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Jede Woche erscheint lA bis iV» Bogen Text und I bis 2 fein gesto chene und sauber colo- rirte Knpfcrtafclu 4 bis 8 verschiedene Ab- bildungender neuesten Pariser, Londoner und WienerModen enthal tend, Außerdem werden dcrselbenjeden Monat die neuesten Schnitte von Kleidern, Ueber- röcken!c. noch gratis beigegebe». Preis des Jahrganges mit Kpfrn, 8 Thlr. ohne Kpfr. s „ Kpfr. allein« „ Alle Buchhandlungen, Zeitungserxeditionen und Postämter nehme» Bestellungen an. Redacteur: Ferdinand Stolle. Verleger: Eduard Meißner in Leipzig. ^ L. Fünfter Jahrgang. 184L. Das Bnrgfräulein von Osterode. (Eine Sage.) Es war an einem Sonntage in der Frühe, als ein armer Leineweber der Stadt Osterode zuwan- derte. Der Morgen hob heiter lächelnd sein rosiges Antlitz über die grünen Berge; balsamilche Frsiche schwebte über den Thalern und Tiefen, die Gipfel der waldigen Höhen schwammen in bläulichem Duft und die bethauten Waldblumen funkelten im goldenen Sonnenglanz. Der Gesang der Vögel schallte aus dem Dickicht, leiser Glockenklang wehte aus den Thä- lern herauf, — über der ganzen Gegend schwebte ein milder seliger Friede. Der Wanderer war lange, ohne auf die Schönheit des Morgens zu achten, vorwärts geschritten, denn ein tiefer Kummer be lastete sein Herz. Ein geliebtes Weib lag ihm da heim krank, sechs hungrige Kinder harrten, sammt der Mutter, sehnlich seiner Wiederkehr — und mit leeren Händen kehrte er zu den Seinigcn zurück. Ein reicher Vetter, von dem er Hilfe erwartete, hatte ihn mit harten Worten abgewiescn und der weite Weg zu dem Fühllosen war umsonst gethan und die V. Jahrgang. Zukunft lag düster und nebelvoll, wie ein Gedicht Ossians, vor ihm. Als aber die Sonne höher cm- porstieg, als die ganze Natur um ihn her blühte und duftete, der Bach murmelte, die Vögel fröhlich zwitscherten, da wurde er ruhiger. Denn wenn das Morgenlicht sich zeigt, ist jedem gedrückten Gemüthe die Last minder fühlbar, und diese Erfahrung sollte uns glauben machen, während der Nacht hätten wirklich boshafte, neidische Gnomen Gewalt über den Menschen, über dieses Zwitterwesen, welches mitten inne zwischen Himmel und Erde lebt, und diese hämischen Erdgeister schlüpften scheu in ihre Spelunken, sobald der erste Lichtstrahl, wie ein über irdischer Freund, den schwachen Adamskindern zu Hilfe käme. „Wie schön, wie herrlich," dachte er, umher schauend, „ist doch deine Schöpfung, o Gott — und welch' verhängnißvolles Geheimniß ist es, das nur den Menschen so oft ausschließt von jenem all gemeinen Genuß! Warum quält nur Er sich im Staube und sorgt ängstlich für seinen Unterhalt, während doch alle Vögel so freudig singen und die Blumen so harmlos duften, unbekümmert um den