Volltext Seite (XML)
Beilage m Rr. 58 -es „Amts- und Ameigeblattes". Eibenstock, den 16. Mai 1891. Ein verhängnißvoller Schnitt. Criminal-Erzählung aus dem Postleben von Th. Schmidt. (Fortsetzung und Schluß.) Er verband sich, so gut es ging den Arm, dann begab er sich zum Untersuchungsrichter. „Sie sind ja zum Aufklären dunkler Geschichten ebenso fähig wie mancher treffliche Geheimpolizist, Herr Linde! Tausend und noch einmal, wie haben Sie es denn angestellt, den Burschen zu fangen?" rief der Richter, nachdem er Linde's Bericht an gehört. „Mein Geheimniß, Herr Rath!" entgegnete Linde lachend. „Aufklärung später!... Doch entschuldigen Sie meine Wißbegierde. Ich möchte nun einmal erfahren, wie Hecht und Frank es angefangen haben, das Stückchen so fein durchzuspielen, daß Niemand ihnen bis heute etwas beweisen konnte. Hier, Herr Rath, ist die Brieftasche. . . wollen Sie bitte nicht einmal nachsehen, was noch von den gestohlenen Banknoten darin ist!" Der Untersuchungsrichter nahm die Brieftasche in Empfang und öffnete dieselbe sofort, da er selbst nicht wenig darauf gespannt war, nähere Aufschlüsse über das Verbrechen zu erhalten. „Siehe da," sagte Linde, „Eintausend dreihundert Mark! . . . Sie scheinen demnach brüderlich getheilt zu haben. Zweihundert Mark hat somit Hecht schon ausgegcben ... Dieser Einhundert-Markschein gehört noch dazu," bemerkte er weiter, indem er die Bank note, die er von Polter erhalten hatte, zu den anderen legte. „Der ist wohl Ihr Talisman gewesen, Herr Linde?" äußerte der Untersuchungsrichter. „Getroffen, Herr Justizrath! Doch nun bitte ich, Hecht zu verhören, mein Arm schmerzt mich jetzt doch ein wenig . . . wäre es nicht besser, wenn Hecht mich hier nicht sähe? Der Bursche wird mir den Triumph nicht gönnen, ihn seine Sünden bekennen zu hören, und wird in meiner Gegenwart Alles leugnen oder doch verdrehen . . . deshalb erlauben Sie mir wohl, daß ich hinter den großen Ofenschirm trete, wo ich völlig unsichtbar für ihn bin." „Sie haben Recht!" stimmte ihm der Untersuch ungsrichter bei. „Doch . . . apropos! . . sehen Sie sich einmal die Depesche aus W. von dem Schwur gerichts-Präsidenten an!" Linde las dieselbe und gab sie dann dem Richter zurück. „Konnte mir das denken!" meinte er. „Nun, die Antwort, die wir ihm übersenden, wird hoffentlich genügen. Wenn man sie nur vor Verkündigung des Urtheils an Ort und Stelle gelangen lassen könnte! Es würde dadurch meinem Freunde und auch den anderen Herren ein großer Schmerz erspart. Ver- nrtheilt würde ja sonst Bäumer doch sicher." „Ja, ja, Herr Linde!" bemerkte der Untersuchungs richter, „vielleicht ist er es schon in dieser Stunde." Linde trat hinter den Ofenschirm und der Ge fangene wurde hereingeführt. Der Richter machte ihn darauf aufmerksam, daß seine Strafe dadurch bedeutend verschärft werden würde, sofern er auch nur etwas verschwiege. Dies einschend und erkennend, daß nun doch Alles für ihn verloren sei, legte Hecht ohne Sträuben ein umfassendes Geständniß ab. Hiernach hatten Frank und er schon seit Langem die Absicht, nach Amerika auszuwandern. Da es aber beiden Auswanderungslnstigen an Geld hierzu fehlte, so beschlossen sie, sich auf gewaltsame Weise die Mittel zu verschaffen. Nach längerem Erwägen kamen sie dahin überein, daß man, da Hecht kein Geld von seinem Chef anvertraut wurde, einen Geld brief, welcher Frank zur Besorgung übergeben sei, öffnen und diese Manipulation so ausführen wolle, daß ein Postbeamter statt ihrer der Thal verdächtig erscheinen mußte. Frank brach dann scheinbar das freundschaftliche Verhältniß mit Hecht ab. Beide Gauner erfanden einen Plan, wonach man nur bittere Feindschaft zwischen ihnen vcrmuthen konnte. Man hörte nämlich eines Tages in einer Restauration, daß Beide sich Schimpfworte zuwarfen, ja sogar sich endlich einige Ohrfeigen applicirtcn. Sie hatten ganz richtig gerechnet, wenn sie annahmen, daß der Verdacht der Thäterschaft sich auch auf Hecht erstrecken würde, sobald sie in Freundschaft mit einander ver blieben; des Letzteren Wohnung war für den Zweck der Beraubung günstig nahe, aber auch in dem Falle, daß ihr Frcundschaftsbündniß fortbestehen blieb, äußerst verdächtigend für sic. Frank verschaffte sich etwa sechs Wochen vor der Thal einen Streifen Tele- gramm-Formular-Papier. Einen solchen fand er in dem Papierkorb seines Chefs. Bei Gelegenheit einer Geld erhebung am Postschalter ließ er sich dann ein Stück chen Packpapier von einem Postunterbeamten geben, um, wie er sagte, das erhaltene Silbergeld dahinein zu rollen, weil er seinen Geldbeutel vergessen habe. Um ganz sicher zu gehen, daß ein Einschnitt längs des schwarzen Striches auf dem Geld-Couvert nicht auffallen könnte, probirten sie es erst mit einigen anderen unbeschriebenen Couverts, in welche sie auch Papierfetzen hineinsteckten. Ganz überraschend gut gelang es. Die Eröffnung des Briefes mittelst des Einschnitts sollte Hecht in seiner Wohnung über nehmen, weil diese der Adensschen Fabrik am nächsten lag, also der Weg dahin am wenigsten Zeit bean spruchte. Es mußte Alles schnell und sicher gemacht werden, damit einerseits Frank noch vor acht Uhr Abends die Post erreichen, andererseits aber auch beweisen konnte, daß er von sieben bis ackt Uhr keine Zeit gefunden habe, den Brief zu eröffnen. Am sechsten September Abends, also vierundzwanzig Stunden vor der That, schlich Frank sich in gewohnter Weise in die Wohnung seines Freundes Hecht und theilte diesem mit, daß morgen Abend, also am siebenten September, eine für ihre Zwecke hinreichend große Summe Geldes von ihm, wie er von seinem Chef vernommen, zur Post geliefert würde. Er, Hecht, möge daher, wen» nicht schon vor, so doch spätestens um sieben Uhr in seiner Wohnung sein. Am nächsten Mittag, nachdem das Personal des Adens'schcn Ge schäftes das Comptoir verlassen hatte und nur Frank noch in demselben zurückgeblieben war, machte dieser sich an die Uhr und schob den Zeiger um zehn Minuten vor; auch seine eigene Uhr stellte er nach dieser neuen Zeitangabe. Dann richtete er im Laufe des Nachmittags es so ein, daß er eine Bestellung nach der Privatwohnung des Chefs zu machen hatte. Punkt sieben, nach der Uhr im Geschäft, verließ Frank das Comptoir und eilte von hier aus nach der Wohnung Hecht's. Dieser erwartete ihn schon. Er hatte vorsichtshalber kein Licht angcsteckt; als sein Freund eintrat, nahm er diesen bei der Hand, führte ihn in die Schlafkammer, verschloß die Thür und nun erst zündete er eine Lampe an. Das kleine Schlafgemach besaß kein Fenster, mithin konnte Nie mand gewahren, daß Jemand in vem erleuchteten Zimmer anwesend war. Trotzdem das Geschäft, in welchem Hecht engagirt war, erst um acht Uhr Abends schloß, konnte er es doch so einrichten, daß er sich auf kurze Zeit vor Schluß desselben freimachte, ohne Jemandem auffällig zu erscheinen. Er hatte nähmlich ein Waarcnlager in einem alleinstehenden Schuppen, der nicht direkt mit dem Hauptfabrikgebäude in Verbiudung stand, zu beauf sichtigen, und es passirte oft, wie man auch wußte, daß die jungen Leute des Geschäftes für einige Minuten sich entfernen, um in der nahen Gast- wirthschaft ein Glas Bier zu trinken. Hecht's Wohnung lag nur einige Minuten von der Fabrik entfernt. Wie der Untersuchungsrichter nach dem Vorfall am siebenten September durch Nachfrage in der Fabrik, in der Gastwirthschaft und in der Wohnung Hecht's erfuhr, war dieser zur angeblichen Stunde in der Fabrik nicht vermißt, in der Gast wirthschaft gewesen, um einige Seidel Bier zu trinken, hingegen in seiner Wohnung nicht gesehen worden. Alles traf sich soweit gut für beide Schlingel. Der „taube Seiler" war hinter dem Wohnhause in einem Stalle beschäftigt und konnte daher nicht ahnen, daß sein Miethsmann schon zu Hause war. Innerhalb einer Minute war der Brief von Hecht mit geübter Hand ausgeschnitten, der Inhalt demselben entnommen und dafür nach Gutdünken einige der von dem Post- Unterbeamten an Frank gegebenen Packpapierfetzcn nebst dem Telegramm-Formular-Abriß hineingelcgt. Mit einem Markenstreifen klebte Hecht dann von innen den Einschnitt in dem Couvert wieder zu. Jeder Räuber nahm dann die Hälfte des Raubes an sich. Darauf löschten sie das Licht. Frank ver ließ nun eiligst das Haus des Seilers und traf etwa fünf Minuten nach sieben Uhr — richtiger Zeitangabe in D. — vor der Thür der Adens'schen Fabrik wieder ein. Hecht verließ gleich nach Frank sein Zimmer nnd begab sich in die Gastwirthschaft unweit der Fabrik, in der er beschäftigt war. Dort trank er schnell einige Glas Bier, um bei späteren Nachfragen behaupten zu können, das er sich nur auf einige Minuten nach der Gastwirthschaft entfernt habe. Aus der Fabrik konnte er höchstens zehn Minuten abwesend gewesen sein, was dort Niemand aufgefallen war. Frank wollte, nachdem er des Seilers Haus verlassen hatte, noch einmal in das Comptoir seines Geschäft« gehen, da er in Wirk lichkeit etwas vergessen hatte, jenes war aber bereits verschlossen. Als er dann aus der EingangSthür zur Fabrik trat, stieß er auf jene beiden Bekannten, Frede und Baum, die dann ihm sich anschlossen und somit dann später vor dem Untersuchungsrichter so günstig für ihn zeugen konnten. Das Glück war Frank auch auf der Post treu geblieben. Wir wissen, daß Bäumer vergaß, das Gewicht des Briefes sogleich bei der Annahme festzustellen. Hiernach mußte der Verdacht der That auf den Be amten fallen, noch umsomehr, als dann später von dem Postinspektor ermittelt wurde, daß das ursprüng liche Gewicht nicht neunundvierzig, sondern vierund fünfzig Gramm betragen hatte. Die Differenz dieser beiden Zahlenermittelungen wurde hauptsächlich für Bäumer verhängnißvoll. Während der Anwesenheit des Postinspektors bei Adens Tags nach dem Vorfall hatte Frank durch die nur angelehnte Thür zum Zimmer seines Prinzipals die Worte gehört, daß die 'Nummern der Banknoten von Letzterem notirt seien. Aus diesem Grunde verzögerte sich die Abreise Hecht's nach Amerika; er wagte es noch nicht, einen der ge stohlenen Scheine auszugeben. Erst vor drei Tagen, nachdem Linde bei Adens gewesen war, hatte Frank Hecht mitgetheilk, daß er nunmehr dreiste die Ein- Hundert-Markscheine verausgaben könne, da er be stimmt erfahren, daß diese Banknoten nicht notirt seien. Daß Frank nicht mit Hecht zusammen die Reise nach Amerika antrat, das war wiederum eine schlaue Berechnung des frechen Burschen. Er sagte sick, daß, wenn er jetzt plötzlich seinem Prinzipal kündigte, dies Verdacht erwecken müßte. Deshalb nahm er sick vor, erst nach einem Vierteljahr, wenn der Vorfall niit dem Geldbrief bereits in Vergessenheit gerathen sein würde, das Dienstverhältniß bei Adens aufzu geben. Das war das Wesentlichste in den Aussagen Hecht's. 'Nachdem dieselben zu Protocoll gebracht, wurde er wieder ms Gefängniß abgeführt. Linde aber eilte mit einem von dem Untersuchungs richter geschriebenen Telegramm freudig zum Postainte, um schleunigst die 'Nachricht nach W. zu befördern, daß sein Freund unschuldig und einer der Thäter entdeckt und verhaftet sei. Linde's Wunsch, durch schleunige Abgabe der Depesche an den Präsidenten des Schwurgerichts in W. die Verurtheiluug des «»geklagten Freundes zu verhindern, erfüllte sich leider nicht, wie wir bereits wissen. Das Telegramm wurde erst eine Viertel stunde nach der Verurtheiluug Bäumcr's von dem Präsidenten geöffnet — das Erstaunen desselben mag sich der freundliche Leier selbst verstellen — worauf dann der unschuldig Verurtheiltc vorläufig sofort in Freiheit gesetzt wurde, um später im Wiederaufnahme verfahren freigesprochen zu werden. XV. Unbeschreibliche Freude herrsckte nach einer Stunde im Droop'schen Hause, als der langentbehrte und schwer vom Schicksal hcimgesuchtc junge Postsckretär mit den anderen beiden Männern wieder bei den Lieben cintraf. Immer wieder schloß Bertha den Geliebten in ihre Arme, als könnte er ihr noch jetzt wieder entrissen werden. „O Hermann, Hermann, was war das für eine schreckliche Zeit, die wir durchlebt haben!" rief sie unter Thränen lächelnd. . „Geliebte, es waren Herbstesstürme, die über jeden Menschen einmal im Leben dahinbrausen, wohl dem, der ihnen mit reiner Seele entgegensehcn. kann!" tröstete Bäumer seine Braut. „Ja, ja, man kann sich doch sehr leicht im Menschen irren," meinte der Major. „Wer hätte das dem dürren Mann angesehen, daß solch eine Schlauheit und Energie in ihm stak. . . bin gründ lich überrumpelt ... na, dieses Mal will ich gern capituliren." „Onkel," sagte der Neffe, „Du kennst Linde noch nicht. Es kann keinen besseren Freund und Menschen geben, als er ist, von seinen eminenten Fähigkeiten ganz abgesehen." Derjenige aber, dem man diese Freudenstundc verdankte, saß bescheiden zu Hause iu seinem Zimmer nnd erzählte der gespannt lauschenden Frau sein Abenteuer mit dem gefährlichen Verbrecher. „Das ist der häßliche Traum gewesen, liebes Männchen, deu ich in der letzten Nacht geträunit habe!" meinte Frau Linde. Die treue Gattin dankte Golt in ihrem Herzen für die Abwendung des Unglückes, das dem geliebten Mann gedroht harte. Noch eine Weile saß man traulich bei einander. Linde legte von Zeit zu Zeit einen kühlenden Verband auf die jetzt heftig schmerzende Wunde ... da kam Jemand die Treppe heraufgestürmt ... im nächsten Augenblicke wurde die Thür aufgerissen und der ge rettete Freund stand vor ihm. „Linde! Freund! Komm' an meine Brust!" Der Angercdete lächelte freudig dem Eintretenden entgegen. „Willkommen, lieber Freund! .. . Halt! Sachte! Du willst mir meinen lahmen Flügel auch wohl so ungestüm drücken, wie Deine Braut cS vorhin gethan hat! Hier hast Du die Linke . . . damit mußt Du Dich augenblicklich begnügen. Bist Du zufrieden mit mir Hermann? Habe ich mein Wort eingelöst?" „Und ob!" jubelte Bäumer. Wer kann wohl heroischer handeln als Du!"