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Leilage m Nr. 55 des „Amts- und Ameiaeblattes". Eibenstock, den 9. Mai 1891. Ein vcrhängnißvoller Schnitt. Criminal-Erzählung aus dem Postleben von Th. Schmidt. (IS. Fortsetzung.) „So, Bürschchen!" sagte Linde für sich hin, als er die Straße wieder betrat. „Endlich, endlich hätte man Dich! Wenn nun der Gauner noch vor dem Schluß der Schwurgerichtsvcrhandlung in W. zur Haft gebracht werden könnte, dann wäre meine Freude vollständig. Daß der arme Bäumer vcrur- theilt werden wird, das ist sicher anzunehmen. Mit welchem Raffinement diese heillosen Schurken zu Werke gegangen sein müssen! Der Frank konnte ja, wie ich vom Untersuchungsrichter weiß, sein Alibi überzeugend beweisen, und trotzdem hatte er zur That Zeit gehabt." Er zog die Uhr hervor. „Hm! Halb zwölf! Da will ich doch lieber erst nach Hause gehen und ein Glas Wein trinken und auch etwas zur Stärkung genießen . . . wer weiß, wie lange der Herr Hecht — capitaler Name! Paßt ganz zu dem räuberhaften Treiben des Mannes! — auf sich warten lassen wird." Zn Hause angckommcn, ließ Linde gegen seine Frau sich nichts merken, sondern aß und trank an scheinend recht gemüthlich, während es in seinem Innern wogte und tobte vor Begier, den Hecht erst bei den Flossen zu habe». Seine Frau frug ihn, ob es denn keine üblen Folgen hätte, daß er ohne Weiteres von der Schwurgerichts-Verhandlung zurück geblieben sei, sie hätte in der letzten Nacht einen häß lichen Traum gehabt, wonach ihm noch heute etwas Schlimmes passircn würde. „Etwas sehr Angenehmes, liebes Weibchen, wird heute noch passircn," bemerkte lächelnd ihr Ehemann. „Du kannst unbesorgt sein. Die Ueberraschung, die ich Dir später bereite, wird Dich hoffentlich für die ausgestandene Besorgniß entschädigen." XIV. Um zwölfeinhalb Uhr treffen wir Linde wieder beim „tauben Seiler". Da Hecht noch nicht zurück- gekehrt ist, bittet Linde den Alten, ihm zu gestatten, daß er sich in des Letzteren Zimmer so lange auf halten dürfe, bis der junge Manu eintrcffe. Dann läßt er sich ab und zu mit dem Seiler in ein kurzes Gespräch ein, das sich vorzugsweise um Hecht dreht. Der Seiler vcrmuthet in Linde nur einen Gläubiger seines Micthsmannes. Viertelstunde auf Viertelstunde vergeht, der Erwartete will sich immer noch nicht blicken lassen, was Linde sehr beunruhigt. Sollte jener Lunte gerochen haben? Das wäre fatal! Endlich, nach ein und einhalbstündigem Warten, geht vorn im Hause die Thür, gleich darauf betritt Hecht sein Zimmer. Jetzt tritt Linde zu dem Alten hin und sagt ihm so leise, wie es dessen Schwerhörigkeit gestattet, in's Ohr, daß er einen Thaler bekäme, wenn er einen Zettel nach der Wohnung des Polizisten brächte. Der Alte stutzt und scheint jetzt den eigentlichen Zweck Lindc's zu errathen; dieser merkt des Alten Zögern, deshalb raunt er ihm schnell zu, daß er, sobald er von dem Polizisten zurückkäme, noch einen Thaler erhielte. Dann drückt er dem Seiler, ohne dessen Antwort abzuwartcn, das Versprochene mit dem Zettel in die Hand und bedeutet ihm, möglichst geräuschlos zur Hinterthür hinaus zu gehen. Die klingende Be- lobnung bringt den Alten schnell auf die Beiue. Mit einer urkomischen Grimasse, die Linde unwill kürlich zum Lachen reizt, verschwindet nun der Seiler im Garten hinter dem Hause. Das Heranziehen eines Sicherheitsbeamten zur Abfangung des Verbrechers hätte Linde am Morgen selbst schon veranlassen können, allein er hatte Be denken dagegen. Wie leicht hätte Hecht Wind be kommen können durch das Eintreffen eines Schutz mannes in seiner Wohnung. Hecht konnte ja noch andere Helfershelfer in der Nähe seiner Wohnung haben, die ihn vor dem Betreten derselben warnten. Gleich nachdem der Seiler gegangen, verließ Linde dessen Zimmer, froh, endlich aus dieser Höhle des alten Junggesellen aufbrcchen zu können. Im näch sten Augenblick klopfte er an die Thür des anderen Zimmers, welches jenem gegenüber lag und in dem Freund Hecht sich aufhalten mußte. Auf dessen „Herein!" öffnete Linde schnell die Thür, worauf er eben so schnell eintrat. Hecht erschrak heftig bei dem Anblick des Postbe amten. „Sie sind Herr Hecht?" begann Linde. „Jawohl, was wünschen Sie?" antwortete der Gefragte in etwas unsicherem Tone. „Ich möchte," sagte Linde und blicke den jungen Mann durchdringend an, „mich gern mit Ihnen üb?r einen Gegenstand unterhalten, der uns Beide inlercssirt. Wie ich höre, haben Sie die Absicht, nach Amerika auszuwandern. Ich kann dies nur ganz natürlich finden. Nicht Jeder findet es hier in unserem Vaterlande gerade gemüthlich... nicht wahr?" „Sie sind mir allerdings bekannt, Herr Linde," antwortete Hecht mit erregter Stimme, „indeß wüßte ich nicht, was Sie zu einer Unterredung mit mir, der ich Ihnen so gut wie unbekannt sein werde, veran laßt haben könnte. Sie wollen doch nicht etwa auch auswandcrn?" „DaS nun gerade nicht, Herr Hecht," sagte Linde mit einer unheimlichen Ruhe in Ton und Gcberde. „Ich habe wenigstens keine Veranlassung dazu," fügte er hinzu, die letzten Worte mit Nachdruck be tonend. „Nun, ich habe auch keine direkte Veranlassung dazu," bemerkte mit gut gespielter Empfindlichkeit Hecht. „So? Hm!" machte Linde. „Sie erlauben mir wohl, das ich mich setze, Herr Hecht?" Und ohne dessen Einwilligung hierzu abzuwarten, schritt er auf einen Stuhl zu, der in der Fensterecke stand, in welcher auch eine alte Uhr mit auffallend schweren Gewichtsstücken hing. Einen Schritt von seinem Sitze hing an einem Nagel der Ueberzieher des Hecht, in der inneren Brusttasche desselben bemerkte Linde eine Brieftasche, die er nicht aus den Augen ließ. Hecht, ein kräftiger junger Mann, der etwa zwciundzwanzig Jahre alt sein mochte, stand in der Thür, die zur Schlafkammer führte. „Ich bcdaure sehr," begann Hecht, „mich mit Ihnen nicht lange unterhalten zu können, da ich schon mit nächstem Zuge, der in einer Stunde fährt, abzu reisen gedenke. Ich bitte daher, mit Ihrem Anliegen hervorzutreten!" „Hat denn Ihre Abreise wirklich so große Eile?" ließ der Postbeamte einfließen. Es war Linde daran gelegen, Hecht so lange mit Fragen aufzuhalten, bis der Polizeibeamte erscheinen würde; er fühlte sich dem stämmigen Burschen allein nicht gewachsen. „Ich sehe," fuhr er fort, ohne die Antwort auf seine Frage abzuwarten, „Sie haben da ein niedliches Köfferchen ... das stammt wohl nicht aus einem hiesigen Geschäft . . . unsere Sattler arbeiten solch feine Sachen gar nicht selbst . . ." „Ich muß jetzt dringend bitten, mich zu verlassen," sagte Hecht mit unheimlicher Geberde. „Ich habe keine Zeit zu verlieren." Dann schritt er auf seinen Ueberzieher zu. Doch mit einem Griff zog Linde die Brieftasche aus demselben und steckte sie schnell in seine eigene Brusttasche. „Sie werden jetzt überhaupt nicht mehr nach Amerika abreiscn, sondern vorher erst einige Jahre im Zuchthause über Ihre sauberen Betrügereien nach denken," rief er. Einen Augenblick stutzte der Verbrecher und wechselte die Farbe. Sollte der wohlangelcgte Plan noch in der letzten halben Stunde vor dem Ziele scheitern? Das mußte ihm klar geworden sein. Wüthend trat er mit dem Fuße auf. „Herr!" schrie er. „Was unterstehen Sie sich hier in meiner Wohnung gegen mich? Wollen Sie sofort die Brieftasche wieder an den Ort stecken, wo her Sie dieselbe nahmen, und dann so schnell als Ihnen Ihre Haut lieb ist, sich entfernen?" „Beides werde ich bleiben lassen, wenn Sie er lauben!" lautete die Antwort Lindc's. „In dieser Tasche befindet sich höchst wahrscheinlich das Geld, das Sic in Gemeinschaft Ihres Complicen Frank vor sechs Wochen einem Geldbrief entnahmen. Leug nen Sie nicht! Der Schutzmann kann jeden Augen blick hier eintreten.... was Ihnen dann bevorstcht, das können Sie sich selbst sagen. Vorläufig werden Sie das Zimmer hier nicht verlassen!" Der Verbrecher schäumte vor Wuth, seine Augen leuchteten wild wie diejenigen eines RaubthiereS. „Hahaha!" lachte er höhnisch auf. „Sie sind ja wohl von Sinnen, Verehrtester; es scheint Ihnen hier — er deutete auf die Stirn — eine Schraube loSgegangcn zu sein." Linde blieb dem Rasenden gegenüber ruhig. „Was Sie von mir denken, das ist mir höchst gleichgültig. Wenn ich nur meinen Zweck erreiche, dann können Sie mich meinetwegen auch für verrückt halten. Sie leugnen natürlich auch, daß Sie diesen Koffer bei dem Sattler Polter hier kauften, nicht wahr?" „Herr, Sie werden immer frecher! Was geht Sie denn das an, wo ich meine Einkäufe mache?" Wollen Sie jetzt freiwillig die Brieftasche wieder herausgcben und dann mein Zinimer räumen oder soll ich von meinem Hausrecht Gebrauch machen?" „Die Antwort hierauf können Sie sich einfach selbst sagen. Sie sollten jetzt nachgerade einsehcn, daß Sie mich nicht ohne Gewalt anzuwcnden wieder los werden. Hier ist die Rechnung des Sattlers und hier ist der Einhundert-Markschein, den Sic dort verausgabten. Die Nummer desselben stimmt ganz genau mit derjenige» meines Verzeichnisses über ein. Sie sehen demnach, daß meine vor einigen Tagen Ihrem sauberen Cumpane gelegte Falle, wo nach die Nummern jener Scheine nicht notirt sein sollten, mir geglückt ist." Der Hieb saß. Der Räuber erbleichte. Doch nur einen Augenblick dauerte seine Rathlosigkeit, dann blickte er wild wie ein Löwe um sich . . . Was mochte wohl jetzt in seiner Seele vorgehen? Eine furchtbare Wuth sprach sich in seinen Zügen aus. So nahe am Ziel zu sei», um dann noch im letzten Augenblick abgefaßt zu werden, das muß ja bei Leuten seines Schlages eine rasende Erbitterung Her vorrufen ... In der nächsten Minute griff der Bursche in die Tasche, ein Hahn knackte, dann senkte sich blitzschnell der Lauf eines kleinen Revolvers nach der Richtung, wo Linde stand. Teufel! dachte dieser. Das wird kritisch, der Patron hat sich auf alle Fälle vorgesehen! Unwill kürlich trat er einen Schritt zurück, so daß er mit dem Rücken die Gewichtsstücke der alten llhr berührte. Nun fiel ihm auch der Traum seiner besorgten Gattin ein. Sollte er hier elendiglich durch Mörderhand umkommen? „So, Freundchen!" rief Hecht mit wuthverzerrtcm Antlitz. „Jetzt legen Sie innerhalb einer Minute die Brieftasche dort auf den Tisch und drücken sich dann schlennigst zur Thür hinaus, oder ich schieße Ihnen ein Loch in Ihren dürren Körper, damit Ihre schlaue Seele da herausspazieren kann! Sind Sie so listig gewesen, mich zu überrumpeln, dann hätte Ihnen Ihr Mutterwitz auch sagen sollen, daß man mich nicht ohne Gefahr fängt." „Wenn Sie Ihre Seele auch noch mit einem Mord belasten wollen, so thun Sie es," rief Linde. „Lebend werden Sie mich nicht wieder los! Die Brieftasche werde ich Vertheidigen, so lange ich lebe!" Linde, der trotz seines hleichcn Gesichtes doch noch seine Ruhe bewahrte, schien einen Ausweg gefunden zu haben ... er legte seine Hände auf dem Rücken so zusammen, als gäbe er sich dadurch den Anschein, daß er recht gleichgültig den Dingen, die da geschehen könnten, cntgegcnsähe. Die Uhr blieb plötzlich stehen. „Das wird sich finden," antwortete Hecht auf jene Aenßerung. „Ich zähle jetzt bis zehn... wenn Sie sich dann, nachdem ich ausgezählt hahe, noch hier im Zimmer aushalten, ist cs um Sie geschehen. Also! . . . Eins . . . zwei . . . drei . . . vier . . . fünf . . . na, ist cs bald gefällig? . . . sechs . . ." Sausend flog ein schwerer Gegenstand — es war das Uhrgewicht — durch die Luft. Im nächsten Augenblick stürzte Hecht am Kopfe getroffen blutend zu Boden — ein Schuß krachte — Linde fühlte einen stechenden Schmerz im Unterarm, er achtete indeß nicht darauf, sondern stürzte vorwärts auf den Verbrecher los. Ein kurzes Ringen — dann schwang Linde den Revolver, den er dem halb Be täubten entrissen hatte. „Bekenne, Schurke!" rief er. „Hast Du mit Frank den Werthbrief seines Inhalts beraubt?" Keine Antwort. „Ich lasse Dir jetzt eine Minute Zeit — dann schieße ich. — Bist Du der Räuber?" „Ja!" kam es heiser aus Hccht's Kehle. In demselben Augenblick trat der herbeigerufcne Polizeimann ein. „Gut, daß Sie kommen," sagte Linde. „Hier dieser elende Mensch und der bekannte Frank haben den Geldbrief, wegen dessen mein armer Freund hat bis heute im Gefängnisse sitzen müssen, beraubt — soeben hat dieser hier es eingestanden, nachdem ihm ein Mordanfall auf mich mißglückt war. Ich selbst gehe jetzt zum Untersuchungsrichter, um ihm das ge stohlene Geld zu übergeben." „Es ist die alte Geschichte vom Kruge," bemerkte der Polizist. „Stehen Sie auf!" herrschte er den Daliegenden an. „Ich habe Sie schon lange im Ver dacht gehabt. Jene verschiedenen Beträge, die Ihnen vor einem Jahre bei der Abholung derselben von der Post abhanden gekommen sein sollten, wie Sic Vorgabe», und die Ihnen dann von Ihrem Prinzipal nachgcsehen wurden, werden wohl auch dort geblichen sein, wo diese Banknoten gefunden wurden." Hecht erhob sich nun und griff an seine blutende Stirn. „Er muß einen harten Schädel haben," bemerkte Linde fast heiter, „sonst hätte das schwere Uhrgewicht ihm denselben wohl zerschmettern müssen." Nachdem dem Vcrhrccher Handschellen angelegt waren, folgte er mit einem giftigen Blick auf Linde dem Beamten. Linde zog indessen recht mühsam seinen Rock aus, um die Wunde zu untersuchen. „Das wird wohl bald wieder heilen," sagte er zu sich. „Gott sei Dank, daß die alte Uhr hinter mir hing, sonst wäre ich jetzt wohl eine Leiche!" (Fortsetzung folgt.»