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496 bediente er sich einer gewohnten Gasconnade. Ehe er sich zu Tische setzte, nahm er den Kellner auf die Seite und sägte zu ihm: „Jedesmal, wenn ich mit lauter Stimme Cham- pcrlin verlange, bringen Sie mir Braune-Wein, Nummer zwei." Diese Amordung wurde vom Kellner pünktlich befolgt. Nach geendigter Mahlzeit verlangt der Großthuer seine Rech nung und ist nicht wenig erstaunt, Champcrtin mit dem gewöhnlichen Preise ausgezeichnet zu finden. „Hier ist ein Jrrthum in Betreff des Weins, Kellner!" sagt er unruhig; „ändern Sie gefälligst —" „Nein, mein Herr," antwortete jener höflich, „die Rechnung ist richtig. Sie haben drei Flaschen Champcrtin verlangt." Der würdige Senator giebt ihm ein Zeichen, das der Kellner nicht verstehen will. „Nicht wahr, meine Damen," fragte er wiederholt, „der Herr hat Champcrtin verlangt?" „Ohne Zweifel," antworten diese, „Champcrtin!" Die Augen des Geizhalses funkeln vor Wuth, während er, um sich nicht zu compromirtircn, den schlechten säuern Wein, den er getrunken, für Champcrtin bezahlen muß. Literarisches. Der Fluch des Rabbi. Sittengemälde aus dem ersten Viertel des >5. Jahrhunderts von Eduard Beier erschien kürzlich bei Joseph Stöckhölzer von Hirsch feld in Wien (Leipzig, in Commission bei Wilhelm Einhorn). Der Verfasser hat sich schon durch mehre historisch-romantische Darstellungen bekannt gemacht, z. B. „die Tartarcn in Croa- tien und Dalmatien," und ist jetzt mit einen neuen Roman aus der mittelalterlichen Geschichte Wiens beschäftigt. Man kann ihm einen gewissen erfreulichen historischen Sinn, be sonders für die Sittengeschichte der Völker, nicht absprechen, doch scheint' ihm der eigentliche geschichtliche Ernst und ein tieferes Eingehen in die Bewegungen des nationellen Lebens abzugehn. Es ist, wie uns dünkt, mehr die Lust an Chroni- kenspecialitäten, welche ihn auf das Feld seiner Darstellung führt, als der Drang nach Erkenntniß des Zusammenhangs der Weltbegebenheiten. In dem vorliegenden Buche z. B. scheint es uns ein Fehlgriff, daß das'Judcnthum außer aller Collisivn mit dem Christenthum, durch welches jenes eben ward, wie es sich darstellt, gebracht ist. Der Leser verlangt Verbindungsglieder, die er ungern vermißt und ohne welche der Roman ein fremdartiges Element erhält. Für einen Druckfehler können wir das „fünfzehnte Jahrhundert" auf dem Titel gelten lassen; die Geschichte spielt ein Jahrhundert später. Die Schreibart ist noch wenig durchgebildet; mit unter recht gewandt, mitunter das Gegentheil. Ein lebhafter Antheil des Verfassers an seinem Gegenstand erweckt den Anlhcil des Lesers und mildert dessen Urtheil. Reflexionen ist der Dichter nicht selten wenig gewachsen; die philosophische Ercursion nach dem ersten Theile ist etwas seicht. Sähe der Verfasser das Unzulängliche seiner Kunst - und allgemeinen Bil dung ein, so könnte er einmal — denn seine natürlichen An lagen sind unverkennbar — Lobenswürdigcs leisten. Glück auf! Eine gute Antwort- Ein Reisender in gebirgiger Gegend bediente sich nach der Sitte des Landes zum Reiten eines Esels und beging den Fehler, vor dem Thore des kleinen Städtchens, in dem er übernachten wollte, nicht abzusteigen, sondern durch die Straßen zu reiten. Dieß erregte einiges komische Aufsehn und ein paar junge Stutzer waren unhöflich genug, den Reiter mit schallendem Gelächter zu begrüßen. Dieß ärgerte natürlich den Reisenden; er hielt sein Thier an und sagte so laut, daß cs von Vielen gehört ward: „Meine Herren, Sic lachen über mich; das ist nur des Contrastes wegen; wenn Sie auf dem Esel säßen, würde es kein Mensch lächerlich finden." Die Lions zogen schweigend ab; der Rei sende hätte keinen bessern Einsall haben können, um sie zu demüthigcn. Ein moderner Panzer. Der Gemahl der Königin von England, Prinz Albert, erhielt neulich von Berlin aus ein seltsames Geschenk, das beweist, auf welchem Höhepunkte unsere Industrie steht. Es bestand nämlich aus einem aus Eisen gewebten Gilet; Taschen, Knöpfe, selbst die Fütterung waren von demselben Metall. Die Feinheit und Elasticität dieses Toilcttcnstücks, das aus der Fabrik des Herrn Lohmann hervorgegangen, soll bewundernswürdig sein. Zerstreuung. In den schon in diesen Blättern er wähnten „Pickwickiern in der Fremde von Revnolds" erzählt Mr. Scurtle von sich: „Im letzten Winter saß ich am Kamine und trank Burgunder. Um mir meine Lage noch bequemer zu machen, ließ ich mir der Bequemlichkeit wegen meine Pantoffeln bringen, und wollte zugleich einige Nüsse dazu verzehren. Ich irrte mich aber, schüttete die Nüsse in meine Pantoffeln und kam erst wieder zum völligen Sclbst- bcwußtsein, als mir der ganze Fuß durch das Gehen wund geworden war." Da sich die Zuhörer gebührend verwundern, fährt Scuttlc fort: „Das ist noch alles nichts in Vergleich zu dem, was mir vor einigen Jahren in England passirte. Ich aß mit einigen Freunden in Longs Hotel zu Mittag und als ich zufälligerweise mit ziemlich großer Schnelligkeit mir das Schnupftuch aus der Tasche gezogen hatte, eilte ich auf die Straße, rief die Polizeidiener und klagte mich selbst des Diebstahls an. Das Beste von der Sache war, daß man mich in die Wache brachte, wo ich die gesetzliche Strafe für Trunkenheit zahlen mußte." Reiseabenteuer eines Franzosen. In einem Briefe aus Baden erzählt ein französischer Reisender unter anderen: „Ein Beispiel von industrieller Hierarchie in Deutschland ist folgendes. Man hat schnell an einen Freund zu schreiben und begiebt sich zu einem Papierhändlcr, um Papier, Federn und Tinte zu kaufen. Die ersten beiden Artikel bekommt man, mit Tinte kann man nicht dienen. „Aber was nützen dann Federn und Papier?" fragt man erstaunt. „In dem Falle," ist die Antwort, „müssen Sie sich in die Apotheke begeben." Und so ist cs in der That. Die Tinte befindet sich mitten unter den Medikamenten. Wenn sich nur so ein Apotheker nicht vergreist und seinen Kranken einmal anstatt Rhabarber, Tinte verabreicht. Diese Einrichtung beweist, daß die Apothek-r in Deutschland privilegirtc Verfertiger chemi scher Producte sind; dahin gehört die Tinte allerdings, aber demselben Princip gemäß, könnten die Apotheker auch das Privilegium der Kochkunst an sich reißen, denn diese erfordert auch eine Reihe von chemischen Operationen, zu denen große Fertigkeit verlangt wird. So gut der Apotheker das Recht