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99 lesen wir unter den Merkwürdigkeiten des Jahres 1730 auch folgende interessante Notiz": „Nachdem im türkischen Reiche der Großvezier die Gelehrsamkeit höher zu treiben bedacht gewesen, und eine Buchdruckerei angelegt, ungeachtet solches dem Al- coran zuwider; so sind in diesem Jubeljahre von Marseille viel Buchdrucker transportixet, dabei, dem Verlaut nach, ein sonst hier in Leipzig beKnnt gewesener Magister, Namens Bergler, die Direction führen soll." Ander und Mcyerbecr. Zur Kritik dieser beiden Eomponisten sagt eine Stimme aus Kassel >— ob mit Recht oder Unrecht mag der Leser entscheiden — „Amber ist besser, als alle die Ändern (er meint, die neuern Operncomponistcn, wie „Halevy, Adam, Herault" u. s. w.), sein Genie ist auch dem des Halb-Parifers Meyerbeer bei weitem überlegen. Letz terer flößt uns unablässig die Befürchtung ein, das falsche Pathos möchte ihm einmal den Kehlkopf sprengen; und selbst seine edleren Gedanken ersticken fast im Bombast, und werden durch so viel Sonderbarkeit geschwächt, die er, dem deutschen Vaterland entfremdet, wohl mit Eigentümlichkeit ver wechseln mag." Drei Victor Hugo s. Eine Dame aus der Provinz kam kürzlich nach Paris, um ein langes Gedicht: „die Asche Napoleons" dem Dichter Victor Hugo zum Zeichen ihrer unbegrenzten Verehrung zu über reichen. Man weist sie in dessen Wohnung, aber sie hat das Unglück, den großen Poeten nicht zu Hause zu finden. Als sie in den eleganten Salon eintritt, kommt ihr sogleich ein Herr entgegen, nimmt ihr das nett geschriebene, zierlich um fangreiche Manuskript ab und verspricht ihr, es dem Herrn Hugo sogleich bei seiner Zurückkunft zu übergeben. Tags darauf läßt sich ein Fremder bei ihr melden und wird vorgelaffen. „Mit wem Hab' ich das Vergnügen zu sprechen?" „Ich bin Victor Hugo," sagt ein phantastischer und geschmeidiger junger Herr, der Dame ehrerbietig die Hand küssend. Die Dame ist außer sich vor Freude; sic läßt auf der Stelle ein Frühstück bereiten, welches'ihrem Gast sehr wohl zu schmecken scheint, indem er mit Begeisterung von den Versen seiner liebenswürdigen Wirthin spricht. „Genial, gött lich, überirdisch, erhaben," sind ihm wohlfeile Ausdrücke, und die von Lob berauschte Dichterin zweifelt nicht im Geringsten an der Wahrheit der schmeichelhaftesten Versicherungen. Nach einer glücklichen Stunde empfiehlt sich der Herr, nachdem er zuvor um die Erlaubniß gebeten, feinen Besuch.wiederholen zu dürfen, was ihm auch ohne Schwierigkeiten zugcstanden wird. Um die Mittagszeit erscheint ein anderer Herr. „Kennen Sie mich, Madame?" „Ich habe nicht die Ehre." „Sie haben mir Ihr Gedicht auf die Asche Napoleons ge widmet —" „Wie, mein Herr —?" „Ich bin Victor Hugo." „Aber mein Herr, was unterstehn Sie sich? Der große Dichter ist vor wenigen Stunden bei mir gewesen! „Ein Lump, ein Elender, ein Unverschämter, kein Dichter! Ich, ich, Madam, bin der Dichter — wollen Sic mir nicht glauben, so leben Sie wohl!" ,Meiben Sie, ich bitte! Wenn ich getäuscht sein sollte —" „Womit hat er glaubhaft gemacht, daß er B. Hugo sei? Er hat sie wahrscheinlich gelobt.. Hören Sie mich, ich habe eben eine Satyrc auf die Dichterinnen bei mir, hören Sie mich!" Die erschrockene Dame sagt kein Wort, indem Jener ein Heft aus der Lasche zieht und zu lesen beginnt: „Den Mann allein begünstigen die Musen, Das ist so Weiberart; Für Wesen ohne Bart Schlägt nur voll Haß ihr liederreicher Busen." „Ich will Sie aus Rücksichten für Ihr Geschlecht nicht weiter belästigen." „Verzeihen Sie mir, Herr Hugo, daß ich es wagte —" „Schon gut! Geben Sie sich Mühe, studiren Sie meine Werke und vielleicht bringen Sie es einmal zu etwas Erträg lichem ! Ein andermal mehr davon — jetzt ist die Mittags stunde — " „Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie einzuladen, bei mir vorlieb zu nehmen?" „Mit Vergnügen." Das Dins wird aufgetragen und der grobe Herr Hugo ißt wie ein Bär und trinkt wie ein Deutscher. „Adieu, Madame," sagt er nach Tische und empfiehlt sich ohne Ceremsnie. Die aime Dichterin? Sie ist aus allen ihren Himmeln gefallen, ihre Lhränen beginnen zu fließen. Gegen Abend erst gelingt es ihr, sich einigermaßen zu erholen. Da klopft es. „Herein!" „Madame, Sie entschuldigen, daß ich unangemeldet herein trete;, ich liebe nicht, Aufsehn zu erregen. Sie glauben kaum, wie wohl es mir thut, wenn ich einmal Mensch sein kann, Mensch im vollsten Sinne. Die Dichter haben es schlimm —" „Ein Dichter? mein Herr —" „Nun ja? Machen Sie nur gar keine Umstände mit mir. Behandeln Sie mich als Ihren Freund? Ihr Gedicht —" „Mein Gott — wer sind Sie?" „Seh' ich denn so fürchterlich aus? Haben Sie sichVictor Hugo anders vorgestellt?" „Viotor Hugo? Das ist nicht zum Aushalten. Sie sind schon der dritte Hugo, den ich kennen lerne." „Aha, man hat Sie hintergangen! Man hat meinen Namen gcmißbraucht; das bin ich gewohnt. Neulich hat sich sogar mein Schneider für mich ausgegeben. Aber was thut das? Meine Tragödien, meine inneren Stimmen sichern mir doch die Unsterblichkeit, und die Acadcmie» in die ich nächstens werde ausgenommen werden, garantirt für meine Größe." Die Dame läßt sich zum dritten Male cinreden, sie habe Victor Hugo vor sich.