Volltext Seite (XML)
Tage trat ein solches Thauwetter ein, baß aller Schnee zu Wasser wurde. Da die bestellten Pferde dennoch bezahlt wer den mußten, so wollte man sie auch benutzen, und ließ sie, behängen mit Schellen, vor Kariolen und allerlei Fuhrwerk spannen, womit nun der Zug, Borreiter voran, durch alle Straßen jagte. Als er bei Lichtenberg's Hause vorbcikam, zog der Lärm seine Zuhörer und ihn selbst an das Fenster. „Ei, ei," sagte er lächelnd, „die Temperatur hat freilich ei nen Sprung gemacht, aber ich glaubte doch nicht, daß sie uns so plötzlich in die Hundstage versetzt hätte." Militärische Würde. Dem Bürger einer kleinen Garnisonstadt, der in Abwesenheit der Besatzung das Thor bewachen sollte, war vorgeschrieben, keinen Fremden cinzu- laffen, ohne nach seinem Namen, Stand u. s. w. zu fragen. Die Straße gehörte nicht zu den besuchtesten und oft vergingen Stunden, ohne daß Jemand, geschweige denn ein Fremder, durch das Thor kam. Der im ungewohnten Eostume mit Säbel und Gewehr versehene Bürger, der vor Begierde brannte, sich in seiner Würde zu zeigen, warf sehnsuchtsvolle Blicke nach der leeren Landstraße. Endlich, zu seiner unaussprech lichen Freude, sieht er einen Punkt sich herbewegen, bald ent deckt er, daß es sein Freund und Zechbruder aus einem be nachbarten Dorfe ist; sogleich stellt er sich in Positur vor den Eingang des Thors, um aus vollem Halse zu rufen: „Fuchtel, wie heißt Du?" Der Andere lacht und verdoppelt seine Schritte. Auf den zweiten Ruf: „Donnerwetter! Fuchtel, wie heißt Du?" kommt Fuchtel lachend heran und will seinem spaß haften Freunde die Hand reichen. Aber der Freund hält ihm wüthend das Gewehr entgegen mit den Worten: „Halt, Fuch tel! Jn's Teufels Namen, wie heißt Du?" — „Nun, Fuchtel," crwiedcrt endlich der Zechbruder, der seinen mar tialischen Freund mit großen Augen anstaunte. „Passier!" sagte dieser hierauf in gravitätischem Ton, indem er mit dem Gewehr auf der Schulter zur Seite tritt und eine gebietende Bewegung mit der Hand macht. Zungenoperationen. Nachdem der berühmte Arzt Dieffenbach in Berlin so viele glückliche Kuren mit schie lenden Augen vorgenommcn, hat er das Unglück gehabt, daß mehre seiner Zungenopcrationen, die er zur Heilung des Stammelns unternommen, sehr übel abgelaufen sind. Mehre Personen, die sich der Operation unterworfen, sind theils ge storben, theils lebensgefährlich krank geworden. Doch sollen die Operationen selbst nicht sowohl, als die falsche Behandlung nach derselben die Schuld davon tragen. Der Romandichtcr Fr. Soulie» in Paris gicbt sich jetzt Mühe, die Direktion des Ambigu-Thcaters zu erhalten. Wie doch die Dichter jetzt praktisch geworden sind! Mit Näch stem wird übrigens wieder ein neues Baudevillestheater in Paris eröffnet. Deutsche Damen. In französischen Journalen finden wir folgende Notiz: „Die Damen von Darmstadt haben für die Ueberschwemmten in Lyon 400 Stück Hemden und 150 Paar Strümpfe geschickt. Die Landleute sandten zur Vcrtheilung unter die Armen eine große Masse trocknen Gemüses." Die Trauungen in Gretna-Green. Bei dem kürzlich erfolgten Todesfall des Schmieds von Gretna-Green hat man oft die Frage aufgeworfen, wie cs in Zukunft mit den Vermählungen daselbst stehen werde, da der alte Copulant das Zeitliche gesegnet, und ob irgend ein pri- vilegirter Nachkomme desselben existire, der das Geschäft des Baters sortsetzen könne. Diese Frage wird durch die Mitthei lung eines reisenden Franzosen erledigt, welcher einen Brief über diesen Gegenstand nach seiner Heimath abgesendet. Der Brief lautet also: Man glaubt gemeiniglich, daß die in Gretna-Green ge schlossenen Heirathen durch einen Schmied vollzogen werden, der das auf seine Söhne forterbende Privilegium dazu besäße, und daß kein Anderer in Schottland das Recht habe, ein liebendes Paar auf gesetzmäßige und gültige Weise zu verbinden. Das ist aber ein starker Jrrthum, den ich anfangs selbst gctheilt habe, bis ich mich mit eigenen Augen von dem Gegentheile jener Behauptung überzeugte. In Schottland kann man sich nämlich rechtsgültig verheirathen, sobald man nur die beiden ersten besten Personen zu Zeugen dazu nimmt. Es ist dieß ein altes Gesetz, das noch nicht aufgehoben ist, und wie es dort noch mehre, weit barbarischere giebt. Da nun Gretna - Green der erste Ort in Schottland ist, den man jenseit der Grenze von England trifft, und da man also von hier aus am schnell sten dahin gelangen kann, so ist es ganz natürlich, daß ihm von allen Liebenden, welche rasch an ihr Ziel kommen wollten, der Vorzug gegeben ward. Je mehr wir uns Gretna-Green näherten, desto lebhafter wurde unsre Ungeduld. Wir waren begierig, den berühmten und berüchtigten Schmied zu sehen, dessen Ansehn so allgemein war. Endlich erreichten wir den Grenzbaum zwischen Eng land und Schottland. Wenige Minuten lang hatten wir un fern Weg fortgesetzt, so erblickten wir eine schöne Auberge von schönem Acußern mit der Firma: Gretna-Hall. Wir waren in Gretna-Green. Unsere Augen suchten das Haus des Schmieds, unsere Ohren vernahmen kein Geräusch von Blase bälgen und Hämmern. Ueberall tiefes Stillschweigen. Jetzt wendeten wir uns zu der Auberge und traten hinein. Nachdem wir eine Flasche sehr guten Eiders erhalten hatten, riesen wir den Kellner zu uns und befragten ihn über den Ge genstand unserer Neugierde. Da erhielten wir denn Folgendes zur Antwort: „Ja, hier werden allerdings viele Ehen von Leu ten eingegangen, die mit Glücksgütcrn gesegnet sind; hier hat sich unter andern auch der Prinz von Capua trauen lassen; und wenn mein Herr nicht gerade abwesend wäre, so könnten Sie, wenn Sie ein paar Franken zahlen wollten, seine Signatur über dem Register sehen, welches er sich über die geschlossenen Ehen hält. Ich bin in der Regel der zweite Zeuge. Der Schmied thut so etwas nicht allein." Mit diesen Worten ging er fort, um die gedruckten Zettel zu holen, auf denen Name und Datum ausgelassen waren, welche der Wirth bei vorkom mendem Falle hinzufügte; diese-Zettel wurden dann den Neu vermählten als Legitimation eingehändigt. „Die Aermcren," setzte der Kellner hinzu, „lassen sich in der Regel beim Col-