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verlangt 186 Mk. und giebt 175 dafür zurück. So hat er auf einen Schlag eine Viertel Million ver dient und der Roggenpreis steht lediglich wegen dieser listigen Börsenlreiberei um zehn Mark höher. Da» hat sich thatsächlich zugetragen und wir sind so frei, e» deim rechten Namen zu nennen: c» ist Schwindel. Wer aber derartigen Schwindel am meisten betreibt, darüber mögen unsere geehrten Leser selber nachdenken und sie werden bald erkennen lernen, wer in der Thal dem armen Manne da« Brod vertheuert. Hagesgeschichle. — Deutschland. Mit sehr großer Mehrheit ist Fürst Bismarck am Donnerstag vor. Woche, wie wir in einem Nachtrag durch Originaltelegramm in letzter Nummer bereits meldeten, zum Reichs tagsabgeordneten des 19. hannöverschen Wahl kreise» gewählt worden. AuS dem Verhältniß der bei der Stichwahl abgegebenen Stimmen geht deutlich hervor, daß die Welfen die Wahlparole der Stimm enthaltung befolgt, die Deutschfreisinnigen aber nach dem Rath der Parteileitung dem Fürsten Bismarck den von der Sozialdemokratie ausgestellten obscuren Cigarrcndreher als da» „kleinere Nebel" vorgezogen haben. Die Zunahme der Stimmen, welche dem Kandidaten der Umsturzpartei zu Theil geworden ist, kann nur aus dem Lager der Deutschsreisinnigen ge kommen sein, denn die Sozialdemokraten haben selbst vor der Stichwahl fast auf alle Agitation verzichtet und sich daher auch nicht bemüht, neue Anhänger zu werben und zur Wahlurne heranzuziehen. Nicht also auf den Krücken fremder Parteien wird der Altreichs kanzler in den Reichstag kommen, sondern er hat das Mandat nur aus den Händen reichstreuer, national gesinnter Wähler erhalten. Denn der Stimmenzu wachs für die Bismarck'sche Kandidatur ist nur aus den Reihen der Kartellparteien erfolgt, welche erst in den letzten 10 Tagen eine etwas lebhaftere Wahl agitation entfaltet haben, während vor dem ersten Wahlgange so gut wie nichts geschehen war, um die lässigen Wähler zur Erfüllung ihrer höchsten bürger lichen Pflicht zu ermahnen und ihnen zum vollen Bewußtsein zu bringen, daß ihnen anheimgestellt war, den größten Ehrenbürger des Reiches zum Vertreter dcS deutschen Volkes zu wählen. — Mehrere Herren des Bismarckschen Wahl- Komitees in Geestemünde begaben sich am Freitag nach Friedrichsruh, um dem Fürsten Bismarck das Wahlergebniß zu melden. Fürst Bismarck er klärte, daß er mit Dank für die erwiesene Ehre die Wahl annehme. — Der erste Mai ist in Deutschland, soweit die bisherigen Nachrichten reichen, still und friedlich vorübergegangen. Hier und da hat man gefeiert, hier und da sind Demonstrationen beliebt worden, aber nirgend wurde die Ruhe in ernstlicher We'se gestört. Auch im Auslände sind, wie wir hier gleich anfügen wollen, erhebliche Ruhestörungen nicht vor gekommen, mit Ausnahme von Rom, woselbst ein Zusammenstoß von Demonstranten und Polizei statt fand, wobei ein Arbeiter getödtet wurde. In Mar seille nahm die Arbeiterkundgebung einen ziemlich lärmenden Verlauf. Das Militär griff die Menge mit Stöcken an. In Lyon sollen Telegraphen- und Telephondrähte durchschnitten worden sein. Im Uebrigen war die Betheiligung an den „Feierlich keiten" in diesem Jahre überall noch schwächer als im Vorjahre. — Die militärischen Kontrolversamm- lungen, welche alljährlich zweimal stattfinden, kosten jedesmal den zum Erscheinen verpflichteten Reservisten und Landwehrleuten einen halben oder ganzen Arbeits tag und verursachen in den industriellen Werken manche Störung. Mehrere größere Werke am Rhein haben sich deshalb an das zuständige Bezirks-Kom mando mit dem Ersuchen gewendet, die in ihren Be trieben beschäftigten Arbeiter und Beamten von dem persönlichen Erscheinen bei den Kontrol-Versammlungen zu entbinden, wenn dem Kommando durch die Werk leitung der Nachweis von der Anwesenheit der Ver pflichteten geliefert wird. Das Bezirks-Kommando ist bereitwilligst darauf eingegangen, und es werden dort jedesmal vor der Kontrol-Versammlung die Namen der Arbeiter re. dem Bezirks-Kommando unter Beifügung der Militärpässe mit dem Ersuchen mit- getheilt, die Leute vom Erscheinen zu entbinden. Man giebt sich der Hoffnung hin, daß diese am Rhein gefaßten Entschließungen auch noch anderwärts Platz greifen werden. Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 4. Mai. Am Freitag Nachm. in der 5. Stunde brach im Hanse des Handelsmanns Baumgärtel im Ortstheil Neulehn in Stützen grün Feuer aus und sind zwei Häuser dabei nieder gebrannt. Wie es heißt, soll das Feuer durch Kinder verwahrlost worden Pein. — AuS Dresden schreibt man dem „Dresdner Journal": „Für kinderreiche Familien wird die für die nächsten Tage eintretende abermalige Erhöhung der Brotpreise eine neue Sorge bilden. Die Steigerung der Preise für Roggenbrot ist bereit- be kannt gegeben und wird auf eine Erhöhung der Roggen preise zurückgeführt. Daß aber in Wahrheit ein Mangel an Getreide gar nicht vorhanden ist, bewei sen die großen Lager, welche, abgesehen von den ge füllten Speichern an den Stapelplätzcn, auch hier vorhanden sind. Die ganze Treiberei dürfte wohl, wie in allen dergleichen Fällen, auf eine Börsenspe kulation zurückzuführen sein. Thatsache ist, daß die Brotpreise mit der jetzigen Steigerung eine bisher nie erreichte Höhe erlangen, denn 27 Pfg. für das Kilo Roggenbrot 3. Sorte, 30 Pfg. für das Kilo 1. Sorte sind selbst in den Zeiten der früheren Theuer- ungen nie bezahlt worden. Da die Fleischpreise, ob wohl das Vieh billiger geworden, noch keine Ermäßig ung erfahren haben, der lange Winter zudem reich liche Ausgaben für Feuerung in jedem Haushalte bedingte, so ist die wiederholte Preissteigerung unseres unentbehrlichsten NahrnngSmittelS bei dem Knapp werden der Kartoffeln doppelt empfindlich zu verspüren. Der Gesammtvorstand der Dresdner Bäckerinnung erläßt an da» „Publikum von Dresden und Um gegend" folgende Bekanntmachung: „Nachdem in neuerer Zeit die Mehlpreise eine Höhe erreicht, wie seit langen Jahren nicht dagewesen ist, hervorgerufen durch verschiedene Börsenmanipulationcn, sowie durch die hohen Eingangszölle und unsere hohe indirekte Steuer (pro 100 Kilo 2,40 M.), sind wir gezwungen, das Gewicht der weißen Backwaaren den hohen Preisen entsprechend herabzusetzen." Aus dieser Maßregel ergiebt sich ohne Weitere«, wie der Consument unter den Eingriffen der Börsenspekulanten zu leiden hat. Denn des dürfte allgemein bekannt sein, daß die Ein gangszölle weit weniger an der Höhe der Mehlprcise die Schuld tragen, als gerade die Börsenspekulation mit ihren unberechtigten Preistreibereien. Am meisten beängstigend ist es, daß Preissteigerungen der nöthig- sten Lebensmittel in der Regel noch lange aufrecht erhalten werden, wenn die Verhältnisse bereits gün stiger und die Preise der Naturerzeugnisse (Cerealien und lebendes Vieh) billiger geworden sind. Man beklagt diesen Zuständen gegenüber das Fehlen jeder wirklichen Controle, denn die sogenannte Controle durch „freie Concurrenz" ist meistens ein leeres Schlagwort und ein schwächlicher Trost, da bei der solidarischen Einigkeit der Verkäufer eine durch wohl feileres Angebot entstehende Concurrenz und Corrcc- tur überhaupt gar nicht maßgebend ins Leben treten kann." — Ein eigenartiger Vorgang spielte sich im Laufe voriger Woche in der früheren Schöniger- scheu Fabrik in Ab Horn ab. Während der Nacht brach das im Stalle stehende Pferd durch die morsch gewordenen Schalhölzer und fiel in die unter dem Stalle befindliche Radstube, wobei es hinter das Wasserrad zu liegen kam. Das Thier nun wieder zu befreien, war keine leichte Aufgabe, denn unter unendlichen Mühen brachte man das Pferd erst am darauffolgenden Nachmittag aus dieser Zwangslage. Zum Glück hat das Thier nur wenige Verletzungen davongetragen. — Nach den Bestimmungen der deutschen Heer- und der Wehrordnung werden die Volksschullehrer und Kandidaten des Volksschulamts, welche ihre Befähigung für das Schulamt in vorschrifts mäßiger Prüfung nachgewiesen haben, schon nach kurzer Einübung mit den Waffen und zwar schon nach Be endigung einer zehnwöchigen Dienstzeit zur Reserve entlassen. Um nun dieser Vortheile theil- haftig werden zu können, sollen die betreffenden Militärpflichtigen die amtlichen Beweisstücke darüber, daß sie Bolksscbullehrer oder Kandidaten des Volks- schulamtS sind, der betreffenden Musterungskomission schon im Musterungstermine vorlegen. Dies wird aber trotz der erlassenen Bekanntmachung noch viel fach unterlassen. Es ist daher im Interesse der Betheiligten darauf aufmerksam zu machen, daß die jenigen gestellungspflichtigen Volksschullehrer oder Kandidaten des Volksschulamtes, welche den Nachweis der Berechtigung zu zehnwöchigem Dienste nicht etwa schon im Musterungstermine erbracht haben sollten, spätestens im Aushebungstermine nachträglich noch thun müssen, wenn sie nicht zu dreijährigem Dienste ausgehoben und eingestellt sein wollen. Als Beweis stück der Berechtigung zu zehnwöchigem Dienste darf nur ein amtliches Zeugniß darüber gelten, daß der Betreffende entweder die Schulamtskandidatenprüfung bestanden hat, oder als Lehrer an einer Volksschule angestellt ist. — Eine totale Mondfinsterniß wird uns der Mai bringen und zwar wird dieselbe am 23. Mai mit dem Vollmond eintreten. Beginn Nachm. 5 Uhr 31 Min., volle Verfinsterung von 6 Uhr 39 Min. bis 7 Uhr 59 Min., Ende 9 Uhr 7 Min. Von den sonstigen im Wonnemonat stattfindenden astronomischen Ereignissen ist der Durchgang des Merkur am 10. Mai Morgens hervorzuheben. Der Planet durchzieht die Sonnenscheibe von links nach rechts in der Form eine« kleinen schwarzen Punkte-. In Deutschland wird dieses Ereigniß jedoch nur wenig zu beobachten sein. Ans vergangener Zeit — für «nsere Zeit. 8. Mai. (Nachdruck verboten.) Vor 70 Jahren, am 5. Mai 1821, starb einsam und ver lassen aus einem Felsen im Ocean der Mann, vor dem noch vor wenigen Jahren ganz Europa gezittert hatte, Napoleon I. Er starb als Gefangener aus St. Helena, gebrochen in seiner Macht und seiner Körperkraft, angekettet an das winzige Ei land im Meere, der Mann, dessen Wink Millionen gehorcht hatten. Es war eine furchtbare Nemesis, die den Kaiser der Franzosen ereilt hatte, eine Vergeltung, die so schwer auf dem Tyrannen Europas ruhte, daß sie manches Unheil, daß er angerichtet, manche böse That dieses Mannes auslöschtc. Wäre das Große, Gewaltige, das in der Natur Napoleons ruhte, zum Guten angewandt, zu Werken des Friedens benutzt worden. Außerordentliches, ewig Bedeutendes hätte dieser Mann zum Glücke aller Völker, mit denen er in Berührung trat, leisten können, während seine Herrschsucht, seine Eigenliebe, seine Kriegs- wuth nur namenloses Unglück über alle Völker herausbeschwor. Den» daß Napoleon I. weit über alle seine Zeitgenoffen her vorragte, das bewies das Ausathmen aller Fürsten Europas, als die Nachricht von seinem Tode «intraf. Selbst auf St. Helena hatte man den gefesselten Löwen nicht für ganz sicher untergebracht gehalten. S. Mai. Am 8. Mai 1622 bewährte sich wieder einmal nicht blos deutsche Tapferkeit, sonder» auch deutsche Treue. In jener Zeit hatte das Volk von seinen Fürsten wahrlich nicht allzuviel zu erwarten und die Interessen der Besitzer der zahlreichen Länder und Ländchen in Deutschland waren nichts weniger als identisch mit denen der Volkskreise; diese kümmerten auch die Kriege und Fehden, die es jahraus-jahrein gab, herzlich wenig und nur insoweit, als durch jene Reibereien der Großen, der Wohlstand des Volkes untergraben und vernichtet wurde. Der Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz hatte sich zum König von Böhmen mache» lassen, womit der österreichisch-deutsche Kaiser keineswegs einverstanden war; das Ende war, daß der neue König nach kurzer Zeit fliehen mußte. Der Markgras Georg Friedrich von Baden-Durlach glaubte, den Freund rächen zu müssen, wollte Wohl auch von sich reden machen und so zog er den Kaiserlichen, die unter Tilly standen, entgegen. Bei Wimpfen kam es am 6. Mai 1622 zur Schlacht, die für das badenser Heer sehr bald sehr bedenklich wurde. Schon als die Schlacht verloren war, hielten um den Markgrafen 400 Pforzheimer Bürger mit dem Bürgermeister Deimling Stand und retteten so den Fürsten vor unfehlbarer Gefangen schaft. Sämmtliche der treuen Badenser fielen, kein einziger Mann entkam, der Markgraf aber ward gerettet. Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, — vor allem deutsche Treue! Der Flüchtling. Historische Novelle von Aug. Northeim. (4. Fortsetzung.) Sogleich erglänzte ein Licht und erlosch wieder; nachdem sie bis zehn gezählt, glühte das Leuchten aber mals auf; und als es zum dritten Male in Nacht versank, erreichte ein leichtes Plätschern das Ohr der Lauschenden. Ein tiefer Alhemzug, und sie empfing den Erwar teten an den vom Wasser aufwärts führenden Stufen, schloß das Thor und befestigte den Schlüssel am Gürtel. „Seid still," bat sie leise, als der junge Mann in tiefster Bewegung die Hand seiner Retterin an die Lippen preßte. „Seid still und folgt mir!" Sie waren fast unter dem Fenster angelangt, als Jane durch den Gedanken erschreckt wurde, sie habe das Feuerzeug nicht wieder an den Platz gelegt, von dem sie es genommen. Den Finger zum Zeichen des Schweigens auf den Mund legend, wandte sie sich schnell zurück, stellte die gewohnte Ordnung wieder her, um jeden Anlaß zum Verdacht zu beseitigen, und legte nochmals den gefahrvollen Weg, doch mit froheren Empfindungen zurück. Sicher erreichten beide die Leiter; und kaum war der Kavalier oben, so stand auch bas junge Mädchen schon an seiner Seite. „Kein Wort, junger Herr!" flüsterte Eton. „Kein Wort, wenn Ihr uns nicht alle verderben wollt!" Tief ergriffen standen die drei eine Zeitlang laut los da. Der Graf ermannte sich zuerst. Er zog die Leiter ein und entnahm nach einigem Suchen dem Schubfach einer reichgeschnitzten Schatulle eine kleine kupferne Lampe, ein Fläschchen Wein, sowie einen wunderlich geformten Schlüssel, welchem er seinem Gast reichte. Darauf schritt er der mit Büchern bedeckten Wand zu, zog einen dicken, in Schweinsleder gebundenen Folianten heraus, steckte in eine kaum sichtbare Fuge der bloßgelegten Wandtäfelung ein wie ein kleines, dünnes Brecheisen geformtes Instrument, und nach einem leichten Druck seiner Hand drehte sich wie mit Zauberschlag die Holzbekleidung vom Boden bis zur Decke in den Angeln, eine Thür freilegend, aus deren niedrigem Bogen die Finsterniß unheimlich und un durchdringlich gähnte. „Jane," sagte der Vater, nachdem dies geschehen, „Du kannst uns jetzt ohne Besorgniß verlassen. Lege Dich schlafen, es wird Dir wohlthun nach all den Aufregungen des Tages. Morgen sprechen wir weiter über die zu treffenden Maßregeln. Gute Nacht, mein Kind." Nachdem das Mädchen sich auf sein Geheiß ent fernt hatte, wandte er sich an seinen Gast: „Geht voran, junger Herr!" Der Fremde betrat den finsteren Gang; ihm auf dem Fuße folgte der Alte, welcher die Thür sorgfäl tig hinter sich verriegelte und alsdann eine aus der Mauer herausragende Kurbel so lange drehte, bis ihm ihr Widerstand anzeigte, daß drinnen die Holztäfel ung wieder ihre ursprüngliche Lage eingenommen habe. So lag die Bibliothek wieder einsam und verlassen und kein unberufenes Auge hätte das Geheimniß er-