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365 sie bitten: „„Mäßige deine Liebe, daß mein Glück geringer wird, eh' ich vergehe!"" Nach einer augenblicklichen Pause wendete er sich rasch zu Gustav und ergriff dessen Hand: „Aber ich gelob' es Dir," rief er, „ich will nicht eher von einer Hoffnung für mich träumen, bis ich sie —" „Gelobe nichts, was einem Fluch über Dich selbst gleicht!" siel ihm Gustav in's Wort. „Bewahrt sich Dein Herz diese schöne Liebesfülle, so darfst Du hoffen mit Deiner ganzen Seele. Die wahre Hoffnung ist ein heiliger Glaube an den Himmel, an die Gottheit, welche sich uns in Lieben und Glauben offenbart." „Himmel? Gottheit?" fuhr Leopold plötzlich auf, und seine dunklen Augen leuchteten schnell ent zündet. „Ja, auch mir, auch ihr hat geträumt von dem Himmel auf Erden in Liebe und Glauben, aber die Qualen der Hölle kamen nach, als der Traum vorüber war!" „Ihr liebtet?" fragte Gustav schnell. „Wir liebten, und wurden Beide betrogen!" Leopold schritt wieder auf und ab, ohne zu reden. Der Streit quälender Gedanken zuckte, wie Wetterleuchten, auf seiner Stirn, über welche, gleich dem finstern Gewölk, eine verworrene Locke hernieder gefallen war. „Betrogen!" wiederholte er leise, als sei es ein schmerzlicher Nachklang seiner Antwort. Dann fuhr er mit der Hand über die Stirn. „Wohin," fuhr er fort, „wohin bin ich auf einmal gerathen? Ein anderes Kapitel reiht sich, wie von selbst, an das frühere und mit jedem neuen wird die Geschichte immer trauriger werden. — Mach' Dich darauf ge faßt, Gustav, daß Du ein paar Liebesangelegen- heiten zu hören bekommst, die unglücklich genug ge endet haben, obgleich die Helden und Heldinnen sämmtlich noch leben. Ich habe, ehe Du kamst, zum Zeitvertreibe einige Dokumente durchblättert, die sich in meiner Brieftasche versanden — Schriften erbau lichen Inhaltes, ein kleiner Roman in Briefen, der sein Glück bei unserm empfindsamen Publikum so gut machen würde, wie mancher andere. Erschrick nicht, mein lieber Freund; ich werde Deine Brief antipathie auf keine zu harte Probe setzen und will lieber den Erzähler, als den Borleser machen. Zwar reiß' ich von Neuem tiefe Wunden auf — doch immerhin; die blutenden schmerzen weniger, als die leichtvernarbten, unter sich wühlenden!" Als er beginnen wollte, klopfte es mit drei rasch auf einander folgenden Schlägen an die Thür. Ehe noch „herein!" gerufen worden, trat ein junger Mann, in einen Mantel gehüllt, athemlos in das Zimmer. Die Dunkelheit verhinderte, seine Gesichts züge zu unterscheiden. „Wer ist da?" fragte Leopold, ärgerlich über die störende Unterbrechung. „Verzeihen Sie, mein Herr," wurde geantwortet, „ich habe nothwendig mit dem Herrn Doctor—" Gustav erkannte jetzt die Stimme. „Heinrich!" rief er erstaunt; „wie kommen Sie hierher?" „Ich suchte Sie in Ihrer Wohnung auf," fuhr der Fremde fort, „dort wurde mir gesagt, daß Sie hier — " „Leopold," unterbrach ihn Gustav, den neuen Gast vorstellend — und beim Namen nennend — „Mein Freund und künftig einer meiner nächsten Verwandten." „Willkommen denn!" entgegnete Leopold, in dem er Licht anzündete. „Nehmen Sie Platz, und ist es kein Geheimniß, was Sie unserm Freunde zu vertrauen haben, so darf ich wohl bleiben!" Der Gast wurde verlegen, denn er wünschte aller dings mit Gustav unter vier Augen zu sprechen. Unterdessen war dieser, an Heinrich die lebhafteste Aufregung wahrnehmcnd, näher getreten und flüsterte ihm einige Worte in's Ohr. „Diese Nacht noch will ich abreisen," sagte der Fremde halblaut. „Ich muß den günstigen Zeitpunkt wählen, denn morgen früh schon, wie ich von sicherer Hand weiß, will man sich meiner Person versichern." „Was giebt's da, ihr Herren?" rief Leopold, nach dem Hute greifend. „Hier ist meine Anwesen heit störend, merk' ich; ich mache einen Gang durch die Straßen." Gustav hielt den Stürmischen zurück. „Nein, bleib!" sprach er. „Möglich, daß Du uns hier einen Dienst leisten kannst." „Gustav!" mahnte Heinrich mit bedenklichem Blick; „vorsichtig, Freund!" setzte er leise hinzu. „Fürchten Sie gar nichts!" erwiederte Jener. „Das Vertrauen, welches Sie mir schenken, mögen Sie ohne Besorgniß auch meinem Freunde Leopold gewähren — " „Dem von Ihnen so sehnlich Erwarteten?" un terbrach ihn der Gast mit freudiger Ueberraschung.