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und Seele dabei und sorgte mit eben so großer Ge? wifsenhaftigkeit, wie mit Lust und Liebe dafür, daß die Gerichte wohl zermalmt den Verdaüungsorganen zu Gute kamen. Sein acht kaukasisches Gebiß kam ihm hierbei vortrefflich zu statten. Den stärksten Knochen knackte er und bemächtigte sich des nahr haften Markes. Dieser Sinn für das Materielle mochte auch wohl der Grund sein, daß er eine sogenannte Geisterwelt nicht nur nicht leiden konnte,, sondern sie. geradezu für Fabel, für Hirngespinnste 'confuser Gelehrten er klärte. Seelen, Psychen mit Schmetterlingsflügeln, das hätte ihm gefehlt; das war ihm Alles zu luftig, zu windig und ein Himmel ohne llUv ä'Iwto bei Madame Kliemann, ohne gut abgegohrenes Lager bier ganz undenkbar. . Wegen dieses Materialismus und der absoluten Freigeisterei stand daher Sonnenschmidt mit der Neukirchner Geistlichkeit nicht auf bestem Fuße. In die Kirche kam er fast gar nicht und zur Beichte ging er nur alle Schaltjahre. Was ihm die Schwarz röcke Neues lehren könnten, pflegte er zuweilen läster lich zu sagen, das hätte er schon längst an den Schuhen abgelausen. Es konnte daher wohl auch keinen abgesagtem Feind des Todes geben, als unfern Inspektor. Der Gedanke an das Sterben erfüllte ihn mit Schrecken und Grausen; nicht daß er die ewigen Strafen zu fürchten gehabt hätte, Sonnenschmidt war trotz seiner Freigeisterei ein höchst rechtschaffener Mann, der sich keine böse oder schlechte That zum Vorwurf zu machen hatte, sondern einzig und allein, weil er in jener Welt, deren Existenz er indeß noch sehr in Zweifel zog, seinen irdischen Appetit nicht mehr be friedigen und seinen irdischen Durst nicht mehr löschen sollte. Wie gesagt, alle himmlische Heerschaaren mit ihrem Nectar und Ambrosia konnten ihn den Neu kirchner Mittagtisch, wo er monatlich mit sechs Tha- lern abonnirt war, nicht ersetzen. Unter Nectar stellte er sich nämlich einen überaus süßlichen Liqueur vor, den er schon hienieden nicht leiden konnte und den auch sein Magen nicht vertrug, und unter Ambrosia eine Art Schweizergcbacknes, welches ihm in gleichem Grade zuwider war. Den Kirchhof floh er wie einen verpesteten Ort; und er wäre nicht zu bewegen gewesen, seinen besten Freund zu Grabe zu folgen. Wenn ihm zufällig der Leichenwagen begegnete, so war er den ganzen Tag verstimmt und ungehalten. — 'Sonnenschmidt befand sich eben in der behag lichsten Stimmung von der Welt. Es schmeckte ihm trotz des Unwetters so vortrefflich, daß er schon beim fünften Klose stand, welcher fast die Größe einer kleinen Kegelkugel cinnahm; schon war er genöthigt gewesen, die zwei untersten Knöpfe seiner großblu migen Weste zu lüften und noch stand der lieblich duftende Gänsebraten unversehrt in der Röhre des Ofens. Sonnenschmidt bedauerte Kappte rn^ von Herzen. Derselbe war ihm der unglückseligste Sterbliche; denn der Sportelschreiber aß, wirklich un beschreiblich wenig. Zwei Löffel Suppe, eine mäßig große Kartoffel und ein Häringskopf waren hin reichend, seinen Hunger zu stillen. Der Jnspector dachte also'christlich, obschon er gelten in die Kirche kam, und wünschte Kapplern einen gesegneten Appetit, als es dreimal leise an die Thür klopfte. Auf Sonnenschmidt's „Herein!" trat die Ge stalt einer alten grau gekleideten Frau in's Zimmer. Der Jnspector wendete sich mit dem Kopfe nach der Thür und die graue Alte für eine Bettlerin haltend, sprach er nicht ohne Heftigkeit: „Hier wird Nichts gegeben!" Die Gestalt schwieg und blieb. „Hier wird nichts gegeben!" wiederholte Son nenschmidt, „überhaupt soll in den Häusern nicht gebettelt werden, es ist bei Strafe untersagt; wozu ist die Armenbehörde, die mich seit Michaelis wieder um acht gute Groschen erhöht hat. Man möchte des Teufels werden vor Geben." Es muß hier bemerkt werden, daß Freund Son- mensclfmidt überhaupt kein großer Freund vom Geben war, und namentlich Bettelei nicht leiden konnte. Nachdem er der Frau seine Mehrung gesagt zu haben glaubte und von ihrer Gegenwart befreit zu werden hoffte, wandte er sich wieder nach seinem Teller und holte den sechsten Klos aus der Schüssel. Die Gestalt erwiederte kein Wort und blieb. Der Jnspector, den diese Zudringlichkeit in Har nisch brachte, warfJum dritten Male seinen Kopf herum. „Ich frage, ob Sie sich packen wird," rief er drohend, „was will Sie denn eigentlich?" Da erwiederte die Alte im Grabestone: „Nun, ich wollte Sie abwaschen."