beiträge für den elektrotechnischen und polytechnischen Teil sind willkommen und werden gut honoriert. Umschau in Industrie und Technik. Seit 1899 die wirtschaftliche Krisis begann und ihre Schatten auf sämtliche europäische Industriestaaten warf, trat eine Erscheinung auf, die in ihrer bisherigen Entwicklung zu den ernstesten Bedenken herausfordert. Die in keinem Verhältnisse zu dem Bedarf stehende große Zahl der Besucher der technischen Hoch- und Mittelschulen, die steigende Ueb e rp r o d uk t i o n an Ingenieuren und Tech nikern hat fast beängstigende Dimensionen angenommen mid läßt es als eine Notwendigkeit erscheinen, der Frage ständige Beachtung zu widmen. Der Wege, welche man in der Regel zur vermeintlich radikalen Abhilfe derartiger Zustände vorschlägt, sind es zwei: Warnung vor dem Ergreifen eines technischen Berufes und der Rat, ins Ausland zu gehen. Beide sind u. E. nur bedingungsweise richtig, der erstere noch weniger, wie der letztere. Denn die Warnung vor dem Er greifen bestimmter Berufe ertönt von Zeit zu Zeit aus allen Zweigen der Erwerbstätigkeit; man warnt vor dem Einschlagen der meisten Beamtenlaufbahnen, wegen Ueberfüllurg fast aller Fächer, man warnt vor der Landwirtschaft aus dem gleichen Grunde und wegen der schlechten pekuniären Aussichten der Angestellten, man warnt vor der Offizierskarriere wegen der ungünstigen Avancementsverhältnisse, man warnt vor dem Studium der Rechtswissenschaft, das geistliche Fach ist überfüllt, viele Jahre muß der Kandidat auf eine provi sorische Anstellung warten, die Aerzte führen einen erbitterten Kampf ums Dasein, nicht minder die Rechtsanwälte — was sollen unsere Söhne also werden ? Nach welcher Richtung sollen sie sich wenden, welcher Weg führt sie am sichersten zu einem Ziele, das sie be friedigt? Die bisher hinsichtlich des Andranges am besten gestellten Berufe, die Oberlehrer, die Kriegs- und Handelsmarine beginnen be reits an der gleichen Kalamität wie die übrigen zu leiden. Von der Küustlerlaufbahn soll ganz geschwiegen werden. Und Handwerker? Gewiss, es geht das alte Wort von dessen goldnem Boden und daß es seinen Mann nährt, aber, und es ist ein gewichtiges Aber, vermag das Handwerk wirklich alles das zu halten, was es in obigen Worten verspricht? Uns scheint das nicht der Fall zu sein, denn die Scheu, ein lohnendes Handwerk zu er greifen ist heute nicht mehr so groß, als daß man es nicht frischweg tun würde, wenn eine gesicherte, den Verhältnissen entsprechend auskömmliche Existenz wahrscheinlicher wäre, wie in anderen tech nischen Berufen. Vor der schwieligen Hand sehreckt jetzt nur noch der mit veralteter Eitelkeit Behaftete zurück und tausende Hand werksmeister genießen ein größeres Ansehen, haben einen wesentlich größeren Geschäftsbetrieb, wie sehr viel kleine Fabrikanten, deren Lehrjahre auf der technischen Hoch- oder Mittelschule begannen. Was jedoch trotzdem nur wenige junge Leute der besseren Kreise und mit genügender Vorbildung in das Handwerk eintreten läßt, ist der Umstand, daß die Konkurrenz nirgends so groß ist, nirgends so wenig kalkulatorisch, nirgends so bis ins kleinste getrieben wird, wie im Handwerk. Man muß bedenken, daß unzählige Handwerksmeister mit Mühe und Not gerade das Nötigste zum Leben verdienen, viel schlechter leben müssen, wie die meisten Fabrikarbeiter, aber dennoch immer und immer hoffen, doch noch auf einen recht grünen Zweig zu kommen. Man sucht Kunden durch die niedrigsten Preise zu er langen, es herrscht ein wildes, planloses Unterbieten, unbedacht, daß man sich selbst das Grab gräbt, in das die eigene, mühsam aufge baute Existenz trümmerhaft hinein stürzen muß. Diejenigen Handwerksmeister, welche es trotzalledem verstanden, Erfolge um Erfolge zu erringen und zu den obersten Zehntausend ihres Standes empor zu dringen, sie stellen nicht mehr im Handwerk selbst, sondern auf jenem breiten Gebiete, dessen Titel „Handwerk oder Fabrik“ zu den vielumstrittensten des Wirtschaftslebens gehört. Es ist jenes Gebiet, welches den Uebergang vom Handwerk zur In dustrie bildet und je nachdem man mehr rechts oder links steht, wird man zu der einen oder dem anderen gezählt. Und die eine ganz besondere Art des Handwerksbetriebes darstellenden Installateure neigen am ausgesprochenstem diesem Gebiete von Anfang an zu, denn welcher Unterschied besteht zwischen einem Ingenieur-Bureau oder einem sogenannten Technischen Bureau, dessen Inhaber wissen schaftlich gebildete Ingenieure sind und einem modernen großen In stallationsbureau, dessen Inhaber ein aus dem Handwerkerstande hervorgegangener Installateur ist, der sich aber ein, zwei und mehr Ingenieure und Techniker hält? Es ist also keineswegs die Scheu, ein Handwerk zu lernen, welche die meisten jungen Leute der besseren Kreise hiervon fernhält, sondern die Einsicht, daß man sich selbst nur einen schwereren, längeren Kampf aufbürden würde, wenn man, wie man zu sagen pflegt „Von der Picke auf dient“. Die es dennoch tun, sind sehr zu achten und große Anerkennung verdienen die, welche unter Ueber- windung zahlloser Mühsale unentwegt vorwärts streben und, was die Hauptsache ist, auch vorwärts kommen. Mit diesen Ausführungen soll aber keineswegs gesagt werden, daß unbedingt jeder „höhere“ Sohn studieren muß, daß er unter allen Umständen eine höhere Laufbahn einschlagen soll. Wenn er es aber tut, dann soll es ganz getan werden und hier scheint der Punkt zu liegen, über den man vor dem Erlaß aller Warnungen hinweg sieht. Wirklich tüchtige Kräfte finden früher oder später immer ihre Rechnung, entsprechende Stellungen oder hei Selbständigkeit ein gutes Fortkommen und befriedigende Entwicklung ihres Unter nehmens. Daß der hier in Betracht zu ziehende Prozentsatz aber kein großer ist, liegt eben an der mangelhaften Ausbildung sehr vieler jungen Leute. Die Universitätsbummeleien sind ja eine stehende Klage, sie sind in der Regel die Quelle, aus der das wissen schaftliche Proletariat strömt, welches das Ansehen der Wissenschaft schädigt und herabwürdigt. Und die technischen Bildungsanstalten bieten, wenn auch in geringerem Umfange, gleichfalls Gelegenheit, vor dem Eintritt in die Arena des Lebens noch einmal die köstliche Ungebundenheit und Sorglosigkeit der Jugend zu genießen. Daß hierbei viele minder starke Charaktere das gesteckte Ziel aus dem Auge verlieren, ist erklärlich. Es geht ein Jahr nach dem andern um, und wenn der entscheidende Augenblick naht, wird Tag und Nacht alles Versäumte nachzuholen gesucht und schließlich mit Ach und Krach das Examen bestanden. Welcher Art die Kenntnisse sind, welche solche Ingenieure nun zu bieten haben, braucht nicht erörtert zu werden. Ihre anfangs noch hochgeschraubten Hoffnungen sinken bei den Mißerfolgen in der Praxis immer mehr und das Ende ist ein fortdauerndes Herunter gehen mit den Gehaltsansprüehen und damit verbundene Verelen dung der Existenz. Ist der Betreffende erst auf diesem Standpunkte angelangt, so ist es überaus schwer, wieder mehr nach oben zu dringen und in glatteres Fahrwasser zu kommen. Zu dieser Ursache vieler Entgleisungen kommt noch eine andere, die leider wenig beachtet wird: die Einseitigkeit der Aus bildung. Hat ein an und für sich tüchtiger Mann eine gute Stellung gefunden, so wird er zwar bestrebt sein, sich darin durch Verwertung aller seiner Kenntnisse und Erfahrungen so gut als möglich zu be festigen, sein Blick wird aber nur selten über seinen Wirkungskreis weit hinaus gehen, er wird sich tunlichst spezialisieren und auf seinem Gebiete Hervorragendes leisten, immer im Vertrauen auf die Sicher heit seiner Stellung. Da — eines Tages verliert er sie aus irgend einem Grunde, sein Ruf ist begründet und dennoch gelingt es ihm nicht in den Spezialfabriken ein neues Unterkommen zu finden, er besitzt einen Schatz, den er, vorläufig wenigstens nicht verwerten kann, während er ihm auf anderen Gebieten angebotene Stellungen nicht annehmen kann, weil er ihnen nicht gewachsen zu sein glaubt. Solche Fälle sind nicht all zu selten. Eine zu große Vielseitigkeit ist natürlich ebenso schädlich, wie eine zu ausgeprägte Einseitigkeit und die Frage muß individuell behandelt werden, um sie voll kommen zu lösen. Wo die Grenzen in beiden Richtungen gesteckt sind, kann nur von Fall zu Fall bestimmt werden, ein jeder muß sie mit seinen Fähigkeiten abzumessen verstehen. Eine fernere und zwar sehr gewichtige Ursache des auch im Ingenieurstande unzweifelhaft vorhandenen Notstandes, ist die fast vollständige Vernachlässigung einer auch nur teilweise genügenden wirtschaftlichen Ausbildung der Ingenieure und Techniker. Man glaubt, wenn man sich den Kopf fleißig mit allen technischen Kenntnissen vollgepfropft hat, wird man schon vor wärts kommen. Zu spät sieht man ein, daß man als tüchtiger