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verfolgten das Spiel der fliehenden Wolken am hei ter blauen Horizont. Sie fühlte sich sehr matt und wies deshalb jeden Gedanken an die Zukunft und was nun werden sollte, zurück, es lag wie ein dumpfer Druck auf ihren Nerven. Und zu was sollte sic sich denn auch quälen, von dem Moment an, wo sie, durch die Umstände gezwungen, dem Gatten ein Gc- stiindniß ihrer Schuld gemacht, hatte sie sich willen los in seine Hand gegeben. WaS er plante — sie wußte cS nicht, zur Zeit würde sie es schon erfahren. Jedenfalls hatte Wild schütz einen Entschluß gefaßt, denn seit gestern war er viel ruhiger geworden und hatte seine frühere feste Haltung wieder gewonnen. Wohl sah man in seinem Antlitz noch die Spuren der qualvoll durchwachten Nächte, der traurigen Tage, doch sprach aus den klaren Augen nicht mehr jene wilde, trostlose Verzweiflung, die sich auflehnt gegen ein unabänderliches Geschick. Einen geöffneten Brief in der Hand haltend, trat der. Präsident in das Gemach seiner Frau. Sie juckte leicht zusammen, als sie ihn erblickte, dann sprach sie gesenkten Blickes ein Begrüßungswort. Fast schien es, als verlöre er bei Stellas Anblick, die in ihrer hilflosen Schwäche doppelt reizend war, seine Haltung, doch sich zusammenraffend, sprach er, ihren Gruß erwidernd: „Bist Du stark genug, um über ernste Dinge mit mir sprechen zu können? sonst verschieben wir diese Unterredung noch." „Nein, ich will mein Schicksal lieber gleich hören." „Nun gut. Wir sind hier doch völlig ungestört?" „ES kann uns Niemand hören, selbst wenn Ada- mine — so hieß die Kammerjungfer — horchen sollte, vermöchte sie nicht das Mindeste zu erlauschen." „Es ist gut. Ich habe gestern einen Brief mei nes Bruders erhalten, dem ein Schreiben Herberts beilag. Der gute Junge ist ganz entzückt von seinen Verwandten, der Aufenthalt im gastlichen Hause des Onkels ist im höchsten Grade angenehm. Er schildert die Gattin meines Bruders als eine gütige, würdige Dame, die Vettern und Basen als aufgeweckte, lie benswürdige junge Leute. Du weißt, Stella, daß ich mit meinen transatlantischen Verwandten wenig Ver kehr hatte, sogar der schriftliche beschränkte sich auf spärlich gewechselte Briefe. Karl war von Jugend auf anders geartet als Elenora und ich, wir konnten eS ihm nicht vergeben, daß er den Dienst in der kaiserlichen Marine aufgegeben, um Kapitän eines Kauffahrteischiffes zu werden. Als er sich dann spä ter mit der Tochter eines New-Iorker Kaufherrn ver mählte, fürchtete ich, daß er vollständig zum Bour geois geworden sei. Dies ist nun ganz und gar nicht der Fall. Karl, durch den Besuch meines Sohnes hoch erfreut, schreibt mir in alter, herzlicher Weise und ladet mich dringend ein, einen längeren Urlaub zu nehmen und auch hierüber zu kommen." „Ich habe ihm gestern sofort geantwortet und unseren Besuch zugesagt." Stella, die anfänglich sehr gleichgültig zugehört hatte, schrak Plötzlich zusammen und blickte fragend auf. Der Präsident neigte sich näher zu ihr, als fürchte er, daß man ihn doch belauschen könne, dann sagte er: „Dort bist Du sicher unter dem Schutze redlicher und geachteter Menschen. Kein Verdacht wird Dich erreichen, während hier das Damoklesschwert über Deinem Haupte schwebt. Versprich mir, Stella — nein, schwöre nur dort bei dem Gekreuzigten — (er wies auf das Betpult, wo ein Kruzifix stand), schwöre mir, daß Du meinem Willen, meiner besseren Ein sicht Dich fügen, daß Du Dich ohne Verzug nach New-Jork begeben willst!" „So willst Du mich nicht begleiten?" fragte die junge Frau erschreckt. Der Präsident richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf, die abweisende Handbewegung, durch welche er pantomimisch diese Zumuthung ablehnte, drückte Wider willen, ja Ekel aus. Dann sprach er kurz und hart: „Ich habe wohl durch lange Jahre Verbrechern ihr Urtheil gesprochen — aber der Freiherr von Siegen-Wildschütz, der Präsident des obersten Gerichts hofes hat keine Gemeinschaft mit — solchen Leuten — gehabt. Stella bedeckte ihr Antlitz mit den Händen. So hart, so schwer hätte kein Vorwurf sie treffen können, wie diese wenigen Worte eS zu thun ver mocht. Sie hatten ihr mit grausamer Klarheit die ganze, die unermeßliche Kluft gezeigt, die zwischen einem Ehrenmanne, wie ihr Gatte es war, und zwischen ihr selbst aufgähnte. ES war ein VerdammungSurtheil, das sein Mund ihr verkündet, sie fühlte es. Er trennte sich von ihr auf immer, er verbannte sie au« seiner Nähe. Sie stöhnte laut. „Beherrsche Dich!" gebot er. „Hier steht mehr auf dem Spiele als unser beider Leben, — die Ehre gilt eS zu wahren!" „Ich werde thun — was Du befiehlst." „So schwöre!" Sie erhob sich schwankend, sie wankte zu dem Betschcmel, dort sank sie nieder, dort leistete sie den Eid und blieb dann auf ihren Knieen liegen. „Karl Walter wird Dich begleiten," fuhr der Präsident fort. „Er ist verschwiegen und treu, vor Allem: er ist Dein Mitschuldiger, die Gefahr wäre nur halb abgewendet von Deineni Haupte, wenn er in Deutschland zurückbliebe, wenn die Untersuchung, welche der Offizial Wilmert mit allem Eifer führt, neue, belastende Momente zu Tage fördern sollte. „Ich werde Walter mit einer bedeutenden Summe auSstatten, damit er drüben Landbesitz erwerben kann — dafür muß er mir schwören, daß er Europa ver läßt und nie zurückkehrt. Alles wird auf das Beste geordnet werden. Du siehst, ich habe mein Wort ge löst, welches ich Dir in jener Nacht gab: ich habe Dich vor dem Richtschwcrte oder der ewigen Kerker nacht bewahrt — denke stets daran, Stella, und richte Dein ferneres Leben so ein, daß ich es nicht allzu- schwcr bereuen muß, meine Pflicht sträflich verletzt zu haben. Ich habe mir das Recht, Schuldige ver- urtheilen zu können, selbst geraubt." „Dank — Dank!" hauchte Stella, dann fügte sie leist, zaghaft hinzu: „Und Du, Albert?" Der Ton dieser Worte durchschauerte ihn, wenn er dem Gefühle gefolgt wäre, das heiß seine Adern schwellte, sein Herz klopfen machte zum Zerspringen, dann wäre er zu ihr geeilt, hätte die einzig Geliebte zu sich cmporgezogen und gerufen: „Ich bleibe bei Dir, bis daß der Tod uns scheidet!" (Fortsetzung folgt.) Der Strohwittwer. Es wird immer viel vom Strohwittwer u. Stroh- wittwcnthum geredet. Der vulgären Auffassung zu folge stellt man sich unter dem Strohwittwer einen Mann mit abgerissenen Hemdenknöpfen vor, mehr weiß man nicht von ihm und selbst das ist ein kom pletter Unsinn, da es keine abgerissenen Hemdenknöpfe mehr giebt. Der Strohwittwer ist, wie das „Neue Wiener Tageblatt" berichtet, viel mehr — wir werden cs sogleich sehen. Ueber die Herkunft des sonderbaren Namens „Strohwittwer" cursiren verschiedene Meinungen unter den Gelehrten. Das Publikuni ist darüber beinahe gänzlich im Unklaren und alljährlich langen bei unseren Familienblättcrn, die sich durch gewissenhafte Aus künfte über gemeinnützige Fragen ihren Lesern zu verpflichten pflegen, unter den massenhaften Anfragen, wie man Hühneraugen beseitigt und Wagenschmier flecke aus weißen Westen herausbringt, auch Zuschriften ein, in welchen theils langjährige Abonnenten theils aufmerksame Leserinnen — immer aber Leute, die sehr viel freie Zeit zum Grübeln haben — von der Re daktion im nächsten Briefkasten eine Erklärung des Wortes „Strohwittwer" verlangen. Ich habe einmal folgende Erklärung gelesen: Danach soll zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts Antonio del Garbo, einer der angesehensten und reichsten Bürger der Stadt Siena, der sogar etliche Jahre das Amt eines Gonfaloniere bekleidet hatte und mit einer gewissen Nino Calandrini, einer Frau von seltener Schönheit und zarten Sitten vermählt war, durch eine plötzliche Erkrankung dieser schönen Sinescrin zu Tode erschreckt worden sein. In der Casa del Garbo herrschte tiefste Niedergeschlagenheit, bis eines Tages, nachdem die Aerzte von Siena schier verzweifelt waren, ein kleiner Goldschmied, Meister Buonsiglio, seinem Nachbar del Garbo rieth, die erkrankte Nino Calandrini, eine Verwandte seines Schwiegersohnes Tomaso — Mast genannt — in ein anderes Klima zu bringen, und zwar nach Pisa bei Lucca, wo seine eigene Tochter Brigitta vor zwei Jahren gesundet war. Antonio del Garbo that also, die zarte Frau wurde in einen Wagen gehoben und nach Pisa gebracht. Antonio aber blieb zurück und wurde von dem Tage an nur Strohwittwer genannt, und seither hat sich diese Be zeichnung für Ehemänner, deren schönere Hälften sich auf Reifen oder in Bädern befinden, erhalten. Lassen wir die Sagen und Ueberlieferungcn und dringen wir tiefer in den Gegenstand ein. Brehm würde, wenn er diese Species entdeckt und ihre natur historische Bedeutung erkannt hätte, über den Stroh wittwer ungefähr Folgendes gesagt haben: „Er gehört in die Classt der Omnivoren (Allesvcrzehrer), trinkt aber mit Spaten-, Pschorr- oder Löwenbräu, besonders gierig ist er nach Sect, den man ihm sonst nur selten giebt. Er kommt in ganz Europa vor, schaarenweise findet man ihn in großen Städten, im Winter ver schwindet er. Der Strohwittwer verläßt regelmäßig am Abend sein Versteck, zu dieser Zeit fühlt er sich am wohlsten, er kann Nächte verbringen, ohne zu schlafen; in dieser Beziehung ähnelt er dem Kameel, welches bekanntlich Tage lang nicht zu trinken braucht, doch fehlt ihm meist der Höcker und öfters auch die Hörner. Für gute Behandlung zeigt er sich sehr dankbar, er läßt sich leicht zähmen und beweist dem weiblichen Geschlecht gegenüber oft eine merkwürdige Anhänglichkeit. ES wird ihm auch vielfach von weib lichen Jägerinnen nachgestellt. Die Jagd ist ganz ungefährlich, obwohl er sich oft störrisch zeigt; man fängt ihn auf verschiedene Arten, deren Aufzählung zu weit führen würde. (Siehe Gimpelfang)." — Aber im Ernst gesprochen: der Strohwittwer gehört zu den schlechtest-beleumundeten Individuen und eS ist schmach voll, daß noch kein Vertreter dieses Standes den Muth gefunden hat, „an geeigneter Stelle" eine Ehrenrettung loszulafsen und damit den sommerfrisch- elnden Frauen ihre Ruhe wiederzugeben. In diesem Punkte herrscht unter der Männerwelt eine Gleich gültigkeit, die zu denken giebt. Der Familienvorstand, der soeben unter guten Reden,.zärtlichen Ermahnungen u. frommen Wünschen Kind u. Kegel, nebst Amme, Koffern, Körben, Kinder wagen rc. zur Bahn gebracht und an den verschiedenen Schaltern für die Verfrachtung seiner Lieben st viel Geld bezahlt hat, daß er dafür eine Lustreise um die ganze Erde unternehmen könnte, dieser opferwillige Held wird, sobald der Zug ihm seine Theuren ent führt hat und er aufathmend aus der Bahnhofhalle tritt, einer verbreiteten Auffassung zufolge, als ein dubioses Individuum angesehen, als ein Geschöpf, das zu Allem fähig, zu Allem bereit ist. Die Frauen nehmen einen eigenen Ton an, wenn sie von Jeman dem sagen: „Er ist Strohwittwer!" und die Männer zwinkern mit den Augen, wenn sie einen fragen: „Na, auch Strohwittwer?" als handle es sich um die gottloseste Gemeinschaft. Es giebt aber Männer, und es sind ihrer nicht wenige, die jeden Schimmer des frivolen Verdachts von sich weisen dürfen, die längst jene frische Initiative, jene kecke Unternehm ungslust verlernt haben, die dazu gehört, wenn man im reiferen Alter auch nur im Entferntesten einem „Verfluchten Kerl" ähnlich sehen will. Ich möchte wetten, daß die Meisten in ihrer hochsommerlichen Verlassenheit sich kreuzunglücklich fühlen. Schon äußere Umstände deuten es an: Ihr Gang ist unsicher, nach rechts gravitirend, denn cs fehlt das gewohnte Gegen gewicht an der linken Seite, ihre Miene drückt die Trauer ungestillten Mittheilungsbedürfnissts aus, sie sind physisch und moralisch haltlos und doch zu weist, zu gleichgültig, uni von ihrer Freiheit einen zwei deutigen Gebrauch zu machen. Und Mancher komnit wohl auch noch dazu, sich zu sagen: „Das also ist die vielgerühmte Freiheit, die die unbeugsamen Hage stolzen um keinen Preis opfern wollen, deren Einbuße Du bei Gelegenheit ehelicher Meinungsverschieden heiten im Uebermaß Deines Grolls sogar laut beklagt hast. O, dieser armselige Bettel, er ist keinen Augen blick der Reue Werth!" — Das sind Stunden heilsamer Strohwittwerselbstschau. Wohl dem, der geläutert daraus hervorgeht. Schlimmer stehts um Den, der zur Selbsthiilfe schreitet, der unter dem Vorwand, eine „Ansprache" haben zu müssen, eines Tages an das gleichfalls zu Haust gelassene Dienstmädchen die unmotivirte Frage richtet: „Minna, wo sind sie denn eigentlich her?" Es ist der erste Schritt auf einer schiefen Ebene. Wehe Dem, der unter dem Vor—wand, von seinem häuslichen Züchtigungsrecht Gebrauch zu machen, sich beifallen läßt, i» einer schwachen Stunde die Wange der wehrlosen Magd zu tätscheln . . man bedenke in solchen Augenblicken der Versuchung, daß zwischen der Gattin und der Dienerin des Hauses meistens ein brieflicher Verkehr besteht, der sich um Angelegenheiten des den Händen der letzteren überlassenen Haushaltes dreht, in welchem aber auch gefährliche Andeutungen über männliche Moral und verwandte Materien der Schreiberin ge legentlich entschlüpfen können. Aber ich spreche von Ausnahmen, die nach einem sehr schlauen Sprichwort die Regel bestätigen, und diese Regel besteht darin, daß der Strohwittwer ein völlig harmloses Menschenkind ist, welches unserer Theilnahme und unseres Mitgefühls Werth und be dürftig ist. Wir sollten aufhören, mit diesem Wort den Begriff einer mißbrauchten Freiheit zu verbinden und frivole 'Neckereien unterdrücken. Philanthropen und echtfarbige Ehemänner haben wiederholt den Vorschlag gemacht, den harten Zeiten des Stroh- wittwerthums durch die Begründung einer Gemein schaft ihr Herbes zu nehmen, man hat die Bildung eines großen Strohwittwer-Vereins angeregt, ja es ist dies der einzige Verein, der noch nicht besteht, und ein allgemeiner „Strohwittwer-Tag" mit den üblichen Reden, Vorschlägen und Toasten ist eines der dringendsten Bedürfnisse der Neuzeit. Wie es heißt, sollen «her mehrere hervorragende Strohwittwer, denen man das treffliche Project vorgelegt hat, sich dahin geäußert haben, daß sie der Sache ihre persön liche Mitwirkung nicht widmen können, da sie „wenig stens die paar Abende im Jahr für sich haben möchten!" Man erkennt sofort, daß dies nichts Anderes ist, als eine Verlegenheitsausflucht, denn ich wüßte in der That nicht, was ein Ehemann ohne Frau am Abend zu thun hätte. Wahrscheinlich haben die be treffenden Herren die Einmischung unlauterer sitten verderbender Elemente, die bestrebt gewesen wären, die Strohwittwerleiden in zügellose Freuden zu ver wandeln, befürchtet und deshalb schwebt die große und bedeutsame Frage noch heute. Vielleicht nimmt sich der Staat der Sache an, sie schlägt ja in das Fach der „Altersversorgung" u. „Unfallversicherung". Druck und Verla, von «. tzannebotzn t» «beaftock.