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156 Uniform angelegt hatte und sich nach Kräften mit den Blessirten abmühte, schrie fortwährend: „Ach, Gott! nur keine Amputationen! nur keine Amputationen!" In der That wußte er sich dabei nicht zu be nehmen. Nsben ihm saß Dum an et auf einer zertrümmerten Kiste und erwartete geduldig bis die Reihe an ihn kommen würde; da aus einmal gewahrt er zwei seiner Kameraden, die den Kommandanten halb rodt herbeischleppcn. Sogleich springt er auf, überläßt Rossignol seinen Platz (das heißt die Artigkeit weit treiben) und setzt sich am Rande eines Hohlweges nieder. Nachdem der Apotheker Nossignol's Wunde lange untersucht, sagt er: „Mein Kommandant, Sie haben ein Bein verloren und..." „Schöne Neuigkeit, famoser Doktor! Beeile Dich, mich zu verbinden; denn siehst Du nicht, wie dem satanischen Priester die Kugeln folgen?,.. Der an dere Schenkel wird mir auch noch Lebewohl sagen." Plötzlich pfiff die Luft in meinen Ohren, ich hörte in unserer Nähe ein Geräusch, ähnlich dem, als rolle eine Kugel in dürren Blattern einher. Der Kopf Dumanet's lag zu unfern Füßen. „Seht ihr ihn?" schrie Rossignol mit furcht barer Stimme: „seht ihr ihn?... Er will meinen Tod, dieser wüthende Tiger!" Er machte eine Anstrengung, um sich aufzurich ten, aber zu schwach sank er in meine Arme. Der Wundarzt, große Schweißtropfen schwitzend, fragt Rossignol: „Ich verursache Ihnen keine Schmerzen, nicht wahr, mein Kommandant? Sie halten so still..." Der Kommandant war nicht mehr; er verband eine Leiche. Aus Rücksicht auf seinen hohen Grad, grub man ihm, unter dem lebhaftesten Feuer der Feinde, ein Grab, und zwar am Fuße einer von Kugeln ver stümmelten Eiche. Die rohen Soldaten, die das Begräbniß besorgten, sagten unter sich: „Du Un mensch von Kommandant! Du hast uns Dein Lebe lang genug gedrangsalt! Werst ihm den Pfaffen und seinen Kopf auf den Leib: gezwungen bei ein ander zu bleiben, werden sie vielleicht noch gute Freunde." — Und Dumanet theilte sein Grab. Fünfzehn Jahre später bereiste ich Deutschland und besuchte das Grab, Die alte Eiche war an ihren Wunden nicht gestorben, sie beschattete das Grab und auf-ihrem Stamm war noch der mit der Sabelspitze eingeschnittene Adler zu erkennen. Bei diesem Anblick konnte ich mich einer lebhaften Be wegung nicht erwehren. Wider meinen Willen zogen alle erlebten Schreckensscenen an meiner Seele vor über, ich dachte an Napoleon und sagte: „Konnte er nicht durch die Kugel eines Feindes hier getödtet werden? Wenigstens würden wir ihn begraben ha ben und ein Adler wie dieser hier würde sein Grab bezeichnen. So aber bist Du für immer auf der Insel Helena. Armer Kaiser!" Nachdem ich das Schlachtfeld durchlaufen hatte wollte ich Rossignol und Dumanet noch ein letztes Lebewohl sagen. Um die schauerliche Eiche herum spielten Bauernkinder, die sich wie Marionet ten bald liebkosten, bald schlugen und sich der ausge lassensten Fröhlichkeit überließen. Sie hatten auf Stöcken zwei Todtenköpfe, von denen der eine zu grinsen, der andere zu lächeln schien. Der Aelteste kam auf mich zu und fragte mich: „Herr Engländer, hier haben wir die Köpfe von zwei tapfern Soldaten Napoleon's; wollen Sie sie kaufen?" Ich gab ihnen etwas Geld, damit sie die beiden Todtenköpfe wieder an Ort und Stelle thun sollten, und mit ehrlicher, deutscher Miene, der ich Glauben schenkte, versprachen sie mir auch, die Ueberbleibsel meiner beiden Waffengefährten fernerhin zu respectiren. Kürzlich las ich in englischen Zeitungen: „Eine Schiffsladung Menschenknochen sind in Schottland angekommen; sie sind in den Ebenen von Hanau und Leipzig ausgegrabcn und gehören den Tapfern, die in den blutigen Schlachten von 1813 gefallen sind. — Man wird aus diesen Knochen gebranntes Elfenbein machen." Armer Rossignol! er hatte in den Antillen und bei Moskau, unter den Mauern von Wien und Madrid gefochten. Und warum? Was hat er durch hundert Schlachten gewonnen? Nicht einmal drei Fuß Erde in einem Winkel Deutschlands; nicht ein mal einen Namen; denn wer kennt heute, außer mir, den Kommandanten Rossignol? — Besiegerder Bastille, Soldat von Marengo und von Austerlitz, von der Moskwa und Bautzen, Deine verbrannten und gemahlenen Knochen sollen den Dandys von Glasgow und Edinburg als Stiefelwichse dienen: Wärest Du den Fricoteurs gefolgt!!! — Druck von C. P. Melzer in Leipzig.